Experten aus Wissenschaft und Gastronomie kritisieren die übertriebene Umsetzung der Allergenverordnung
in Österreich
Innsbruck (wk-tirol) - „Die derzeitige Allergenverordnung ist wohl zu den sinnlosesten Bestimmungen der
letzten Zeit zu zählen. Viel Aufwand ohne Nutzen!“, lautet die klare Ansage von Franz Hörl, Obmann Sparte
Tourismus der Wirtschaftskammer Tirol, zur übertriebenen Auslegung der EU-Lebensmittelinformationsverordnung
(LMIV) in Österreich. Unterstützt wird er in seiner Ansicht unter anderem von Univ.-Prof. Dr. Herbert
Tilg und Gastronom Josef Haueis.
„Nahrungsmittelallergien sind unbestritten ein wichtiges Thema und Information ist sinnvoll, allerdings kann der
Wirt, Koch und Kellner bei dieser komplexen Thematik nicht ‚Arzt spielen‘. Das Erkennen von Nahrungsmittelallergien
stellt selbst für Ärzte eine große Herausforderung dar. Die Kennzeichnungspflicht überfordert
die Gastronomie“, ist sich Tilg, Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin, sicher. Und sie überfordert
wohl auch viele Konsumenten, die beim Blick in die Speisekarte nur verunsichert werden.
Für den Gastroenterologen wiegt die Kennzeichnungspflicht die Konsumenten in einer falschen Sicherheit; für
jene, die wirklich eine Nahrungsmittelallergie haben, und darunter leide weniger als 1 % der Bevölkerung,
mache die Kennzeichnung gar keinen Sinn. Zudem kennen sich Allergiker bestens aus. „Diese Verordnung ist ein Konstrukt
jenseits einer klinischen Notwendigkeit und generiert Pseudosicherheit, die es nie geben kann“, betont Tilg und
wünscht sich, dass man den Menschen die Eigenverantwortung zurückgibt. Eine Kompromisslösung zum
Buchstabenwirrwarr in Form der Information „kann Allergene enthalten“ am Ende der Speisekarte würde für
Prof. Tilg reichen. Hörl erachtet eine rein mündliche Informationsweitergabe auf Nachfrage als ausreichend
und fordert die Abschaffung der Dokumentationspflicht sowie den Entfall der nach 3 Jahren wiederkehrenden Fortbildungspflicht
in Allergenfragen. „Die Dokumentationspflicht ist eine unnötige Mehrbelastung für den Küchenchef.
Gerade kleine Betriebe schaffen das schon rein zeitlich kaum“, ist sich der Sparten-Obmann sicher. Was wirklich
im Essen enthalten sei, so Josef Haueis, könne eigentlich sowieso nur der Lebensmittelhersteller wissen, mit
gewissen Einschränkungen auch der Koch.
Da drängt sich die Frage auf, wem der „Buchstabensalat“, wie es Agrarminister Andrä Rupprechter vor kurzem
bezeichnet hat, dann nützt. Haueis dazu: „Die Kennzeichnungspflicht ist die Verschiebung der Verantwortung
von den Konzernen auf jene, die in der Küche stehen.“ Für ihn könnte eine Lösung darin bestehen,
dass nur noch verpackte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen.
Der gelernte Koch ärgert sich besonders darüber, dass bei der Erarbeitung der Verordnung die Gastronomen
nicht mehr involviert worden waren und es nun eine Verordnung von Bürokraten sei – verbunden mit einer Bürokratie,
die nicht machbar ist. Für den häufig als Träumer und Querdenker bezeichneten Wirt steht fest, dass
durch die Auflagen, die von der EU vorgeschrieben werden, Innovation, Regionalität und Nachhaltigkeit verloren
gehen.
„Unsere Politiker sind Getriebene der EU. Der Hausverstand ist baden gegangen und die Wirte müssen es büßen!“,
verlautbart Hörl auf die Frage, weshalb in Österreich die Vorgaben der EU völlig übertrieben
umgesetzt werden. Als absurd erachten Tilg, Hörl und Haueis in diesem Zusammenhang auch die in Österreich
immens hohen Strafen bei Nichteinhaltung der Kennzeichnungspflicht: „Die Höhe der Strafen ist ein weiteres
Beispiel dafür, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. 100.000 Euro bei wiederholten Verstößen,
nur weil vielleicht nicht richtig ausgezeichnet wurde, sind ein Hohn!“, so Hörl. Damit übererfüllt
Österreich eine EU-Verordnung, betreibt Golden Plating – auf Kosten der Gastronomen.
Einen ernüchternden Blick in die Zukunft wirft Josef Haueis: Die Aussicht auf weitere Auflagen und Bestimmungen
seitens der EU wie die Angabe von Zucker- und Salzgehalt seien demotivierend und werden dazu führen, dass
gerade kleine Betriebe zusperren. „Auch wenn wir wollten, wir können sie nicht umsetzen. Diese Auflagen und
Bestimmungen kann niemand einhalten. Sie zerstören unsere Kreativität und Esskultur.“
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