Aktuelle Europastunde der NEOS im Nationalrat zu den Lehren aus CETA
Brüssel/Wien (pk) - Das Ergebnis der Präsidentenwahl in den USA spielte am 09.11. auch in die
Aktuelle Europastunde des Nationalrats hinein. Es waren sich alle einig, dass sich in der EU etwas ändern
müsse. Europa-Abgeordneter Othmar Karas (V) erwartet, dass mit einem US-Präsidenten Donald Trump die
USA protektionistischer und unberechenbarer werden; die USA werde kein verlässlicher Partner bei der Globalisierung
mehr sein. Wie Josef Cap (S), Eva Glawischnig-Piesczek (G)und Claudia Gamon (N) plädierte er für ein
selbstbewusstes und starkes Europa. Die RednerInnen der vier Fraktionen sprachen auch von einem "Weckruf für
Europa" und dass es darum gehe, die europäischen Werte selbstbewusst zu vertreten. Man müsse sich
überlegen, wie man die Handlungsfähigkeit, die Kompetenzverteilung und die Wirtschaftspolitik der EU
in Zukunft neu gestaltet, so der Tenor. Auch FPÖ und Team Stronach traten für eine Neuorientierung ein,
jedoch im Sinne einer Renationalisierung. So war etwa Waltraud Dietrich (T) für ein Europa der Vaterländer,
worauf Werner Kogler (G) mit dem Hinweis reagierte, dass ein solches Europa der Vaterländer zu Millionengräbern
geführt habe.
NEOS für eine Europäische Republik
Anlass für die Debatte war das Verlangen der NEOS, über die zukünftige Verfasstheit der EU nach
dem schwierigen Entscheidungsprozess innerhalb der EU im Vorfeld der Unterzeichnung des Freihandelsvertrags zwischen
der EU und Kanada (CETA) zu diskutieren. Sie stellten daher die Aktuelle Europastunde unter den Titel "Die
Lehren aus CETA: Warum Europa eine Republik werden muss".
Die Leute hätten nicht das Gefühl, dass in Europa die Macht vom Volk ausgeht, sondern das Volk gegängelt
wird, begründete NEOS-Klubobmann Matthias Strolz seine Forderung, eine europäische Regierung auf Zeit
zu wählen. Man brauche keinen Europäischen Rat, sondern ein direkt gewähltes Europäisches Parlament
und einen Senat, der die Regionen repräsentiert. Eine nationale Abschottung hält Strolz vor dem Hintergrund
der aktuellen Krisenherde und der Bevölkerungsentwicklung in Afrika, Indien und China für verantwortungslos.
Europa brauche eine klare Vision dafür, welche Standards gelten sollen, und dafür müsse man Verbündete
haben, sagte er.
Kern sieht derzeit keine Hoffnung für eine Europäische Republik
Der Appell von Strolz nach mehr Gemeinsamkeit wurde auch seitens der SPÖ, der ÖVP und der Grünen
unterstrichen. Ebenso teilte Bundeskanzler Christian Kern die Analyse des NEOS-Mandatars, hält aber dessen
Forderung nach einer Europäischen Republik für hoffnungslos. Kern sieht vor allem schwere Konstruktionsfehler
im Zuge der Erweiterung, wo man es verabsäumt habe, den Entscheidungsprozess innerhalb der EU anzupassen und
zu verbessern. Auch bei der Einführung des Euro habe man nicht den notwendigen zweiten Schritt zu einer gemeinsamen
Wirtschafts- und Fiskalpolitik gesetzt. Kern meinte daher, dass es keinen Platz für derartige Diskussionen
über die Struktur der EU gibt, solange die virulenten Probleme, etwa in der Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik,
nicht gelöst sind.
Europa muss selbstbewusster für seine Werte eintreten
Auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder hält die Entscheidungsstrukturen innerhalb der EU für nicht
mehr praktikabel, wenn der Kontinent selbstbewusst im Globalisierungsprozess und bei den Handelsverträgen
für sein Wirtschafts- und Sozialmodell eintreten soll. Damit werde man auch nicht zu einer so dringend notwendigen,
einheitlichen außen- und sicherheitspolitischen Meinung gelangen, resümierte Schieder mit Sorge. Seiner
Meinung nach muss sich die EU daher überlegen, wie sie den internen Interessenskonflikt auflöst. An einer
klassisch parlamentarischen Demokratie führt seiner Auffassung nach jedoch kein Weg vorbei. Wir müssen
in Europa die Werte hochhalten und dem entgegenhalten, was gerade in den USA passiert, unterstrich Josef Cap (S)
die Aussagen seines Klubobmannes. Rassistische, sexistische Äußerungen seien keine europäischen
Werte. Wenn man ein starkes selbstbewusstes Europa will, dann müsse man kritisch an der Erneuerung der EU
mitwirken, Europa habe viel zu verlieren.
