Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt im EU-Durchschnitt seit 2013 – Unterschiedliche Konjunktur
sowie Entwicklung des Arbeitskräfteangebots sorgen für länderspezifisch deutlich abweichende Trends
Wien (bank austria) - „Die anhaltende Konjunkturerholung führt in Europa insgesamt zu einer Entspannung
der Lage am Arbeitsmarkt. Neben der positiven Wirkung der Konjunktur ist die Veränderung des Arbeitskräfteangebots
ein ganz entscheidender Faktor für die Entwicklung der Arbeitslosenquote in den einzelnen EU-Mitgliedsländern.
Dabei hat sich seit 2013 ein klares regionales Muster herausgebildet: In vielen süd- und osteuropäischen
Mitgliedsländern hat der Angebotseffekt den positiven Konjunktureffekt unterstützt, während er in
einigen west- und nordeuropäischen Ländern den zumeist positiven Konjunktureffekt – zumindest teilweise
– konterkariert hat“, fasst Chefökonom Stefan Bruckbauer die Ergebnisse einer aktuellen Analyse[1] der Bank
Austria zum europäischen Arbeitsmarkt zusammen.
Auch in Österreich ist das Arbeitskräfteangebot durch eine steigende Frauenbeschäftigung, einen
Anstieg der Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer und durch Zuwanderung gewachsen. „In Österreich
war zwischen 2013 und 2015 der entlastende Konjunktureffekt geringer als der gegenläufige Angebotseffekt,
daher ist die Arbeitslosenquote von 5,4 auf 5,7 Prozent gestiegen. Der positive Konjunktureffekt für sich
allein genommen, hätte die Arbeitslosenquote 2015 auf 4,4 Prozent gesenkt“, errechnet Bruckbauer[2].
Konjunkturerholung senkt Arbeitslosigkeit in Europa – aber nicht überall
Seit 2013 wirkt die Konjunkturerholung positiv auf den Arbeitsmarkt. „Bis 2015 ist die Arbeitslosenquote in der
Europäischen Union im Durchschnitt um immerhin fast 1 ½ Prozentpunkte auf 9,4 Prozent im Jahresdurchschnitt
gesunken. Der rückläufige Trend setzte sich 2016 weiter fort. Ende September betrug die Arbeitslosenquote
in der Europäischen Union saisonbereinigt nur noch 8,6 Prozent. Dahinter steht jedoch eine sehr unterschiedliche
Entwicklung auf den Arbeitsmärkten der einzelnen Länder“, meint Bruckbauer. In den fünf Ländern
Belgien, Finnland, Frankreich, Luxemburg und Österreich lagen die nationalen Arbeitslosenquoten im Jahresdurchschnitt
2015 über dem jeweiligen Vergleichswert von 2013. Dem gegenüber hat sich die Arbeitslosenquote in einigen
EU-Ländern überdurchschnittlich stark verbessert. Zum einen in jenen Ländern, die vor dem Beginn
der Erholung in Europa besonders stark unter der Wirtschaftskrise gelitten hatten, wie etwa Spanien, Irland, Portugal
und Griechenland. Zum anderen auch in vielen osteuropäischen Mitgliedsstaaten, wie unter anderem in Bulgarien
und der Slowakei.
„Je stärker das Wirtschaftswachstum, desto stärker ist im Regelfall auch die Beschäftigung gestiegen
und hat den Arbeitsmarkt entlastet. Für die unterschiedliche Entwicklung der Arbeitslosenquote in den Ländern
der EU seit 2013 ist somit eine unterschiedliche Konjunkturentwicklung hauptverantwortlich“, meint Bank Austria
Ökonom Walter Pudschedl. Im Durchschnitt der EU-28 lag die Wirtschaftsleistung 2015 um 3,3 Prozent real über
dem Jahr 2013. Die Beschäftigtenzahl ist im gleichen Zeitraum um 2,4 Prozent gestiegen. Die fünf Länder
mit steigender Arbeitslosenquote weisen, mit Ausnahme von Luxemburg, eine nur unterdurchschnittlich starke Wirtschaftsentwicklung
und damit zusammenhängend eine unterdurchschnittliche Beschäftigungsdynamik auf. So war in Österreich
die Wirtschaftsdynamik in diesem Zeitraum mit 1,6 Prozentpunkten nur etwa halb so hoch wie im EU-Durchschnitt und
auch die Beschäftigung stieg mit nur 0,9 Prozent gemäß Eurostat-Daten deutlich weniger.
