Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, 18. und 19. November 2016
Hartheim/Linz (lk) - Bereits zum fünften Mal richtet der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim eine
Internationale Konferenz aus. Seine Vertreter kommen damit ihrem Auftrag nach, die geschichtliche Dimension des
Ortes und aktuelle Entwicklungen, welche "menschliches Leben einer Bewertung unterziehen wollen" zu bearbeiten.
Schloss Hartheim in Alkoven war eine jener Mordanstalten, in denen die Nationalsozialisten das Programm "T4"
durchgeführt haben. Tausende Menschen mit Beeinträchtigung fanden hier als so genanntes "unwertes
Leben" einen gewaltsamen Tod. Aber auch Häftlinge aus Konzentrationslagern und Zwangsarbeiter wurden
ermordet. Getragen vom Land Oberösterreich konnte 2003 der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim eröffnet
werden. Er ist ein Ort der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Er ist aber auch eine zentrale Forschungsstätte
und Ort der Wissensvermittlung im Hinblick auf zeithistorische und ethische Fragen, nicht zuletzt im Kontext mit
Behinderung.
Den Proponenten des Lern- und Gedenkortes war es von jeher ein wichtiges Anliegen, aktuelle Themen und Fragestellungen
mit den historischen Themen des Ortes zu verbinden. Aus diesem Grund findet im Zweijahresrhythmus jeweils eine
Internationale Hartheimkonferenz in Alkoven statt.
Die internationalen Hartheim Konferenzen
Die Reihe der Hartheim-Konferenzen begann 2007 mit einer ersten Tagung zum Thema: "Sinn und Schuldigkeit.
Fragen zum Lebensende". Hinter den Tagungen steht der Auftrag an den Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim,
ein Ort des Gedenkens zu sein, aber auch ein Ort der Reflexion und Diskussion aktueller gesellschaftspolitischer
Entwicklungen, die menschliches Leben einer Bewertung unterziehen wollen. Die Tagung findet in der Regel alle zwei
Jahre statt. Die bisherigen Konferenzen widmeten sich folgenden Themen:
2007 "Sinn- und Schuldigkeit - Fragen zum Lebensende"
2009 wurde das Thema "Ambivalenzen der Biowissenschaften" diskutiert, 2012 stand die "Biologisierung
des Sozialen" im Mittelpunkt.
2014 widmete sich dem Thema "Demenz als ethische und sozialpolitische Herausforderung"
Bei allen Konferenzen waren internationale Referentinnen und Referenten anwesend. Veranstaltet werden die Internationalen
Hartheim-Konferenzen vom Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim und der Stiftung Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim.
Die Hartheim Konferenz 2016
Unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Brigitte Kepplinger, die gleichzeitig auch Obfrau des Vereines Schloss
Hartheim ist, widmet sich die Internationale Hartheimkonferenz 2016 der Frage nach der "Optimierung des Menschen".
Vom 18. bis 19. November 2016 beschäftigen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Österreich,
Deutschland, der Schweiz und den USA mit diesem Thema.
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht dabei die Frage nach der Bedeutung von Optimierungskonzepten heute. Denn
sie kommen in "neuen Kleidern", scheinen auf den ersten Blick bar jeder gesellschaftlichen Relevanz zu
sein. Und sie klingen, oberflächlich betrachtet, auch sehr verlockend. Slim und fit durchs Leben zu gehen,
das Beste aus sich heraus zu holen, sind Wünsche, die wohl schon jeder in der einen oder anderen Form in sich
gespürt hat: Wo und wie wird individuell Verständliches aber zu einer Verpflichtung? Wann wird es nur
Norm, der sich der einzelne nicht mehr entziehen kann? Was ist mit jenen, welchen die Grundvoraussetzungen fehlen,
mithalten zu können? Und welche Rolle spielen dabei Medizin und Technik?
Die diesjährige Internationale Hartheim Konferenz bietet die Gelegenheit, mit namhaften Expertinnen und Experten
aus Wissenschaft und Praxis sowie mit betroffenen Angehörigen zu diskutieren.
Die heurige Tagung "Die Optimierung des Menschen" will der Frage nachgehen, welche "Konzepte hier
relevant sind, wie sie entstehen und welche gesellschaftliche Bedeutung sie haben". Dr. Brigitte Kepplinger:
"Machbarkeitsphantasien, der ungebrochene Glaube an die (biologische) Verbesserung und Optimierung des Menschen
sind wichtige Bereiche, die gerade derzeit wieder von großer Aktualität sind." Sie bedürfen
der dringenden kritischen Diskussion.
