Die große Herbstausstellung des Belvedere rückt die Entwicklung der Malerei in den
Jahren zwischen 1830 und 1860 in den Mittelpunkt – von 21. Oktober 2016 bis 12. Februar 2017 im Unteren Belvedere
Wien (belvedere) - Im Zentrum steht die österreichische Malerei, respektive die Kunstentwicklung in
der Kaiserstadt Wien, gezeigt werden Porträts, Landschaften und Genrebilder. Die Malerei erfährt ihre
erste Blüte in den 1830er-Jahren, wobei deren Strahlkraft bis weit über die Jahrhundertmitte hinaus wirkt,
bis durch den Bau der Ringstraße der Historismus in der österreichischen Kunst Einkehr hält. Die
Ausstellung beginnt also inmitten der historischen Epoche des Biedermeier und ragt weit über deren Ende hinaus.
Aufgrund der kontinuierlichen Entwicklung in der Malerei wird ersichtlich, dass Kunst und Geschichte nur bedingt
aufeinander wirkten. So hinterlässt die Revolution von 1848, mit der die Epoche des Biedermeier bzw. des Vormärz
beendet wurde, lediglich in der Darstellung von dem politischen Ereignis ihre Spuren, nicht aber in maltechnischer
oder kompositorischer Hinsicht.
„Das Belvedere verfügt über einen der weltweit bedeutendsten Sammlungsbestände österreichischer
Kunst des 19. Jahrhunderts, darunter große Meisterwerke der Kunstgeschichte. Es war mir daher ein besonderes
Anliegen, diese historische Epoche von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus neu zu betrachten. Die aktuelle
Ausstellung 'Ist das Biedermeier? Amerling, Waldmüller und mehr' präsentiert den Besuchern die Malerei
zwischen 1830 bis 1860 nun aus einem völlig neuen Blickwinkel und bewirkt vielleicht, dass der Begriff des
'Biedermeier' in der Malerei zukünftig mit mehr Bedacht verwendet wird. Denn die großartigen Leistungen
jener Künstler, die bisher dem Biedermeier zugeschrieben wurden, gehen weit über diese historische Epoche
hinaus“, so Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere.
Die Frage „Ist das Biedermeier?“ zieht automatisch die Gegenfrage nach sich: „Was will das Publikum als Biedermeier
sehen?“
Das Denken der Zeit äußert sich in der Themenwahl und nicht in der stilistischen Entwicklung der
Malerei. Dargestellt werden Szenen aus dem bürgerlichen Leben. Waldmüllers Fronleichnamsmorgen (1857),
Reisigsammler im Wienerwald (1855) oder Vorfrühling im Wienerwald (1861, alle Belvedere, Wien) gelten, obwohl
sie lange nach dem Ende der Biedermeierepoche entstanden sind, aus einer Gewohnheit heraus nach wie vor als die
Beispiele einer Biedermeiermalerei. Dabei zählen diese Werke in jeder Beziehung, also hinsichtlich der Behandlung
des Lichts, der räumlichen Gestaltung und des Erzählgehaltes auch im internationalen Kontext zu den Höhepunkten
der realistischen Genremalerei.
Um diese eingefahrenen Denkschemata aufzulösen, sind in der Ausstellung Werke zu sehen, deren Themen und Erscheinungsbild
sehr unterschiedlich sind, obwohl sie alle aus dem genannten Zeitraum stammen. Vor dem Hintergrund einer gemeinsamen
Basis wurden Maler gewählt, deren Geburtsjahr zwischen 1790 und 1820 liegt, deren künstlerische Ausbildung
einem ähnlichen Denken entspringt und deren Entwicklung aus diesem Grunde auch unter vergleichbaren Bedingungen
verlief.
Außerdem konzentriert sich die Auswahl nicht nur auf österreichische Maler, sondern reicht über
die Grenzen des heutigen Österreich hinaus bis nach Oberitalien, Slowenien, nach Ungarn und Tschechien. Auf
dieser Basis ist eine Zusammenschau der Kunstentwicklung in der Mitte des 19. Jahrhunderts im gesamten Gebiet von
Österreich und der habsburgischen Kronländer gegeben. Die Objektauswahl wurde in Absprache mit Wissenschaftlern
in den betreffenden Ländern vorgenommen, um einen repräsentativen Überblick zu gewährleisten.
„Von großem Interesse sind vor allem jene Künstler, deren Arbeiten eine hohe Eigenständigkeit aufweisen
und damit den traditionellen akademischen Vorgaben entgegenwirkten. Als herausragendes Beispiel ist hier Friedrich
von Amerling zu nennen, der mit seinen einfigurigen Genrebildern eine einzigartige Stellung im Wiener Umfeld einnahm“,
so Kuratorin Sabine Grabner. Von großer Folgewirksamkeit waren auch Josef Danhausers ideenreiche Bilderzählungen,
desgleichen die hervorragenden Porträts und Genrebilder des aus Ungarn stammenden und hauptsächlich in
Wien wirkenden József Borsos, die kraftvollen Landschaftsdarstellungen des tschechischen Malers Bedrich
Havránek, die vorzüglich ausgeführten Figuren des in Mailand wirkenden Francesco Hayez, die vielfältigen
Menschendarstellungen des Oberösterreichers Johann Baptist Reiter, sowie die ausdrucksstarken Porträts
des in Görz/Gorizia geborenen und in Triest arbeitenden Giuseppe Tominz. „Eine Sonderstellung nimmt der Wiener
Ferdinand Georg Waldmüller ein, der sowohl mit seinen Porträtdarstellungen, als auch mit den Landschaftsansichten
und Figurenbildern eine Vorreiterrolle innehatte. Waldmüller war es auch, der noch während der Biedermeierzeit
in seinen Bildern auf die Verelendung der Bevölkerung am Rande der Gesellschaft hinwies und mit seinen Darstellungen
die Situation von Pfändungen, Delogierungen oder Kinderarbeit thematisierte“, ergänzt Sabine Grabner.
Die Ausstellung im Unteren Belvedere zeigt neben hochkarätigen Leihgaben aus öffentlichen und privaten
Sammlungen in Italien, Deutschland, Slowenien, Tschechien und Ungarn auch eine Auswahl von rund fünfzig Werken
aus der Sammlung des Belvedere, das im Besitz der weltweit größten Biedermeiersammlung ist.
Als Ergänzung zu den Gemälden wird auch der Möbelproduktion und ihrer Entwicklung ab den 1830er-Jahren
innerhalb der Schau Platz eingeräumt. Eine Reihe von Sitzmöbeln verweist auf den vielfältigen Stilwandel
vom Biedermeier zum Zweiten Rokoko und darüber hinaus, was einen Vergleich mit den in den Bildern dargestellten
Objekten ermöglicht.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Sprache. Artikel über die Malerei in Österreich
und in den habsburgischen Kronländern sowie zur Entwicklung der Möbelproduktion im betreffenden Zeitraum
werden erweitert durch sachkundige Berichte über das zeitgenössische Kunstgeschehen in Frankreich, England,
Dänemark und Deutschland.
Im Rahmen der Ausstellung sind Besucher dazu eingeladen, sich ebenfalls mit der Frage „Ist das Biedermeier?“ zu
beschäftigen. Unter dem Hashtag #DasistBiedermeier können Besucher ihre Antworten auf den Social Media
Kanälen des Belvedere veröffentlichen. Ein Selfie Point im Marmorsaal lädt ein, das perfekte Biedermeierfoto
zu machen.
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