Ausführliche Sicherheitsdebatte im Innenausschuss des Nationalrats
Wien (pk) - Mit der Kriminalitätsstatistik des Jahres 2015 ist Innenminister Wolfgang Sobotka zufrieden.
Die Zahl der angezeigten Straftaten ging zurück, gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote. Ob das im Jahr
2016 auch so sein wird, ist allerdings fraglich. Für 2016 gebe es andere Vorzeichen, sagte der Minister am
18.10. bei der Debatte über den Sicherheitsbericht 2015 im Innenausschuss des Nationalrats. Auch Justizminister
Wolfgang Brandstetter erwartet weniger erfreuliche Daten. Ihm bereitet außerdem das ansteigende Aggressionspotential
in Haftanstalten Sorgen. Insgesamt diskutierten die Abgeordneten fast dreieinhalb Stunden über den Sicherheitsbericht
und aktuelle Themen aus dem Zuständigkeitsbereich des Innenressorts, die Beratungen über die geplante
Enteignung von Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn wurden danach aus Zeitgründen vertagt.
Laut Sobotka zeigen aktuelle Daten von 2016, dass die Zahl der AsylwerberInnen unter den ermittelten Tatverdächtigen
steigt. Demnach wurden bisher 17.869 tatverdächtige AsylwerberInnen ausgeforscht, was einem Anteil von 8,4%
an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen bzw. einem Anteil von 21% an den ausländischen Tatverdächtigen
entspricht. 2012 sei die letztgenannte Quote noch bei 10% gelegen. Für 2015 werden im Sicherheitsbericht 14.458
tatverdächtige AsylwerberInnen bzw. eine Quote von 15,5% an den fremden Tatverdächtigen ausgewiesen.
Besonders auffällig ist Sobotka zufolge etwa die hohe Zahl der Suchtmitteldelikte von AsylwerberInnen aus
den Maghreb-Staaten und insgesamt vom afrikanischen Kontinent.
Eine besondere Herausforderung für das Innenministerium ist laut Sobotka auch die Cyberkriminalität.
Dem Innenministerium fehlten die notwendigen technischen und rechtlichen Voraussetzungen, um mit den Tätern
auf gleicher Augenhöhe operieren zu können, sagte er und plädierte in diesem Zusammenhang erneut
für den Einsatz eines "Bundes-Trojaners". Besonders das "Darknet" macht dem Minister Kopfzerbrechen.
Den mutmaßlichen Schaden österreichischer Unternehmen durch nachrichtendienstliche Kriminalität
wie Wirtschaftsspionage bezifferte er mit 1 Mrd. €.
Dass die Zahl der Anzeigen im vergangenen Jahr zurückgegangen ist und die Aufklärungsquote gesteigert
werden konnte, führt Sobotka nicht zuletzt auf die Präventionsarbeit der Polizei zurück, auch wenn
"das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist". Auch beim Kampf gegen islamistischen Extremismus
und Terrorismus hält er präventive Maßnahmen wie die Deradikalisierungshotline, strikte Grenzkontrollen
und die Fluggastdatenspeicherung für wichtig. Zudem sei es nötig, die internationale Zusammenarbeit weiter
zu intensivieren. Die Zahl der österreichischen "foreign terrorist fighters" gab Sobotka mit 290
an, 51 davon seien derzeit als Rückkehrer im Inland. 85 der 290 wurden gehindert, aus Österreich auszureisen.
Starker Anstieg bei angezeigten Demonstrationen
Immer mehr Polizeiressourcen werden laut Sobotka durch Demonstrationen gebunden. Die Zahl der angezeigten Demonstrationen
in Österreich ist demnach im vergangenen Jahr von rund 11.800 auf mehr als 16.000 gestiegen. Erfolge gibt
es laut dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit Konrad Kogler bei der Zurückdrängung
der organisierten Form der Bettelei.
Mutmaßungen von FPÖ-Abgeordnetem Walter Rosenkranz, wonach die versprochene personelle Aufstockung der
Polizei lediglich auf dem Papier besteht, wies Sobotka zurück. Man werde die zugesagten zusätzlichen
2.000 PolizistInnen "spielend erreichen", bekräftigte er und präsentierte entsprechende Zahlen.
Demnach hat es im Jahr 2015 bei der Polizei 713 Pensionsabgänge und 894 Neuaufnahmen gegeben. Heuer werden
es 724 Pensionsabgänge und 1.660 Neuaufnahmen sein, davon 765 PolizistInnen für den Grenzeinsatz. 2017
werden 1.575 Neuaufnahmen, davon rund 250 für den Grenzeinsatz, 802 Pensionierungen gegenüberstehen.
Haftanstalten kämpfen mit Kapazitätsproblemen und steigender Aggression
Was die vom Justizministerium zum Sicherheitsbericht beigesteuerten Zahlen betrifft, gab es laut Justizminister
Wolfgang Brandstetter 2015 in Bezug auf das Verhältnis von Verfahrenseinstellungen, Diversionen, Verurteilungen
und Freisprüchen keine Auffälligkeiten. Allerdings steigt der Anteil der AusländerInnen an den Häftlingszahlen
immer weiter an. Bereits 60% der Haftinsassen sind mittlerweile Nicht-ÖsterreicherInnen. Dagegen ist der Frauenanteil
mit 5,9% relativ niedrig.
