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Wien (pk) – Die parlamentarische Auseinandersetzung um CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und
Kanada, fand am 19.10. im EU-Hauptausschuss seine Fortsetzung. Der Ausschuss trat im Vorfeld des kommendes Rats
am 20. und 21.10. zusammen. Bundeskanzler Christian Kern wiederholte seine Beweggründe für die letztendliche
Zustimmung der SPÖ, CETA zu unterschreiben und wurde darin von SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder sowie
vom außenpolitischen Sprecher der SozialdemokratInnen, Josef Cap, uneingeschränkt unterstützt.
Mit der rechtsverbindlichen Zusatzerklärung werde festgelegt, dass die Daseinsvorsorge und die Dienstleistungen
in nationaler Kompetenz bleiben, betonte Kern; es werde festgehalten, dass die regulatorische Zusammenarbeit ausschließlich
auf Freiwilligkeit beruht, keine rechtsverbindlichen Akte setzen kann und zu keiner Verschlechterung der Standards
führen darf; schließlich werde auch das Vorsorgeprinzip außer Streit gestellt. Die Investitionsgerichte
würden die ursprünglichen Schiedsgerichte mit den ISDS-Klauseln ersetzen und fallen auch nicht in die
vorläufige Anwendung des Abkommens, so die Erklärung Kerns. Der Ratifizierungsprozess wird laut Bundeskanzler
einige Zeit in Anspruch nehmen, in dieser Zeit werde es ein bis zwei Review-Perioden geben und die müsse man
nützen, um in Bezug auf die Investitionsgerichte noch offene Punkte aus der Sicht Österreichs zu klären.
Grüne sehen Bedingungen des Nationalrats für CETA nicht erfüllt
Dieser Interpretation konnte sich Werner Kogler von den Grünen in keiner Weise anschließen. Er erinnerte
in diesem Zusammenhang auch an die einheitliche Stellungnahme der Bundesländer, in der vor allem auch die
Schiedsgerichte abgelehnt werden, sowie an die Stellungnahme des EU-Unterausschusses vom 22. Juli 2016, die auf
diese Erklärung der Länder Bezug nimmt. Der Investitionsschutz sei noch immer im Abkommen enthalten,
sagte Kogler, es handle sich lediglich um eine andere Form. Das Schiedssystem müsse jetzt - nämlich vor
der Unterzeichnung - noch herausgenommen werden. Später sei das realpolitisch nicht mehr möglich, dann
könnten die Abgeordneten dem Abkommen nur mehr in seiner Gesamtheit zustimmen oder es ablehnen. Auch werde
das in Europa geltende Vorsorgeprinzip durch den wissenschaftsbasierten Ansatz im Abkommen durchbrochen, argumentierte
Kogler weiter und meinte, das könne sich der Nationalrat nicht gefallen lassen. Wenn die Regierung von einem
Auftrag, wie in der genannten Stellungnahme abgeht, dann müsse das die Regierung laut Geschäftsordnung
den Abgeordneten gegenüber erklären.
Kogler stellte daher den Antrag, den EU-Unterausschuss nochmals mit CETA zu befassen, wofür er jedoch keine
ausreichende Unterstützung fand. Lediglich FPÖ und Team Stronach folgten dieser Forderung; SPÖ,
ÖVP und NEOS lehnten diese mehrheitlich ab.
SPÖ verteidigt ihre Linie zu CETA
Die Forderungen der Landeshauptleute seien erfüllt, konterte Andreas Schieder, denn man habe bei der Kommission
durchsetzen können, CETA als ein gemischtes Abkommen zu qualifizieren, wodurch es von den nationalen Parlamenten
ratifiziert werden muss. Schieder ging nochmals detailliert auf die Zusatzerklärung (gemeinsame Auslegungserklärung)
ein, deren Rechtsverbindlichkeit er unterstrich. Die Daseinsvorsorge und die Dienstleistungen blieben nationale
Kompetenzen, soziale sowie ökologische Standards seien gesichert. Was die Investitionsgerichtsbarkeit betrifft,
so werde die endgültige Ratifizierung durch das österreichische Parlament davon abhängig sein, wie
diese schlussendlich ausgestaltet sind. Die derzeitige Genehmigung von CETA und der kommende Ratifizierungsprozess
seien zwei verschiedene Paar Schuhe, hielt Schieder fest. Für ihn ist es auch wesentlich, dass alles, was
das deutsche Verfassungsgericht in Karlsruhe verlangt, auch für Österreich gilt, wobei für ihn der
wichtigste Punkt darin liegt, dass man die vorläufige Anwendbarkeit auch einseitig beenden kann.
