Wien (wienmodern) - Einen ganzen Monat lang steht Wien im Zeichen der neuen Musik: Mit 88 Veranstaltungen und
55 Ur- und Erstaufführungen in 21 Spielstätten lädt Wien Modern als eines der weltweit größten
Festivals seiner Art das Publikum ein, dem heutigen Stand der zeitgenössischen Musik und ihrer (Wiener) Vorgeschichte
auf den Zahn zu fühlen. Mit Veranstaltungen im Stephansdom und im Zentralfriedhof, mit Musik von zahlreichen
Wiener und Wahlwiener Komponistinnen und Komponisten von Mahler und Schönberg bis hin zu Jorge E. López,
Pierluigi Billone, Eva Reiter u.v.a. gibt sich das Programm auch im Sinn einer musikalischen Standortbestimmung
heuer betont wienerisch, kontrastreich und generationsübergreifend.
Die letzten Fragen
Der neue Künstlerische Leiter Bernhard Günther stellt in den Mittelpunkt seiner ersten Festivalausgabe
„Die letzten Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo zum Teufel sind wir hier überhaupt?“ Existenziellen
Fragen der Gegenwart wird mit den geheimnisvollen Mitteln der zeitgenössischen Musik auf den Grund gegangen:
Peter Simonischek und die Wiener Philharmoniker spüren einer „vor sich selbst erschrockenen Menschheit“ nach
mit dem neuen Oratorium von Peter Eötvös und dem im Juli verstorbenen Péter Esterházy (Wiener
Konzerthaus 23.11.). Festivalgründer Claudio Abbado wird vom RSO Wien geehrt mit der Erstaufführung von
Friedrich Cerhas Nacht und Georges Lentz’ Jerusalem, einem Requiem für die Insassen des verschwundenen Fluges
MH370 (Musikverein 13.11.). Beide Konzerte verbindet die 10. Symphonie von Mahler, der wie auch Schönberg
als Teil der Wiener Ahnengalerie der neuen Musik im diesjährigen Festival eine spürbare Rolle spielt.
Schwerpunkt Streichquartett
Sämtliche Streichquartette von Arnold Schönberg, Sir Harrison Birtwistle und Dmitri Schostakowitsch stehen
auf dem Festivalprogramm – letztere in einer 80-minütigen Simultanaufführung mit 15 verschiedenen Streichquartett-Ensembles
im ausgeräumten Großen Saal des Wiener Konzerthauses (11.11.). Der Streichquartett-Schwerpunkt bringt
einige der renommiertesten Interpreten nach Wien – u.a. das New Yorker JACK Quartet (Georg Friedrich Haas: Uraufführung
des 9. Streichquartetts im völlig dunklen Saal, 12.11.) und das Pariser Quatuor Diotima (Schönberg, Beethovens
späte Quartette und Boulez, 16.–19.11.). Das Londoner Arditti Quartet spielt erstmals alle drei Streichquartette
von Birtwistle an einem opulent besetzten Abend mit dem Klangforum Wien und der Sopranistin Claron MacFadden in
Anwesenheit des Komponisten (8.11.).
Starke Solos
Georg Nussbaumers Klavierinstallation Eine Winterreise sorgt für Performances auf einem von Eis bedeckten
Klavier im Foyer des Wiener Konzerthauses (3.-12.11.). Starpianist Nicolas Hodges interpretiert die 20 musikalischen
Kontemplationen zur Geburt Jesu Christi von Olivier Messiaen in ihrer Gesamtheit – ein Werk von wahrhaft filmischer
„Überlänge“ mit enormer virtuoser Kraft und Komplexität (27.11.). Eindrückliche Momente versprechen
auch Klaus Langs Orgel-Matinee auf dem Wiener Zentralfriedhof (27.11.), Giorgio Nettis „Ciclo del ritorno“ im Late
Night Konzert im Wiener Stephansdom mit Anna Spina an der Viola (6.11.) und Pierluigi Billones monumentale Soloprojekt
für E-Gitarre im Semperdepot (5.11.). Die Wiener Komponistin Eva Reiter ist als diesjährige Erste Bank
Preisträgerin gleich mit mehreren Werken vom Streichquartett bis zum großen Ensemble sowie auch als
Solistin und im Late Night zu erleben (9.11. Wiener Konzerthaus, 18.11. Elektro Gönner).