Bewährt hat sich laut Brandstetter die Jugendgerichtshilfe. Die Zahl der jugendlichen U-Häftlinge konnte
stark reduziert werden. Aktuell bereiten den Minister aber Kapazitätsprobleme und der deutliche Anstieg des
Aggressionspotenzials in Haftanstalten erhebliche Sorgen. Ein besonderes Problem ist dabei die hohe Zahl von inhaftierten
Schleppern, auch wenn die Spitze mittlerweile überwunden sei, wie Brandstetter ausführte. Zeitweise waren
von den insgesamt rund 9.000 Haftplätzen in Österreich 800 mit Schleppern belegt.
Das in der EU geltende Regelwerk in Bezug auf die Rückführung von ausländischen Häftlingen
in ihr Heimatland funktioniert nach Darstellung des Ministers grundsätzlich gut. Österreich sei da sehr
dahinter, sagte er auf eine Frage von ÖVP-Abgeordnetem Wolfgang Gerstl. 2015 habe man etwa 150 Häftlinge
nach Rumänien und 50 nach Bulgarien überstellt.
Um die Ursachen des starken Anstiegs rechtsextremer Straftaten zu finden, müsste man Brandstetter zufolge
ausführlichere Studien machen. Als einen Grund sieht er jedenfalls, dass die Strafjustiz in Sachen Hasspostings
sensibler geworden ist. Für 2016 rechnet er mit einem erneuten Anstieg der Verurteilungen, weil der Tatbestand
der Verhetzung verschärft wurde. Innenminister Sobotka verwies unter anderem auf die eingerichtete Meldestelle
sowie auf die verstärkte Sensibilisierung der Bevölkerung, was Beschmierungen und andere Delikte betrifft.
Das führe auch zu mehr Anzeigen.
Sonderverordnung zur Flüchtlingsobergrenze "in Endredaktion"
Die Sonderverordnung zur Umsetzung der Flüchtlingsobergrenze befindet sich laut Sobotka in der Endredaktion
und soll in den nächsten Tagen mit der SPÖ abgeglichen werden. Er bestätigte allerdings, dass der
vereinbarte Deckel noch nicht erreicht ist. Derzeit gibt es 28.298 zugelassene Asylanträge. Die Flüchtlinge,
die von Deutschland aufgrund des Dublin-Systems nach Österreich zurückgeschoben werden, sind in dieser
Zahl eingerechnet, wie Sobotka gegenüber Christoph Hagen (T) erklärte.
Die derzeitige durchschnittliche Verfahrensdauer von Asylanträgen gab der Innenminister mit 8,2 Monaten an.
Er hofft bis zum Jahr 2018 wieder auf die Normalzeit von vier Monaten zurückkehren zu können. Dass einzelne
AsylwerberInnen oft monatelang auf das Erstgespräch warten, führt er auf die Priorisierung anderer Asylanträge
zurück.
Vom Durchgriffsrecht zur Schaffung von Asylquartieren hat das Innenministerium laut Sobotka bisher 14 Mal Gebrauch
gemacht und damit 3.800 Plätze geschaffen. Etliche Quartiere des Bundes stünden derzeit aber leer. Was
die Quotenerfüllung durch die Bundesländer betrifft, liegen Wien und Vorarlberg, in absoluten Zahlen
gesehen, über dem Schlüssel, die anderen Länder darunter. Erfreulich ist für den Innenminister,
dass mittlerweile zwei Drittel aller Gemeinden AsylwerberInnen aufgenommen haben. Im Jahr 2015 außer Landes
gebracht wurden seiner Information nach 8.355 Personen, davon ein Drittel zwangsweise.
Sobotka will Fremdenrecht verschärfen
Von FPÖ-Abgeordneter Dagmar Belakowitsch-Jenewein auf die Pläne des Innenressorts zur Verschärfung
des Fremden- und Asylrechts angesprochen, skizzierte Sobotka das Vorhaben, hohe Verwaltungsstrafen für Personen
einzuführen, die trotz eines fehlenden Aufenthaltstitels nicht in ihr Heimatland zurückkehren, obwohl
sie die Möglichkeit dazu haben. Geplant sind Verwaltungsstrafen zwischen 5.000 und 15.000 € bzw. Ersatzhaftstrafen
von bis zu sechs Wochen. Keine Indizien sieht Sobotka, dass Italien AsylwerberInnen verstärkt gegen Norden
ziehen lasse. Vielmehr seien die Aufgriffszahlen in Tirol rückläufig.
Als Alternative zur geltenden Dublin-Regelung strebt Sobotka ein System der flexiblen Solidarität an, wie
er gegenüber Grün-Abgeordneter Alev Korun erläuterte. Eine rein numerische Aufteilung zwischen den
EU-Ländern sei aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage und der Arbeitsmarktsituation in den einzelnen
Staaten nicht sinnvoll.