Dass die SPÖ mit CETA aber keine uneingeschränkte Freude hat, war aus den einzelnen Wortmeldung deutlich
zu erkennen. Der Bundeskanzler stellte grundsätzlich gegenüber den beiden ÖVP-Abgeordneten Hermann
Schultes und Wolfgang Gerstl klar, dass er grundsätzlich nichts gegen Freihandelsabkommen habe - er sei "total
für den Freihandel", aber dagegen, dass dadurch den Staaten Souveränitätsrechte entzogen werden.
CETA - und in viel größerem Ausmaß TTIP - entsprechen den traditionellen Freihandelsabkommen nicht
mehr, erklärte Kern, sie gingen weit darüber hinaus, indem sie in staatliche Regulierungsaufgaben eingriffen.
Würde CETA nur mit Österreich abgeschlossen, hätte er nicht unterschrieben, ließ Kern aufhorchen.
Hier sei aber auf europäischer Ebene zu handeln gewesen und hier brauche man den Konsens. Es gehe auch darum,
europäische Verantwortung wahrzunehmen und man brauche auch, um österreichische Interessen durchsetzen
zu könne, Bündnispartner, etwa beim Thema Stahldumping. Bei CETA sei es jedenfalls gelungen, in den letzten
Wochen noch viel zu erreichen – wenn auch nicht 100% - und so sei es notwendig gewesen, eine gewisse Balance zu
halten. Hätte Österreich die Unterzeichnung verhindert, wäre der Schaden nach sechs Jahren Verhandlungen
enorm groß gewesen, sagte Kern; die Glaubwürdigkeit und das europäische Projekt wären beschädigt
gewesen.
SPÖ-Nein zu TTIP
Ein zweites Mal wolle man so etwas nicht mehr mitmachen, hielt der Bundeskanzler fest und deshalb stelle er im
Hinblick auf TTIP bereits zum jetzigen Zeitpunkt klar, dass das, was vorliegt, keine taugliche Grundlage für
eine Zustimmung biete. Im Gegensatz zu CETA sehe TTIP noch immer Schiedsgerichte in alter Form vor, die regulatorische
Zusammenarbeit wollen die Amerikaner nach Aussage Kerns verpflichtend verankert wissen. Offen seien weiter die
Produktbezeichnungen nach den Herkunftsländern, die Marktöffnung sowie Fragen der Kulturgüter und
digitalen Medien. Skeptisch bewertete der Bundeskanzler daher auch die Passage im Entwurf für die Schlussfolgerungen
des Rats, wonach die Verhandlungen zu TTIP rasch abgeschlossen werden sollen. Auch im Hinblick auf das Handelsabkommen
mit Japan äußerte Kern große Zweifel: Der Verhandlungsprozess sei äußerst intransparent,
man verfüge über wenig Informationen.
Diese Feststellung unterstrichen Josef Cap und Andreas Schieder vollinhaltlich. Im Gegensatz zu CETA stehe hinter
TTIP ein Konzept mit geopolitischen Ausmaßen, das versuche, den europäischen Markt an den amerikanischen
anzubinden und die Standards anzugleichen, sagte Cap. Die neue Kanadische Regierung verfolge mit CETA ein anderes
Modell. Er appellierte an die Opposition, das Ganze seriös zu bewerten. Der Bundeskanzler habe sowohl dafür
gesorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs aufrechterhalten bleibt, als auch seine Schutzfunktion
wahrgenommen. Cap zitierte in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des Vizekanzlers gegenüber den Bundesländern,
in der genau aufgelistet ist, was man in den letzten Wochen erreichen konnte und womit man die Bedenken der Landeshauptleute
ausräumen könne. Vor allem werde das ursprünglich geplante private Schiedsgericht mit den sogenannten
ISDS-Klauseln durch ein neues Investitionsgerichtssystem abgelöst, das unabhängige RichterInnen und erstmals
auch eine Berufungsinstanz vorsieht.
ÖVP und NEOS zweifeln positive Grundeinstellung Kerns zu Handelsabkommen an
Kern sah sich deshalb zu dieser ausführlichen Betrachtung veranlasst, weil ÖVP-Abgeordneter Hermann Schultes
sowie NEOS Abgeordneter Rainer Hable die positive Grundeinstellung des Kanzlers zu Handelsabkommen in Frage gestellt
hatte. Schultes begrüßte - wie auch sein Klubkollege Wolfgang Gerstl - CETA als wichtig für die
österreichische Volkswirtschaft und er regte angesichts der teils negativen Debatte in der Öffentlichkeit
an, den Erfolg der österreichischen Handelspolitik, die auch durch solche Abkommen unterstützt wird,
der österreichischen Bevölkerung zu erklären. Schultes hält auch ein derartiges Abkommen mit
Japan in diesem Sinne für wichtig.