Einfluss des Arbeitskräfteangebots auf die Arbeitslosigkeit
„Der Rückgang der Arbeitslosigkeit in den Ländern der EU bei steigender Wirtschaftsleistung fällt
jedoch geringer aus als der Anstieg der Beschäftigung. Das zeigt, dass neben der Konjunktur auch die Veränderung
des Arbeitskräfteangebots für die Entwicklung der Arbeitslosenquote ausschlaggebend ist“, meint Pudschedl.
In der EU-28 ist zwischen 2013 und 2015 das Arbeitskräfteangebot (Anzahl der Beschäftigten und Arbeitssuchenden)
um 0,8 Prozent bzw. fast zwei Millionen gestiegen. Dabei unterscheidet sich die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots
in den einzelnen Ländern der EU sehr stark voneinander. In 12 der 28 Länder der Europäischen Union
hat das Arbeitskräfteangebot überdurchschnittlich stark zugenommen. In Luxemburg, dem Land mit dem stärksten
Anstieg der Arbeitslosenquote, war auch der Anstieg des Arbeitskräfteangebots mit fast 9 Prozent am stärksten.
Auch Österreich zählt mit einem Plus von 1,4 Prozent zu den Ländern mit einem überdurchschnittlich
starken Zuwachs. In neun Ländern sank das Arbeitskräfteangebot hingegen. Dazu gehören vor allem
einige südeuropäische Länder, wie Spanien, Portugal und Zypern, wo es aufgrund der Wirtschaftskrise
zur Abwanderung von Arbeitskräften kam, sowie osteuropäische Länder, wo das Arbeitskräfteangebot
auch aufgrund struktureller Faktoren, wie hoher Lohndifferenziale zu anderen EU-Ländern und geringer Beschäftigungsmöglichkeiten,
abgenommen hat.
Die Entwicklung der Arbeitslosenquote zwischen 2013 und 2015 war in den EU-Ländern in sehr unterschiedlichem
Ausmaß von der Konjunktur und der Veränderung des Angebots am Arbeitsmarkt bestimmt. In einer Simulation
haben die Ökonomen der Bank Austria die Veränderung der Arbeitslosenquote in eine Konjunktur- und eine
Angebotskomponente[3] zerlegt. „Unsere Aufteilung der Veränderung der Arbeitslosenquote seit 2013 in eine
Konjunktur- und eine Angebotskomponente zeigt für 25 von 28 EU-Mitgliedsländern einen positiven Einfluss
der Konjunktur auf den Arbeitsmarkt. Dagegen begünstigte ein sinkendes Arbeitskräfteangebot nur in neun
Ländern die Lage am Arbeitsmarkt“, so Pudschedl. In Finnland nahm das Arbeitskräfteangebot zu und war
für rund 40 Prozent des Anstiegs der Arbeitslosenquote verantwortlich. In den übrigen vier Ländern
der EU mit einer höheren Arbeitslosenquote als 2013 dämpfte die Konjunktur zwar den Auftrieb der Arbeitslosigkeit.
