9., 10. und 11. Tag (28., 29. und 30.10.)

 

erstellt am
31. 10. 16
11:00 MEZ

Wien (öj/mg) - "Eshtebak" (Ägypten/F/VAE/D 2016) wurde von Regisseur Mohamed Diab ins Englische als ‚Clash' übersetzt. Und tatsächlich handelt der Film von dem Zusammenprall verschiedener Lebensweisen in einem ägyptischen Polizeiwagen. Nachdem Hosni Mubarak 2011 entmachtet wurde, kam 2012 der Muslimbruder Mohammed Mursi an die Macht. Gegen ihn erhoben sich jedoch 2013 erneut Proteste, die bislang gewalttätigsten in der Geschichte Ägyptens, wie im Vorspann erklärt wird. Währen dieser bürgerkriegsähnlicher Ausschreitungen geraten Vertreter protestierende Gegner des Präsidenten, Muslimbrüder, amerikanische Journalisten und ein Christ auf engstem Raum aneinander. Bald sehen sie jedoch, dass sie kooperieren müssen, um zu überleben, denn in ihrer Lage kann eine einzige falsche Entscheidung das Todesurteil bedeuten.

Im Rahmen des Special Program Rebellisches Bild zeigt die Viennale kubanische Progragandafilme, die über 30 Jahre lang als Wochenschauen, jeden Donnerstag vor dem Hauptfilm, in den Kinos in allen Regionen Kubas gezeigt wurden. "Noticieros: Programm 1964-65" behandelt den 5. und 6. Jahrestag der Kubanischen Revolution und die damit verbundenen Ansprachen von Fidel Castro und seinem Bruder Raúl vor Tausenden Genossen.

Jan P. Matuszy?ski skizziert in "Ostatnia rodzina" (PL 2016) die Biographie des polnischen Malers Zdzis?aw Beksi?ski, der mit seinen apokalyptischen Bildern in den 1970er Jahren berühmt wurde. Die Handlung basiert auf den Fotographien und Videoaufnahmen, mit denen der Künstler den Alltag seiner Familie dokumentierte: ein manisch-depressiver Sohn, eine liebende Ehefrau und die betagten Mutter und Schwiegermutter, die jeweils ein Zimmer in der neuen Wohnung in einem riesigen Betonblock in den Vostädten von Warschau bewohnen. Und tatsächlich wird man, wenn man der Bedeutung des Titels folgt (dt. "Die letzte Familie") den Eindruck nicht los, die Familie löse sich in der Anonymität der Arbeitersiedlung langsam, aber unaufhaltsam, auf.

"La Fille inconnue" (B/F 2016) ist das neue Filmwerk von Jean-Pierre und Luc Dardenne. Ein unerklärter Mordfall an einer Afrikanerin löst in einer jungen Ärztin Gewissensbisse aus, denn sie hat der Ermordeten die Tür ihrer Praxis nicht aufgemacht. Deswegen macht sich Jenny auf die Suche nach Informationen über die Identität der Unbekannten. Interessanterweise sind es aber nicht ihre Fragen, welche die Menschen zum Sprechen bringen, sondern ihre stille Anwesenheit und Bereitschaft, zuzuhören.

Der neueste Film von Rebecca Zlotowski trägt den Titel "Planétarium" (F/B 2016) und ist einer Begegnung gewidmet, zu der es in der außerfilmischen Realität nie kam, die aber zeigt, wie oft füreinander bestimmte Menschen den richtigen Augenblick verpassen und sich ihrer Gefühle erst bewusst werden, wenn es bereits zu spät ist. Zwei Amerikanerinnen reisen in den 30er Jahren durch Frankreich, wo sie von einem jüdischen Produzenten entdeckt werden. Dieser hat jedoch auch ein persönliches Interesse an ihrer Gegenwart. Die jüngere Schwester soll ihm helfen, seine eigenen Geister kennenzulernen.