Europa benötige einen Aufbruchprozess, unterstrich auch Angelika Winzig (V) und plädierte für ein
Neuordnung der Kompetenzen mit dem Ziel einer intelligenten neuen Zusammenarbeit unter Berücksichtigung des
Subsidiaritätsprinzips. Wie EU-Abgeordneter Othmar Karas (V) wandte sie sich strikt gegen eine Abschottungspolitik.
Wer sich in Zeiten wie diesen abschottet, der verliert im globalen Zusammenspiel die Möglichkeit, die europäischen
Werte zu verteidigen, warnte Karas. Der EU-Parlamentarier drängte einmal mehr auf eine gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik, auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik und auf eine gemeinsame Linie in der Entwicklungszusammenarbeit.
Auch die Grünen halten es für höchst an der Zeit, dass sich die EU zu mehr Gemeinsamkeit durchringt.
In diesem Sinne teilte die Grüne Klubobfrau Eva Glawischnig-Piesczek die Bedenken von Matthias Strolz. So
hätte sie sich beispielsweise eine wesentlich schärfere Reaktion der EU auf die Türkei gewünscht.
Auch im Hinblick auf Freihandelsverträge hält sie eine Nachdenkphase und eine Neuausrichtung für
notwendig und warnte einmal mehr vor TISA und TTIP. Man müsse die Stopptaste drücken können, wenn
die Entwicklungen innerhalb der Verhandlungen nicht mehr tragbar seien, meinte sie.
Über Kompetenzen und Aufgaben reden
Bei CETA sei es in keiner Weise gegen den Handel gegangen, erläuterte Werner Kogler die Haltung der Grünen,
sondern darum, wer der Souverän ist und auf welcher Ebene entschieden wird. Es stelle sich nämlich die
Frage, welche Entscheidungen man im globalen Kontext auf EU-Ebene fällt, und welche in den Mitgliedstaaten.
So sei etwas das Vorgehen gegen Steuervermeidung und Steuerbetrug eine Sache der EU, wenn es aber etwa um Dienstleistungen
und um Beschaffung gehe, dann müssten die Mitgliedsstaaten mit ihren Parlamenten die entsprechenden Kompetenzen
haben. In diesen Fragen könne man nicht global agieren, sagte Kogler, der Sympathien für eine europäische
Republik durchblicken ließ, die solche Regeln festlegt. In gleicher Weise konstatierte Michel Reimon, Europaabgeordneter
der Grünen (G), dass man über zwei Dinge reden müsse: über den Entscheidungsmechanismus selbst
und worüber entschieden werden muss.
Die EU hat Kompetenzen, die sie nicht braucht, und hat dort keine Kompetenzen, wo sie sie nicht braucht, fasste
Rainer Hable (N) die Problematik der EU aus seiner Sicht zusammen und warnte, dass die EU zerbrechen wird, wenn
man so weitermacht wie bisher. Einer Renationalisierung erteilte er als einen Weg der Angst eine klare Absage,
er plädierte für mehr Mut und eine republikanische Verfassung. Eine solche biete die einzigartige Chance,
die Zügel in die Hand zu nehmen, zeigte sich auch seine Klubkollegin Claudia Gamon überzeugt. Gemeinsam
mit Europaabgeordneter Angelika Mlinar (N) appellierte sie an das Verantwortungsbewusstsein der PolitikerInnen,
nicht immer vor dem Boulevard in die Knie zu gehen.
FPÖ und Team Stronach für Renationalisierung
Die Sympathie mit der Vision einer Europäische Republik konnten weder Freiheitliche, noch Team Stronach teilen.
Mit so einem Modell ginge das Recht keineswegs vom Volk aus, konterte Johannes Hübner (F) dem Klubobmann der
NEOS, vielmehr käme eine europäische Zentralregierung einer Entrechtung der Völker gleich. Die EU
sei keine Erfolgsgeschichte, die Probleme hätten vor allem damals begonnen, als Europa zur Union wurde und
man die Eurozone geschaffen habe. Den Vertrauensverlust in die EU ortete Axel Kassegger (F) bei intransparenten
Vorgängen und dem Auseinanderklaffen von Worten und Taten. Vor allem beim Euro, bei der Europäischen
Zentralbank und beim Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM fehle es an Kontrolle, die Akteure seien
von jeglicher Verantwortung befreit, kritisierte Kassegger. Wie Hübner forderte er eine Renationalisierung
der Kompetenzen.
