Jüdisches Museum Wien: Neue Ausstellung von 4. November 2016 bis 1. Mai 2017 zu sehen
Wien (rk) - Das Jüdische Museum Wien, ein Museum der Wien Holding, präsentiert von 4. November
2016 bis 1. Mai 2017 die neue Ausstellung „Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938“.
Diese stellt 44 fast vergessene Künstlerinnen vor und zeichnet deren außergewöhnliche Ausbildungs-
und Karrierewege nach, die vom Kampf um Anerkennung in einer männlich dominierten Kunstszene erzählen,
aber auch von vielversprechenden Karrieren, die durch Vertreibung und Exil unterbrochen oder in den Vernichtungslagern
des Nationalsozialismus für immer beendet wurden.
Ausstellung mit vielen neuen Erkenntnissen und Wiederentdeckungen
Wien um 1900 war auch eine Stadt der Frauen. Am Aufbruch in die Moderne waren viele Künstlerinnen beteiligt,
die sich trotz der schlechten Rahmenbedingungen für Frauen im Kunstbetrieb durchsetzen konnten. Ein überdurchschnittlicher
Anteil dieser Künstlerinnen kam aus assimilierten jüdischen Familien. Malerinnen wie Tina Blau, Broncia
Koller-Pinell, Marie-Louise von Motesiczky oder die Keramikerinnen Vally Wieselthier und Susi Singer haben heute
ihren Platz in der Kunstgeschichte. Doch viele andere sind – zu Unrecht – in Vergessenheit geraten, wie die Bildhauerin
Teresa Feodorowna Ries, die Malerinnen Grete Wolf-Krakauer und Helene Taussig oder die Malerin und Graphikerin
Lili Réthi.
Herausragende Persönlichkeiten
Im vielbeschworenen Fin de Siècle, einer Hochblüte der Kunst und Kultur, war eine künstlerische
Laufbahn für Frauen nahezu undenkbar. Als Salonièren oder Mäzeninnen waren – vor allem – Jüdinnen
im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sehr präsent, von einer offiziellen künstlerischen
Ausbildung waren sie – wie überhaupt aus dem akademischen Leben – allerdings ausgeschlossen. Ein Besuch der
Kunstakademien war erst ab 1920 möglich, daher besuchten viele die eigens für Frauen errichteten Kunstschulen.
Besonders in jüdischen Familien, in denen seit jeher die Bildung der Töchter ein Anliegen war, wurde
Mädchen Gelegenheit zu einer künstlerischen Ausbildung geboten – manche erhielten sogar teuren Privatunterricht
bei einem Künstler, und später ein eigenes Atelier eingerichtet.
Da die Künstlervereinigungen zur Jahrhundertwende keine Künstlerinnen akzeptierten, gründeten die
Frauen eigene, wie die seit 1910 bis heute bestehende Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs
(VBKÖ). Unterstützende Mitglieder fanden sich hierfür im Hochadel, aber auch unter den bekannten
und einflussreichen jüdischen Familien Wiens (Bondi, Ephrussi, Gomperz, Gutmann, Rothschild, Schey, Wertheimstein
u. a.). Alle diese Vereinigungen hatten zum Ziel, Standesvertretungen zu sein und durch die Organisation von Ausstellungen
und anderen Veranstaltungen Ansehen und Einkommensmöglichkeiten ihrer Mitglieder zu verbessern.
Tatsächlich stammte ein überproportionaler Teil der Wiener Künstlerinnen aus jüdischen Familien,
darunter einige der bekanntesten und bedeutendsten Künstlerinnen der Epoche wie Tina Blau, Broncia Koller-Pinell
oder Vally Wieselthier. Die meisten von ihnen kamen zwar mit einer vom galizischen Schtetl geprägten Familiengeschichte,
aber aus einem bereits assimilierten Umfeld. Als eigenständige Künstlerinnen wurden selbst diese prominenten
Vertreterinnen erst nach einiger Zeit wahrgenommen. Verallgemeinern lässt sich die breite Reihe an großartigen
jüdischen Künstlerinnen jedenfalls definitiv nicht. Es ist eine sehr diverse Gruppe herausragender Frauen,
deren künstlerische Ausdrucksform sich völlig unterschiedlich präsentiert und die Einzigartigkeit
und Individualität der Persönlichkeiten hervorhebt.
Die Pionierinnen
Tina Blau und Teresa Feodorowna Ries waren unter den ersten Frauen, die im Wien des späten 19. Jahrhunderts
die Kunst zu ihrem Beruf erwählten. Die Landschaftsmalerin Tina Blau entwickelte in den 1860er- und frühen
1870er-Jahren als einzige Frau gemeinsam mit wenigen männlichen Kollegen die österreichische Variante
der europaweit verbreiteten realistischen Stimmungslandschaft nach dem Vorbild der Schule von Barbizon – den Österreichischen
Stimmungsimpressionismus. Die aus Russland stammende Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries wiederum ließ sich
durch die schlechten Rahmenbedingungen nicht entmutigen und schaffte es, sich einen Platz im, zu dieser Zeit ausschließlich
von Männern dominierten, Feld der Bildhauerei zu erobern.