In die Rolle der "Personal Shopper" (F/CZ/D 2016) von Olivier Assayas versetzte sich Kristen Stewart, die Assayas bereits bei den Dreharbeiten zu "Clouds of Sils Maria" kennen gelernt hatte. Die Amerikanerin Maureen lebt in Paris, wo sie als Medium auf ein Zeichen von ihrem verstorbenen Zwillingsbruder wartet. Als persönliche Assistentin der prominenten Schauspielerin Kyra (Nora von Waldstätten) ist Maureen ständig auf der Suche nach den neuesten Chanel-Modellen oder Cartier-Schmuck. Als sie plötzlich Nachrichten von jemandem erhält, der genau zu wissen scheint, wo sie sich gerade befindet und was sie tut, ist sie äußerst beunruhigt. Olivier Assayas war es wichtig, darauf hinzuweisen, wie sehr auch wir mit unseren Vorstellungen und unserem Glauben, die Umgebung beeinflussen.

"La millor opció" (E 2016) ist Óscar Pérez' erster Spielfilm. Es ist eine wahre Geschichte, gespielt von dem wahren Helden dieser Geschichte. Eine Suche nach Identität, die durch eine Krankheit ausgelöst wird: Als klar wird, dass der junge Koto, der seit über zehn Jahren bei einer Pflegefamilie im südlichen Katalonien lebt, eine Nierentransplantation braucht, kommt seine richtige Familie nach Spanien. Die Mutter soll die Spenderin sein, aber sie möchte auch ihren Sohn wiedergewinnen. Koto, der bis dato eine europäische Lebensweise führte, sieht sich vor den Kopf gestoßen und verweigert sowohl das regelmäßige Gebet als auch das Essen mit der Hand aus einer gemeinsamen Schale.

Der diesjährige Überraschungsfilm entpuppte sich als ein Roadmovie, in dem die risikoreiche Flucht Pablo Nerudas aus dem Chile des González Videla erzählt wird. Für die Titelrolle in "Neruda" (Chile/Argentinien/F/E 2016) hat Pablo Larraín den chilenischen Schauspieler Luis Gnecco engagiert, die Figur des determinierten Polizisten Peluchoneau wird von dem mexikanischen Multitalent Gael García Bernal verkörpert.

Beim Schnitt von "Homo Sapiens" (A 2016) soll Filmemacher Nikolaus Geyrhalter vor der Entscheidung gestanden haben, ob es ein ruhiger oder ein sehr ruhiger Film wird. Es ist ein ruhiger Film, dennoch fehlt es ihm nicht an Handlung. Hie und da bewegt ein Lüftchen vertrocknete Blätter oder Staubwölkchen, zwei Tauben kreisen unter einem runden Gewölbe, der Schnee tanzt vor der Kamera, Licht und Schatten wechseln einander ab. Geyrhalter reiste um den ganzen Globus, um vom Menschen verlassene Orte zu erkunden. Einige, wie die Siedlungen in Fukushima, scheinen, als würde die Zeit still stehen, man sieht halbvolle Getränkeautomaten, offene, aber menschenleere, Geschäfte, ein vor einem Haus geparktes Auto. An anderen wiederum wuchern Pflanzen und man sieht, wie die Natur sich ihren Raum langsam zurückholt. Dennoch bleibt der ökologische Fußabdruck allzu sichtbar.

"Certain Women" (USA 2016) ist der neue Episodenfilm von Kelly Reichardt. Mit vier Stars (Laura Dern, Michelle Williams, Kristen Stewart und die wunderbar stille Lily Gladstone) erzählt Reichardt die Geschichte von vier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Eine Anwältin, die ihren verzweifelten Klienten nicht loswerden kann, eine Ehefrau, die ihr Traumhaus baut, eine Juristin, die für einen Minijob vier Stunden in eine Richtung pendeln muss, und schließlich eine Pferdepflegerin, die ein plötzlich aufflammendes Gefühl für die besagte Juristin verspürt. All das mit wenig Dialog, aber einer enormen Ausdruckskraft der vier starken Frauen. Für alle "Wendy and Lucy" Fans: "Certain Women" ist Lucy gewidmet.

 

 

 

Margarethe Glac berichtet für das "Österreich Journal" täglich von der VIENNALE
Weitere Informationen:
http://www.viennale.at

 

 

 

 

 

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