Gegenüber den ÖVP-Abgeordneten Wolfgang Gerstl und Martina Diesner-Wais hielt Sobotka fest, dass durch
das Projekt "Gemeinsam Sicher" das Sicherheitsgefühl in den fünf Pilotregionen gestiegen sei.
Ob die Deliktrate dauerhaft gesenkt werden kann, könne man aber noch nicht beurteilen.
Innere und äußere Sicherheit bleiben getrennt
Bedenken von Grün-Abgeordnetem Peter Pilz, wonach das Verteidigungsministerium dabei sei, eine "schwere
Polizei" aufzubauen, teilte Sobotka nicht. Ihm seien keine Pläne bekannt, dass das Bundesheer Aufgaben
sicherheitspolizeilicher Natur im Inneren übernehmen wolle, sagte er. Die Trennung zwischen innerer und äußerer
Sicherheit werde auch in Zukunft weiter geführt. Man habe lediglich eine Bewachung der Botschaften durch das
Bundesheer vereinbart, wobei es sich dabei um eine Ermächtigung der Regierung handle, die jederzeit wieder
zurückgezogen werden könne. Im Krisenfall solle das Bundesheer überdies die kritische Infrastruktur
schützen. In konkrete Beschaffungsvorhaben des Heeres im Sinne einer "crowd and riot control" sei
das Innenressort nicht eingebunden.
Pilz hatte zuvor vor bedenklichen Entwicklungen im Bundesheer gewarnt. Er glaubt zwar nicht, dass Verteidigungsminister
Doskozil einen missbräuchlichen Einsatz des Heeres zur Verhinderung von Demonstrationen plant. Man wisse aber
nicht, wer in Zukunft das Verteidigungsministerium führen werde, warnte er. Besorgniserregend ist für
Pilz außerdem die "Explosion" der rechtsextremistischen Straftaten, wobei er in diesem Zusammenhang
auch auf zahlreiche Hasspostings auf der Facebook-Seite von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verwies.
Alev Korun (G) verwies unter anderem auf die starke Zunahme bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten und
warf Sobotka vor, mit Abschottungsfantasien und Abschottungsmaßnahmen eine gemeinsame EU-Migrations- und
Asylpolitik zu torpedieren. Zudem kritisierte sie, dass das private Flüchtlingsbetreuungsunternehmen ORS zuletzt
deutlich mehr als 2 Mio. € Gewinn gemacht habe, während tausende BürgerInnen Flüchtlinge ehrenamtlich
betreuen.
Seitens der NEOS hinterfragte Nikolaus Alm den Fokus des Innenministers auf die Kriminalität von AsylwerberInnen.
Seiner Meinung nach wäre es wichtiger, der steigenden Cyberkriminalität stärkeres Augenmerk zu widmen.
Diese richte sich immer mehr auch gegen kleine und mittlere Unternehmen. FPÖ-Abgeordneter Philipp Schrangl
sprach einige statistische Ausreißer im Sicherheitsbericht an, etwa eine Steigerung beim Delikt Sachwucher
um mehr als 1.000%. Letztere ist laut Sobotka nur statistisch auffällig und auf eine einzelne Tätergruppe
zurückzuführen.
Angesichts des heutigen Europäischen Tages gegen Menschenhandel machte SPÖ-Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig
darauf aufmerksam, dass jährlich 1,6 Millionen Mädchen und Frauen Opfer von Menschenhandel werden. Österreich
sei Transitland und Zielland zugleich. Ihr Fraktionskollege Rudolf Plessl sprach die geplante Novelle zum Waffengesetz
an, wobei er noch etliche Fragen ungeklärt sieht.
Laut Sicherheitsbericht ( III-260 d.B. ) war die Zahl der Anzeigen in Österreich 2015 erneut rückläufig.
Unter anderem gingen Wohnungseinbrüche und Kfz-Diebstähle zurück. Es gab aber auch negative Ausreißer
bei einzelnen Deliktgruppen, so nahmen etwa rechtsextremistische und fremdenfeindliche Taten sowie Straftaten im
Bereich Cyberkriminalität deutlich zu. Insgesamt wurden 2015 517.870 Fälle zur Anzeige gebracht, das
sind um 1,9% weniger als 2014. Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote auf 44%. Ein leichtes Minus gab es
auch bei den Verurteilungen, wobei Vermögensdelikte weiter an der Spitze standen. Eine enorme Herausforderung
für das Innenministerium war die hohe Zahl von AsylwerberInnen. Der Bericht wurde mit den Stimmen von SPÖ,
ÖVP und NEOS zur Kenntnis genommen. Er soll auch im Plenum des Nationalrats diskutiert werden.
Aus Zeitgründen vertagt wurden nicht nur die Beratungen über einen Gesetzentwurf betreffend die Enteignung
von Hitlers Geburtshaus ( 1250 d.B.), sondern auch drei Oppositionsanträge. Dabei geht es um die Frage der
Abschiebung straffällig gewordener AsylwerberInnen ( 1619/A(E)), eine Novellierung des Namensänderungsgesetzes
( 1784/A ) und die lückenlose Ausstattung der Exekutive mit stich- und bedingt schussfesten Unterziehschutzwesten
( 1798/A(E) ).
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