Wiener Werkstätte
In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg spielten Künstlerinnen eine bedeutende Rolle in der 1903 von Josef
Hoffmann und Kolo Moser mit der finanziellen Unterstützung des jüdischen Industriellen und Mäzens
Fritz Wärndorfer gegründeten Wiener Werkstätte, in der sich angewandte und bildende Künste
gleichberechtigt vereinen sollten. Die bedeutendsten Vertreterinnen wie Vally Wieselthier, Susi Singer-Schinnerl
und Kitty Rix waren jüdischer Herkunft. Vally Wieselthier stellte 1928 ihre Keramiken sogar auf der International
Exhibition of Ceramic Art des Metropolitan Museums aus; Susi Singer und Kitty Rix, gingen in ihren Arbeiten weit
über die traditionelle Gebrauchskeramik hinaus und schufen außergewöhnliche Skulpturen.
Karrieren im Ausland
Schon ab den 1920er-Jahren gingen viele jüdische Wiener Künstlerinnen ins Ausland oder lebten zumindest
zeitweise dort: So ging die Malerin Lilly Steiner nach Paris, Vally Wieselthier in die USA, die Grafikerin Bertha
Tarnay erst nach Berlin und dann nach England, und die Malerin Grete Wolf-Krakauer wanderte nach Palästina
aus. Die Gründe dafür waren vielfältig: Die schlechte Wirtschaftslage in Österreich, das Bedürfnis,
den künstlerischen Horizont zu erweitern, Zionismus, Abenteuerlust und die Freude an der neuen Ungebundenheit
einer Bohème, der nun auch Künstlerinnen angehören durften, oder wie im Fall von Friedl Dicker
politische Gründe. Sie war 1934 wegen ihrer kommunistischen Aktivitäten verhaftet worden und flüchtete
nach ihrer Freilassung bereits 1936 vor der Verfolgung.
Das Ende
Die mühsam erkämpfte Anerkennung währte nur kurz, denn die Lebenswege jüdischer Künstlerinnen
wurden durch die Schoa gebrochen. Flucht und Vertreibung beendeten die Karrieren dieser Frauen jäh. Jene,
die flüchten konnten, mussten alles hinter sich lassen und rangen im Exil um ihre Existenz, ganz zu schweigen
von einem Neuanfang in der Kunstwelt. Vielen der Künstlerinnen gelang die Flucht allerdings nicht. Sie wurden
deportiert und ermordet, wie Friedl Dicker-Brandeis und viele andere, wodurch auch die Erinnerungen an so manche
dieser Künstlerinnen verloren gingen. Vor dem so genannten „Anschluss“ im März 1938 spielte die jüdische
Herkunft dieser Frauen keine Rolle.
Begleitprogramm
Die Ausstellung wird von mehreren Fachvorträgen zum Thema begleitet. Die Veranstaltungen sind bei freiem
Eintritt zugänglich. Am Sonntag, 22. Jänner 2017 sowie am Sonntag, 23. April 2017 findet außerdem
ein Kulturfrühstück mit anschließender Kuratorinnen-Führung statt. Anmeldung und Details ebenfalls
unter http://www.jmw.at/events.
Information
Zur Ausstellung gibt es einen zweisprachigen Medienguide (Deutsch & Englisch), der mit dem eigenen Smartphone
oder Tablet kostenlos genutzt werden kann. Bei Bedarf stehen auch Leihgeräte im Museum zur Verfügung.
Zu der von Andrea Winklbauer und Sabine Fellner kuratierten und von Conny Cossa und Julia Nuler gestalteten Ausstellung
erscheint ein zweisprachiger Katalog im Metro-Verlag, der ab sofort zum Preis von € 29,90 im Bookshop des Museums
und im Buchhandel erhältlich ist.
Die Ausstellung „Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938“ ist von 4. November 2016 bis
1. Mai 2017 im Museum Dorotheergasse, einem Museum der Wien Holding, zu sehen. Das Museum in 1010 Wien, Dorotheergasse
11, ist von Sonntag bis Freitag 10 bis 18 Uhr geöffnet. Am zweiten Standort, im Museum Judenplatz, Judenplatz
8, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 14 Uhr (während der Sommerzeit
bis 17 Uhr) geöffnet. Jeden Sonntag findet um 15 Uhr eine kostenlose Führung durch die neue permanente
Ausstellung statt, an jedem ersten Sonntag im Monat ist eine Führung im Museum Judenplatz um 16.30 Uhr ebenfalls
kostenlos inkludiert.
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