Die Eröffnung findet am Freitag, 18. November 2016 um 14:00 Uhr statt. Nach dem Eröffnungsvortrag des
renommierten Philosophen Univ. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann und dem Schriftsteller Michael Köhlmeier zum
Thema "Der optimierte Mensch" startet das erste von vier Panels zum Thema "Selbstoptimierung als
Gesellschaftliches Prinzip".
Am zweiten Tag der Konferenz finden die drei weiteren Panels statt, die zum einen die Optimierung aus gesundheitlicher,
technischer und genetischer Sicht beleuchten.
IHK 5: Die Optimierung des Menschen
Eröffnungsvortrag: Der optimierte Mensch
Liessmann und Köhlmeier spüren in ihrem Eröffnungsvortrag verschiedenen Facetten von Optimierungskonzepten
nach - aus Sicht des Philosophen und des Künstlers. Optimierungskonzepte für den Menschen existieren
seit der Antike und bekommen im Christentum eine neue Dimension: Durch die Religion sollte der neue Mensch in Christo
entstehen. Die Aufklärung transportierte dieses Konzept auf eine neue Ebene, definierte den Menschen als Teil
der Natur, der wie diese der wissenschaftlichen Analyse und zielgerichteten Veränderung zugänglich sein
sollte. Ab dem 19. Jahrhundert entwarf die Eugenik Konzepte zur biologischen Verbesserung von Populationen, die
im 20. Jahrhundert - mit zum Teil katastrophalen Folgen - in der Praxis erprobt wurden. Das 21. Jahrhundert schließlich
steht durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technik vor der gewaltigen Herausforderung, sich mit den Möglichkeiten
einer biologischen Optimierung des Individuums auseinanderzusetzen.
Panel 1: Selbstoptimierung als gesellschaftliches Prinzip
Jakob Kapeller legt in seinem Vortrag dar, wie sich das durch die Aufklärung geschaffene Postulat einer
Selbstverwirklichung des Individuums im 20. und 21. Jahrhundert in eine Pflicht des Individuums zur Selbstoptimierung
verwandelt hat: das gesellschaftliche Postulat, sich als "unternehmerisches Selbst" bestmöglich
zu präsentieren, ist geeignet, den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft zu gefährden.
Michael Fuchs
Der Vortrag geht der geistesgeschichtlichen Idee der Vervollkommnung nach und konfrontiert die philosophischen
Positionen mit den Angeboten einer wunscherfüllenden Medizin und Anthropotechnik. Zentrale Fragen: Welche
normative Relevanz haben sie im Hinblick auf die Ziele von Medizin oder soziale Gerechtigkeit? Welche Eingriffe
sind der Autonomie und dem guten Leben der Person zuträglich? Als was will sich der Mensch, der sich biotechnologisch
modifiziert, zukünftig verstehen?
Panel 2: Gesundheitliche Optimierung - Selbstmanagement und wunscherfüllende Medizin
Rainer Müller sieht Public Health als Teil der Entwicklung des demokratischen Rechts- und Sozialstaates
und der Emanzipation. Naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen, wie etwa Digitalisierung bedingen einen starken
Schub zum Wandel von Lebens- und Arbeitswelten, wie auch der Medizin und der öffentlichen Gesundheitssicherung.
Diese Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft stehen im Zentrum des Vortrags.
Tobias Eichinger
Gesundheit ist das Wichtigste, das höchste Gut, ohne das alles nichts ist - so hört man es oft und
vielerorts. Dies richtet sich typischerweise auch an die Adresse der Medizin, die traditionell im Krankheitsfall
für die Wiederherstellung der Gesundheit zuständig ist. Inzwischen beginnt sich dieses Bild zu ändern,
heute wird ärztliche Hilfe zunehmend auch angeboten und nachgefragt, um normale und gesunde Zustände
und Fähigkeiten noch besser zu machen. Mit dieser Entwicklung hin zu einer wunscherfüllenden Medizin
ändert sich auch die Vorstellung davon, was unter Gesundheit zu verstehen ist. Verstärkt vom Boom der
Selbstvermessung wird Gesundheit immer mehr zu einem "Lifestyle-Produkt", das quantifiziert, gesteigert
und verkauft werden kann. Gleichzeitig wächst der gesellschaftliche Druck, verantwortungsvoll und vernünftig
mit dem eigenen Körper umzugehen. Prävention, Optimierung und Selbstdisziplin stehen hoch im Kurs, und
es lässt sich eine Moralisierung von Gesundheit feststellen. Dies gilt es aus ethischer und philosophischer
Perspektive zu hinterfragen.
