10. Sozialstaatsenquete von WIFO und Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger
Wien (hauptverband) - Die fortschreitende Digitalisierung hat heute alle Lebensbereiche erfasst und ist
auch ein fixer Bestandteil der Arbeitswelt geworden. Sie hat grundlegende Auswirkungen auf die Art und Weise, wie
Erwerbsarbeit organisiert wird. Die vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und
dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger veranstalteten 10. Sozialstaatsenquete
befasste sich am 04.11. mit dem Thema „Arbeiten in der Wolke“ – Soziale Sicherung und Sozialstaatsfinanzierung
im Spiegel digitalisierter Arbeitsmärkte“. Experten aus dem In- und Ausland diskutieren über Chancen
und Risiken für das Sozialsystem und den Arbeitsmarkt.
„Mit einem Gesamtvolumen von 56 Milliarden Euro ist die Sozialversicherung die tragende Säule, wenn es um
ein starkes Sicherungsnetz für die Österreicherinnen und Österreicher geht. Gerade mit Blick auf
die Digitalisierung der Arbeitswelt stehen wir vor großen Herausforderungen aber auch gewaltigen Chancen.
Bei der Digitalisierung stellt sich nicht die Frage „ob“, sondern „wie“, eröffnet Ulrike Rabmer-Koller, Vorsitzende
des Verbandsvorstands im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Flexible Beschäftigungsformen
steigern den Wohlstand, weil sie die Beschäftigung erhöhen. Es zeigt sich auch, dass die Mittel der Sozialversicherung
seit 1990 konstant genauso so schnell angestiegen sind wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Rabmer-Koller weiter:
„Wir können Digitalisierung schönreden oder schlechtmachen – ich würde gerne die Chancen und Risiken
einander objektiv gegenüberstellen und möchte dabei eines festhalten: Im Gegensatz zu anderen Ländern
sind in Österreich alle Erwerbsformen von der Sozialversicherung erfasst und abgesichert.“
„Der Hauptverband legt besonderen Wert auf den regen Austausch mit der Wissenschaft – auch bei der 10. Sozialstaatsenquete
zum Thema ‚Arbeiten in der Wolke. Soziale Sicherung und Sozialstaatsfinanzierung im Spiegel digitaler Arbeitsmärkte’
und ich freue mich, dass das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung als wissenschaftlicher
Partner fungiert“, so Rabmer-Koller.
Digitalisierung als Chance
„Die Digitalisierung birgt nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Es entstehen neue und teilweise ganz neuartige
Beschäftigungsmöglichkeiten. Das wirft für die Gesellschaft und die Betroffenen wichtige rechtliche,
soziale und ökonomische Fragen auf – etwa in Sachen Arbeitnehmerschutz“, sagt Christoph Badelt, Leiter des
Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung. „Ich freue mich, dass sich die Sozialstaatsenquete
fundiert mit diesem Thema befasst und so einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte um die Digitalisierung leistet.“
Schutzrechte des Arbeitnehmers nicht aufgeben
„In einer extremen Ausformung werde der Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin zum „digitalen Tagelöhner“,
warnt Martin Risak, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien. Das Crowdsourcing
ermögliche Unternehmen eine „Just-in-Time-Organisation“ ihrer Produktionsprozesse. „Arbeit soll nur noch dann
gezahlt werden, wenn sie tatsächlich geleistet worden ist“, so Risak. „Das führt zur Atomisierung durchgängiger
Arbeitsverhältnisse. Das Risiko unproduktiver Zeiten wird auf die Arbeitenden selbst verlagert.“
„Wir dürfen die verbrieften Schutzrechte des Arbeitnehmers -Sozialversicherungen, Mitbestimmungsrechte sowie
das Arbeits- und Tarifrecht - nicht aufgeben“, betont Andreas Boes vom Institut für Sozialwissenschaftliche
Forschung (ISF) in München. Der Trend zur digitalen Arbeitswelt berge das Potenzial, den geschützten
Status des Arbeitnehmers auszuhöhlen. „Das wäre ein zivilisatorischer Rückschritt.“ Vielmehr müsse
man die bewährten sozialen Sicherungssysteme „neu definieren und so den Transfer von der analogen in die digitale
Arbeitswelt bewältigen“.
Strukturelle und gesetzliche Anpassung ist gefragt
Thilo Fehmel, Professor für Sozialpolitik und Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Gera in Thüringen,
stimmt in den Kanon ein: „Jede Erwerbsform jenseits der Normalarbeitsverhältnisse zeigt die Probleme und den
Anpassungsbedarf auf, denen sich insbesondere jene Systeme sozialer Sicherung gegenübersehen, die auf das
Erwerbseinkommen abzielen.“
Wie weit verbreitet digitale Plattformen zur Arbeitsvermittlung bereits in Österreich sind, erläutert
Sylvia Kuba von der Arbeiterkammer Wien. In einer Online-Umfrage unter rund 2000 erwachsenen Personen gaben 36
Prozent der Befragten an, im vergangenen Jahr versucht zu haben, Arbeit über derartige Plattformen zu finden.
Wirklich fündig geworden sind nur rund 18 Prozent. Für viele stellt Crowdwork nur eine Nebenbeschäftigung
dar: 59 Prozent der Crowdworker gaben an, dass sie weniger als die Hälfte ihres Einkommens aus diesen Tätigkeiten
beziehen. Nur zwei Prozent gaben an, ausschließlich Einkünfte aus Crowdwork zu erzielen.
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