Ebenso erinnerte Rainer Hable daran, dass ein Großteil der österreichischen Arbeitsplätze vom Export
abhängig sind, weshalb er CETA unterstützt. Die Zusatzerklärung hält er für einen Marketing-Gag,
weil das, was diese enthält, ohnehin auch im Vertrag steht. Seiner Meinung nach ist die Vorgangsweise nicht
geeignet, das Vertrauen in die Politik zu stärken.
Als Präsident der Landwirtschaftskammer machte Hermann Schultes (V) jedoch auf den Umstand aufmerksam das
die EU bei Abkommen mit Drittstaaten, etwa mit der Ukraine in keiner Weise die hohen Standards für das Tierwohl
berücksichtigt, das betreffe konkret etwa das Abkommen mit der Ukraine, wodurch insbesondere bei der Geflügelproduktion
ein enormer Preisdruck entstehe. Dieser Kritik schloss sich auch Waltraud Dietrich vom Team Stronach an. Sie wollte
es nicht verstehen das derartige Geflügelfarmen vom Juncker-Fonds finanziert werden, dessen Vorsitzender der
ehemalige österreichische Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer ist.
FPÖ will Volksabstimmung über CETA
Auch die Freiheitlichen positionierten sich nochmals mit ihrem Antrag auf Stellungnahme als Gegner von CETA. Darin
sprechen sie sich gegen die vorläufige Anwendung, den Abschluss und die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens
CETA aus. Der Antrag wurde schließlich mit Mehrheit durch SPÖ, ÖVP und NEOS abgelehnt. In seiner
Wortmeldung bekräftigte der Freiheitliche Klubobmann Heinz-Christian Strache die kritische Haltung seiner
Fraktion zu CETA, insbesondere auch zu den Investitionsgerichten und verlangte einmal mehr eine Volksabstimmung
darüber. Er stellte auch die Rechtsverbindlichkeit der Zusatzerklärung in Frage.
Grüne fordern einheitliches und nachhaltiges EU-Asylsystem
Weiteres zentrales Thema in dieser Sitzung bildete einmal mehr die Frage der Flüchtlingsströme nach Europa.
Dazu legte Alev Korun seitens der Grünen ebenfalls eine Antrag auf Stellungnahme vor, in dem sie sich für
die Schaffung eines einheitlichen und nachhaltigen EU-Asylsystems einsetzte. Kennzeichnend für ein solches
System sollte in erster Linie ein fairer, verbindlicher Verteilungsmechanismus ankommender Asylsuchender zwischen
allen EU-Mitgliedsstaaten sein; zudem sollten Rücknahmeabkommen auf diplomatischer und politischer Ebene ausverhandelt
werden, wobei sich Korun dezidiert dagegen aussprach, entwicklungs- und handelspolitische Maßnahmen als Druckmittel
einzusetzen. Um Fluchtursachen und Sekundärmigration effektiv entgegenzuwirken, sprechen sich die Grünen
für signifikante EU-Investitionen in Herkunfts- und Transitländern aus.
Die Koppelung von Abschiebeabkommen an entwicklungs- und handelspolitische Maßnahmen nannte Korun als sachwidrig
und kontraproduktiv, denn wenn Gelder fehlen, die der Armutsminderung und stabileren Verhältnissen dienen
und der Korruption entgegenwirken sollen, werde es noch mehr Migration geben, warnte sie. Außenminister Sebastian
Kurz meinte hingegen, es sei notwendig, Druck auf jene Staaten auszuüben, die nicht bereit sind, ihre illegal
nach Europa eingereisten StaatsbürgerInnen zurück zu nehmen. Das sei nur über die Streichung von
Subventionen und EZA-Gelder möglich. Der Außenminister räumte aber ein, dass es in dieser Frage
innerhalb der EU keine einheitliche Linie gibt.