Michael Girkinger
Der Vortrag wirft einen kritischen Blick auf die vielen Machbarkeitsverheißungen und -strategien, die
am Persönlichkeits-bildungsmarkt als "schön verpackte Waren" breite Resonanz finden. Sie sind
Ausdruck und Motor einer ambivalenten gesellschaftlichen Entwicklung, die von wachsender Selbstsorge und Selbstdisziplinierung,
vom Wunsch nach Selbstverwirklichung und dem Zwang zur permanenten Selbstoptimierung gekennzeichnet ist.
Panel 3: Transhumanismus: Optimierung durch Technik
Der Transhumanismus glaubt, dass die nächste Evolutionsstufe der Menschheit die Verschmelzung des Menschen
mit Technik ist. Cyborgs - Mensch-Maschine-Mischwesen - sollen den Homo sapiens ablösen.
Diese Vorstellungen sind keineswegs der Science Fiction zuzurechnen, sondern in Ansätzen Realität.
Voraussetzung ist eine Digitalisierung des menschlichen Körpers, durch die er lesbar gemacht wird- und dadurch
künstlich nachgebildet werden kann.
Ray Kurzweil, Forschungsdirektor von Google und einer der prononciertesten Vertreter des Transhumanismus, sieht
sogar die Möglichkeit, den Tod abzuschaffen: die Übertragung eines menschlichen Bewusstseins auf Datenträger
bedeute Unsterblichkeit. Eng damit verknüpft ist die Entwicklung künstlicher Intelligenz im Rahmen der
Robotik, die von führenden Wissenschaftern sehr skeptisch beurteilt wird. So warnt zB Stephen Hawking: "Die
Entwicklung von vollständig künstlicher Intelligenz könnte das Ende der menschlichen Spezies bedeuten."
Das Panel befasst sich mit der Frage, was diese Entwicklung für die Körperlichkeit des Menschen bedeutet.
Dirk Spreen: Der Körper in der Upgrade-Kultur
Soziologisch gesehen ist die Upgradekultur eine Begleiterscheinung der Individualisierungsprozesse der letzten
Jahrzehnte und des Wechsels zum Paradigma der "Risikogesellschaft" (Ulrich Beck). Mit dieser Entwicklung
wird der konkurrierende soziale Vergleich zum Vergesellschaftungsmodus. Die Antwort auf die Allgegenwart individualisierter
Risiken sind umfassende Bemühungen zur Optimierung der Person sowohl auf individueller wie auch auf gesellschafts-
und bildungspolitischer Ebene. Dabei wirft die Upgradekultur in mehrfacher Hinsicht Grenzprobleme auf: Sie ist
eine Kultur der Grenzüberschreitung zwischen Biologie und Technologie ("Transhumanismus"), eine
Kultur der optimierenden Entgrenzung ("Upgradekultur"), eine Kultur der Ausgrenzung ("Exklusion")
sowie eine Kultur des In-die-Grenzen-Verweisens ("Konservatismus"), insofern sie Entschleunigungsdiskurse
provoziert.
Karin Harrasser: Disability und Technik: Eine riskante Allianz
Erfährt der Mensch ein Update, wie es der Prothetiker Hugh Herr mit seiner Formel von den "Humans
2.0" prophezeit? Die Diskussion um die Hightech-Prothesen eines Oscar Pistorius oder um Aufsehen erregende
körpernahe Medien wie die Google-Brille zeigen einen Wandel der Ideen von Körperlichkeit: Verbessernde
Eingriffe in und um den Körper werden nicht länger als notwendige Kompensation von Defiziten begriffen,
sondern als wünschenswerte Optimierung und Steigerung. Werden Körper "machbar"?
Panel 4: Genetische Optimierung: Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin
Michael Wunder: Ist der Mensch verbesserungswürdig? Die alten und die neuen Träume der Genetiker
Die Idee von der Verbesserung des Menschen durch genetische Eingriffe ist alt. In der bioethischen Debatte
wird sie heute unter dem Stichwort "genetic engineering enhancement", ganz aktuell auch unter "genome
editing" diskutiert. Die technische Realisierbarkeit scheint durch die Gen-Schere CRISPR - Cas in greifbare
Nähe gerückt. Aber wären denn Eingriffe in das menschliche Genom mit dieser Technologie, die sich
auf die Verhinderung von schweren Erbkrankheiten beschränken, "Heileingriffe", wie die Befürworter
sagen? Oder wären sie, weil dabei kaum Grenzen zu ziehen sind, unweigerlich auf den Genpool zielende "Verbesserungs-Eingriffe"?