Der positive Effekt war jedoch nicht stark genug, um die Belastung durch den Zuwachs des Arbeitskräfteangebots
vollständig kompensieren zu können. Bei starrem Arbeitskräfteangebot wäre in Luxemburg durch
die Konjunkturverbesserung sogar ein Arbeitskräftemangel gegeben. In Belgien läge die Arbeitslosenquote
2015 um 0,4 Prozentpunkte unter dem Wert aus 2013 bei 8 Prozent (tatsächlich 8,5 Prozent), in Frankreich sogar
um 2,1 Prozentpunkte tiefer bei 7,8 Prozent (tatsächlich 10,4 Prozent) und in Österreich um einen Prozentpunkt
unter dem Wert von 2013 bei 4,4 Prozent (tatsächlich 5,7 Prozent).
Arbeitskräftemobilität in EU steigt
Der Anstieg des Arbeitskräfteangebots im EU-Durchschnitt betrug 0,8 Prozent bzw. fast 2 Millionen seit
2013. Abzüglich der Zuwanderung aus dem EU-Ausland ist das Arbeitskräftepotenzial in der EU seit 2013
um nicht ganz 1,9 Millionen gestiegen. Davon ist in den einzelnen EU-Ländern zusammengenommen ein Plus von
rund 0,9 Millionen auf den Anstieg der nationalen Erwerbsbevölkerung zurückzuführen. Ein etwas größerer
Zuwachs des Arbeitskräfteangebots um rund 1 Million ist durch EU-Bürger verursacht, die außerhalb
ihres jeweiligen Heimatlandes zusätzlich am Arbeitsmarkt aufgetreten sind. Rund ein Viertel dieser EU-Bürger
stammen aus den alten Mitgliedsländern, der sogenannten EU-15. Die große Mehrheit von rund drei Vierteln
sind EU-Bürger aus den neuen Mitgliedsstaaten. Bedingt durch die vollständige Öffnung der Arbeitsmärkte
für Arbeitskräfte aus den neuen osteuropäischen Mitgliedsländern hat sich die an sich in den
vergangenen Jahren bereits stark gestiegene Mobilität der Arbeitnehmer in Europa zusätzlich erhöht.
Insgesamt weist rund die Hälfte aller EU-Länder eine positive Wanderbilanz bei Arbeitskräften aus
anderen EU-Ländern auf. In Relation zum jeweiligen Beschäftigtenstand war dabei der Zuwachs zwischen
2013 und 2015 in Luxemburg mit 1,6 Prozent, vor Österreich mit 1,3 Prozent und dem Vereinigten Königreich
mit 1,0 Prozent am stärksten.
[1] Die aktuelle Analyse der Bank Austria „Warum die Arbeitslosenquote in Europa
nicht überall sinkt“ ist in deutscher und englischer Sprache auf der Homepage der Bank Austria kostenlos verfügbar
(http://www.bankaustria.at/boersen-und-research-analysen-und-research-oesterreich-wirtschaftsanalysen-und-studien.jsp)
[2] Die Analyse der Bank Austria stellt rein deskriptiv die Veränderung des Arbeitskräfteangebots in
den EU-Mitgliedsländern dar und enthält keine Diskussion über Auswirkungen von Migration. Weder
die positive oder negative Veränderung des Potenzialwachstums durch Zu- oder Abwanderung noch mögliche
Verdrängungs- oder Entlastungseffekte am Arbeitsmarkt in den einzelnen Ländern werden thematisiert.
[3] In der Berechnung des Angebotseffekts unterstellen die Ökonomen der Bank Austria vereinfachend, dass sich
die tatsächlich gemessene Veränderung der Beschäftigung zwischen 2013 und 2015 in exakt dem gleichen
Ausmaß in einer gegenläufigen Veränderung der Anzahl an Arbeitssuchenden niedergeschlagen hat.
Im Vergleich der tatsächlichen Arbeitslosenquote für 2015 mit der auf Basis dieser simulierten Anzahl
an Arbeitssuchenden errechneten Arbeitslosenquote (bei gleicher Beschäftigtenzahl) ergibt sich der von uns
berechnete Angebotseffekt. Der Konjunktureffekt ergibt sich durch Abzug des Angebotseffekts von der tatsächlichen
Veränderung der Arbeitslosenquote zwischen 2013 und 2015.
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