Semperdepot
Das Semperdepot wird am Anfang und am Schluss des Monats zum Festivalzentrum, unter anderem mit der Uraufführung
von Pierluigi Billones radikaler Erkundung der Stimme der Sopranistin Anna Clare Hauf sowie der Präsentation
des neuen Albums der legendären Wiener Elektronikformation Radian (4.–6.11.). Das Klangforum Wien und das
Institut für Philosophie widmen sich dem Komponisten Hans Zender in einem interdisziplinären Konzert-Symposion
rund um Friedrich Hölderlin und den mittelalterlichen japanischen Philosophen Ikkyu Sojun (27.–29.11.).
Programm für Kinder und Jugendliche
Zu den vier ganz neuen Werken von Georg Friedrich Haas im Festival gehört auch seine Vertonung von Mira Lobes
das kleine ICH BIN ICH (30.10.–1.11.). In der Inszenierung von netzzeit bekommt der Klassiker der Identitätssuche
ganz neue (Klang)Farben. Das Stück wird auch auf Arabisch und Farsi gezeigt. Als zweite große Musiktheaterproduktion
für junges Publikum im Dschungel Wien präsentiert Studio Dan Planet Globokar (10.–12.11.), eine liebevolle
Erkundung der Klangwelt des Posaunen-Pioniers Vinko Globokar. Dazu kommen weitere Projekte für SchülerInnen
mit Terz und der IGNM-Initiative Junge Musik.
Zahlreiche Kooperationen
Das IGNM-Projekt Comprovise (Brick-5, 19.–21.11.), die dreiteilige Reihe Excuse my Dust des Vereins .akut (Alte
Schmiede 13.11., Odeon 14.11., Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste 25.11.), das Porträt
Gerhard Rühm (Alte Schmiede 13.11.), die experimentelle Musiktheater-Trilogie Ökonomien des Handelns
(brut 24./26./28.11.) und die Begleitveranstaltungen in der mdw Rahmenhandlung gehören zu den prominentesten
Kooperationen, die die ästhetische Vielfalt des Festivalprogramms prägen. Das Ensemble PHACE, das Ensemble
Kontrapunkte, die Company of Music und œnm . österreichisches ensemble für neue musik gestalten eigene
Konzerte.
Abschlusskonzert am 30.11.
Die visionäre letzte Symphonie des wiederzuentdeckenden Jubilars Karl Schiske, das virtuose neue Klavierkonzert
von James Clarke, Olga Neuwirths u.a. von Jerry Lewis’ Schreibmaschinen-Sketch inspiriertes neues Schlagzeugkonzert
und der ursprünglich Wien betitelte Weltkriegswalzer von Maurice Ravel stehen beim Abschlusskonzert am 30.11.
im Konzerthaus auf dem Programm. Seattle-Symphony-Chefdirigent Ludovic Morlot gibt hier sein Debüt mit den
Wiener Symphonikern, auf der Bühne stehen gleich zwei mitreißende Solisten: Nicolas Hodges am Klavier
sowie der Schlagzeugstar Martin Grubinger.
Neben dem vor 100 Jahren geborenen Schiske werden übrigens mit den Komponisten Friedrich Cerha, György
Kurtág, Hans Zender, Steve Reich und Sofia Gubaidulina bei Wien Modern 2016 ungewöhnlich viele prominente
runde Geburtstage im Festival gefeiert.
Eröffnungskonzert am 3.11.
Den Auftakt macht beim Eröffnungskonzert das RSO Wien im Wiener Konzerthaus mit einem überirdisch strahlendem
c-moll-Akkord in Georg Friedrich Haas’ neuem Konzert für Posaune und Orchester und der Uraufführung der
IV. Symphonie von Jorge E. López. Bei so viel „sprechender Musik“ wird übrigens heuer auf die Eröffnungsansprache
verzichtet.
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