Kann der Mensch seine "Auto-Evolution" wirklich selbst betreiben? Oder sollte die menschliche Vernunft
dazu genutzt werden, etwas, was möglich ist, nicht zu tun, auf etwas, was sich vielleicht sogar logisch ergibt,
zu verzichten? Könnte die Rückbesinnung auf den Wert der Nichtvorherbestimmbarkeit der jeweiligen Urzelle
eines Menschen eine neue Ethik der Nichtanwendung von Wissen einleiten?
Eva- Maria Bachinger: Wahlkind durch PID
Die nun auch in Österreich erlaubte Präimplantationsdiagnostik (PID) sorgt oft für recht einseitige
Debatten. Die einen sprechen davon, dass nur ein "Zellhaufen" ausgesiebt werde, andere befürchten
"Designerbabys". Die einen gehen der Konsumlogik der Reproduktionsmedizin auf den Leim, denn einen befruchteten
Embryo als "Zellhaufen" zu bezeichnen macht ihn zu einem Objekt. Die anderen verwenden den Begriff "Designerbaby"
auch dann, wenn er deplatziert ist. Ein Kind genetisch zu gestalten, ist bis jetzt nicht möglich. Zumindest
noch nicht, denn in diese Richtung wird eifrig geforscht und experimentiert. Die PID ist definitiv ein Ausleseinstrument:
Der Begriff "Diagnostik" verschleiert, dass die Folge davon nicht Therapie ist, sondern Auslese. Es geht
auch nicht nur um "schwere Erbkrankheiten", sondern die PID kann auch eingesetzt werden um das Geschlecht
auszuwählen oder Trisomie 21 zu vermeiden. Wenn Techniken nicht als das benannt werden, was sie sind, ist
auch keine Debatte u?ber ihre Vertretbarkeit mo?glich.
Benjamin Gregg: Vom Nutzen und Nachteil der Biotechnik: Zur normativen Einschätzung der Humangenmanipulation
Wie könnte wohl von einem auf Prinzipien beruhenden Standpunkt aus eine politische Gemeinschaft die Humangenmanipulation
(HGM) evaluieren und möglicherweise regulieren? Nur wenige Prinzipien, wenn überhaupt, werden universell
akzeptiert; es gibt kein einziges moralisches Weltbild, das global angenommen wird. Um aus der aktuellen normativen
Sackgasse herauszukommen, in der sich Forschung wie auch öffentliche Politik hinsichtlich der gesellschaftlichen
Implikationen möglicher HGM gegenwärtig befinden, entwickle ich vier Argumentationen: (1) Unter Umständen
kann die HGM zur gesellschaftlichen Gleichheit in einer politischen Gemeinschaft beitragen, indem sie die Verteilungsgerechtigkeit
voran treibt. (2) Die HGM soll aber nur dort zur Anwendung kommen, wo konventionelle Methoden einer Gerechtigkeitspolitik
unzureichend sind. (3) Ich begründe diesen Vorschlag mit der Vorstellung einer bestimmten gesellschaftlichen
Gestaltung der Menschennatur, nämlich eine, die von einem Gefühl der Gerechtigkeit und einer Fähigkeit
zum Guten geleitet ist. (4) Diese gesellschaftliche Gestaltung der Menschennatur ist nur unter Wahrung der individuellen
Freiheit akzeptabel.
Zum Ort und seiner Geschichte
Im Schloss Hartheim in Alkoven war von 1940 - 1944 eine NS-Euthanasieanstalt untergebracht, in der nahezu 30.000
körperlich und geistig beeinträchtigte sowie psychisch kranke Menschen, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter
ermordet wurden. 1995 wurde der Verein Schloss Hartheim mit dem Ziel gegründet, in Schloss Hartheim einen
angemessenen Ort der Erinnerung, des Gedenkens und der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu schaffen.
Im Jahr 2003 wurde aus Mitteln des Landes Oberösterreich und des Bundes mit der Gedenkstätte und der
Ausstellung "Wert des Lebens" der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim eingerichtet.
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