Ins gleiche Horn stieß Waltraud Dietrich vom Team Stronach, die forderte, Europa neu zu verhandeln, vor allem
was die Aufgaben und die Finanzierung betrifft. Sie sprach sich für starke Vaterländer und eine Einbindung
der BürgerInnen aus. Eine europäische Republik hält sie für den falschen Weg. Dietrich drängte
darauf, auf die BürgerInnen zu hören, die sich gegen das bestehende System wenden, wie der Brexit und
die Wahlen in den USA zeigten.
Negativ zu den Vorschlägen der NEOS äußerten sich auch die fraktionslosen Abgeordneten Gerhard
Schmid, Markus Franz und Susanne Winter. Ein europäischer Bundesstaat könne aufgrund der Unterschiedlichkeit
der Mitgliedstaaten nicht funktionieren, meinte etwa Schmid. Man brauche ein Europa der Nationen und keine Republik,
sagte Franz, denn nur starke Länder könnten starke Partner sein. Die Leute wollten Grenzen und weder
einen Einheitsstaat noch einen Einheitsmenschen. Franz plädierte daher dafür, zurück zur EWG zu
gehen. Susanne Winter sah in dem Vorschlag der NEOS eine Abschaffung der Nationalstaaten und damit eine Abschaffung
Österreichs, seiner Grenzen und seiner Neutralität.
Kern: Freihandelsabkommen dürfen parlamentarische Kompetenzen nicht unterlaufen
Die Abgeordneten nützten die Debatte auch dazu, nochmals über CETA selbst zu diskutieren. Bundeskanzler
Kern unterstrich, dass Österreich bisher vom freien Handel profitiert habe. CETA stelle aber einen neuen Typus
dar, der über ein reines Handelsabkommen und einen Zollabbau hinausgehe. Der Vertrag sehe auch Regulierungen
etwa in der Daseinsvorsorge vor, wobei die Parlamente umgangen werden könnten. Zur Diskussion stehe auch das
Vorsorgeprinzip. Für Kern muss sich Europa in Zukunft die grundsätzlich Frage stellen, welche Art von
Handelspolitik man gehen möchte und welche Prioritäten man setzen will. Er habe, nachdem die EU auf die
Bedenken Österreichs eingegangen ist, die Gesamtinteressen vertreten, auch im Hinblick auf die für Österreich
so wichtige Frage der Stahlimporte aus China.
In dieser Hinsicht wurde der Bundeskanzler vollinhaltlich von Josef Cap (S) und Europa-Abgeordneter Karoline Graswander-Hainz
(S) unterstützt. Graswander-Hainz äußerte sich kritisch zum Investorenschutz und forderte mehr
Mitspracherecht bereits bei der Erteilung eines Verhandlungsmandats sowie mehr Transparenz. Auch das reine Zustimmungsverfahren
hält sie für falsch. Für Michel Reimon (G) bereitet vor allem der umfassende Wirtschaftsteil von
CETA ein großes Problem, da damit über die Demokratie darübergefahren wird, wie er betonte. In
den Augen von Leopold Steinbichler (T) liegt der zentrale Punkt vor allem im Konsumentenschutz. Seine Klubkollegin
Waltraud Dietrich forderte allgemein, die Globalisierung neu zu überdenken.
Positiv zu CETA meldeten sich nur die Abgeordneten von ÖVP und NEOS zu Wort. So warf Angelika Winzig (V) den
Gegnern vor, Ängste zu schüren und Unwahrheiten zu verbreiten. Auch für Hermann Schultes (V) ist
das Ergebnis in Ordnung, die Standards seien gesichert. Othmar Karas (V) bezeichnete CETA als einen Stabilitätsanker
in den transatlantischen Beziehungen und sieht darin einen Teil der Gestaltung der Globalisierung. Schultes kritisierte
vor allem jene PolitikerInnen, die zuerst das Mandat erteilen und dann nicht zu ihren Entscheidungen stehen. Ebenso
beklagte Angelika Mlinar von den NEOS mangelnde politische Führungskraft, was CETA gezeigt habe. Wenn man
ein Mandat unterschreibt, müsse man sich auch der Konsequenzen bewusst sein, war sie einer Meinung mit Schultes.
Freihandelsabkommen machen ihrer Meinung nach Sinn, aber auch in dieser Kernkompetenz sei die EU gescheiterte,
stellte sie mit Bedauern fest.
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