Der Bundeskanzler berichtete dazu, dass es Fortschritte bei der Implementierung des EU-Außengrenzschutzes
gebe, das Hauptaugenmerk liege derzeit auf der bulgarisch-türkischen und griechisch-türkischen Grenze
sowie an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien. Um die irreguläre Invasion über das Mittelmeer
einzugrenzen, werde man mit einigen afrikanischen Staaten Wirtschaftshilfen und Rückführungsabkommen
verhandeln, zur Absicherung der östlichen Mittelmeerroute gebe es eine Vereinbarung mit Afghanistan sowie
eine verstärkte Kooperation mit dem Libanon und Jordanien.
Kurz: MigrantInnen an den EU-Außengrenzen stoppen
Die fehlenden Rücknahmeabkommen mit einzelnen Staaten standen auch immer wieder im Mittelpunkt der Wortmeldungen
(Heinz-Christian Strache, Rainer Eugen Bösch, Jessi Lintl, Walter Rosenkranz – alle F und Waltraud Dietrich
– T). Sie forderten alle, solche Abkommen möglichst bald abzuschließen. Waltraud Dietrich meinte dazu,
dass die EU aber genau kontrollieren müsse, was mit den Geldern geschieht, wenn man diese Länder für
Ausbildung, Wirtschaft etc. finanziell unterstützt. Rainer Hable (N) wiederum zog in Zweifel, ob eine solche
Politik nicht den umgekehrten Effekt haben könnte, nämlich möglichst viele Menschen nach Europa
zu schicken, um diese dann wieder zurück zu nehmen, weil man damit noch mehr Geld bekommt. Außenminister
Sebastian Kurz gab zu bedenken, dass man mit Rückführungsabkommen nicht alle Probleme lösen könne.
So gebe es trotz bestehender Abkommen mit einigen Ländern Probleme, es gebe aber auch Fälle, wo alles
klaglos ohne Abkommen funktioniere.
Gegenüber FPÖ-Abgeordnetem Reinhard Eugen Bösch wiederholte der Minister seine Überzeugung,
dass man MigrantInnen an der Außengrenze abhalten müsse. Solange dies nicht geschehe, werde es Schlepper,
illegale Migrationsströme und Ertrinkende im Meer geben. Sobald der Weg nach Mitteleuropa nicht mehr möglich
ist, machen sich die Menschen nicht mehr in so großer Zahl auf den Weg, zeigte er sich überzeugt.
Visafreiheit für türkische StaatsbürgerInnen bleibt umstritten
Was das Abkommen mit der Türkei betrifft so sieht der Bundeskanzler im Hinblick auf die Visafreiheit wesentliche
Verpflichtungen durch die Türkei nicht erfüllt. In diesem Sinne hält auch Außenminister Kurz
die Eröffnung weiterer Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen als einen falschen Weg, da sich die Situation
in der Türkei in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte verschlechtert. In der Debatte warnten
vor allem Klubobmann Heinz-Christian Strache und Reinhard Eugen Bösch (beide F) vor der Visafreiheit für
türkische StaatsbürgerInnen. Rainer Hable von den NEOS bezeichnete das Abkommen mit der Türkei an
sich als ein halbfertiges Produkt und bezweifelte, dass dieses langfristig erfolgreich sein wird.
Österreich gegen Erweiterung der Russland-Sanktionen
Thema im Ausschuss waren auch der Syrien-Konflikt und die Russlandpolitik. Bundeskanzler Kern und Außenminister
Kurz waren sich darin einig, dass Syrien nicht ohne Russland gelöst werden könne. Sie sprachen sich daher
gegen eine Erweiterung der Russland-Sanktionen aus. Man müsse jetzt den Weg der Deeskalation gehen, sagte
Kurz, und versuchen, das Gespräch in der Kontaktgruppe fortzusetzen. Diese Linie wurde explizit von Andreas
Schieder (S), Josef Cap (S), Rouven Ertlschweiger (V) und Waltraud Dietrich (T) unterstützt. Es gehe nicht
an, dass man die Türkei trotz Menschenrechtsverletzungen hofiert und Russland weiter mit Sanktionen belegt,
meinte beispielsweise Waltraud Dietrich (T).
Auf die Frage von Christine Muttonen (S), ob es Überlegungen zu einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur
gebe, bemerkte der Außenminister, die EU sollte mehr Gewicht auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik
geben, wobei er positiv vermerkte, dass die EU ein Friedensplayer und keine Militärmacht sei. Von dem Ziel,
um die EU einen Ring der Stabilität zu schaffen, sei man jedoch derzeit weit entfernt. Die Tatsache, dass
die einzelnen EU-Länder auch unterschiedliche Zugänge haben, mache eine kohärente Außenpolitik
umso schwieriger.
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