10 Prozent für Türkei-Beitritt - Konstant unter 30 Prozent für EU-Beitritt der
Länder am Westbalkan - Umfrage
Wien (ögfe) - Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Türkei erhält die morgige
Präsentation der Fortschrittsberichte zur EU-Erweiterung zusätzliche Brisanz. „Mit dem unverhältnismäßigen
Vorgehen der türkischen Regierung gegen ihre Kritiker verabschiedet sich die Türkei selbst aus dem Beitrittsprozess.
Die EU ist gefordert, die Rückschritte klar zu benennen, ihre roten Linien zu kommunizieren und den Druck
auf Ankara zu erhöhen“, sagt Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für
Europapolitik (ÖGfE). „Auch wenn EU-Erweiterungen derzeit nicht auf der europäischen Tagesordnung stehen,
sollten die Länder am Westbalkan - in ihrem eigenen Interesse - jedenfalls den Reformprozess fortsetzen. Die
EU muss sich allerdings erst selbst konsolidieren, bevor die Aufnahme weiterer Mitgliedsländer seriös
ins Auge gefasst werden kann.“
Mit Verweis auf die jährliche Erweiterungsumfrage der ÖGfE, die heute veröffentlicht wurde, hält
Schmidt fest: „Die Menschen erwarten sich, dass Union und Mitgliedstaaten gemeinsam die aktuellen Probleme lösen.
Gelingt es, glaubwürdig neue Perspektiven zu entwickeln, wird auch dem Erweiterungsprojekt mittelfristig wieder
mehr Vertrauen entgegengebracht werden.“
In der aktuellen Umfrage halten insgesamt 24 Prozent der Befragten die „Erweiterung der EU um weitere Mitgliedstaaten“
für „sehr wichtig“ (6 Prozent) bzw. „wichtig“ (18 Prozent). Insgesamt 72 Prozent betrachten sie als „weniger
wichtig“ (40 Prozent) bzw. „gar nicht wichtig“ (32 Prozent). Dagegen wird eine „Vertiefung der Zusammenarbeit der
EU-Mitgliedstaaten“ von insgesamt 85 Prozent als „sehr wichtig“ (47 Prozent) oder „wichtig“ (38 Prozent) empfunden.
14 Prozent halten dies für „weniger wichtig“ (12 Prozent“) oder „gar nicht wichtig“ (2 Prozent).
Was eine etwaige EU-Mitgliedschaft der Türkei betrifft, so zeigen sich die ÖsterreicherInnen sehr skeptisch.
10 Prozent würden ihren EU-Beitritt begrüßen, 80 Prozent jedoch ablehnen, 8 Prozent antworteten
"egal"(Rest auf 100 Prozent „weiß nicht/Keine Angabe“).
„Die EU hat klare Beitrittskriterien, die für alle Kandidatenländer gelten. Dazu zählen Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, Voraussetzungen, von denen sich die heutige Türkei
entfernt. Trotzdem muss ein Dialog aufrecht erhalten bleiben, nicht zuletzt auch, um die türkische Zivilgesellschaft
zu unterstützen“, betont Schmidt.
Ein Viertel der ÖsterreicherInnen (24 Prozent) meint, unser Land sollte sich besonders dafür einsetzen,
dass die Länder des Westbalkans Teil der EU werden. 57 Prozent sehen dies nicht als Priorität österreichischer
Außenpolitik (20 Prozent „weiß nicht/Keine Angabe“).
„Gerade für Österreich ist ein politisch und wirtschaftlich stabiles Umfeld in unserer Nachbarschaft
besonders bedeutend“, so Schmidt. „Österreich sollte daher die Integrationsbemühungen der Länder
in der Region weiterhin aktiv unterstützen, insbesondere zivilgesellschaftliche Initiativen fördern und
die Umsetzung notwendiger Reformen sowie den Ausbau der Rechtsstaatlichkeit einfordern.“
Was die Zustimmung zu einem EU-Beitritt der einzelnen Länder am Westbalkan betrifft, so sind im Meinungsbild
der ÖsterreicherInnen kaum Unterschiede auszumachen. Ein Viertel bis ein Fünftel zeigt sich positiv,
etwa die Hälfte äußert sich ablehnend. Im Lauf der vergangenen sechs Jahre hat sich die Einstellung
zu den Beitrittsaspiranten wenig geändert.
Die geringsten Vorbehalte, was eine zukünftige EU-Mitgliedschaft betrifft, bringen die ÖsterreicherInnen
aktuell Bosnien-Herzegowina entgegen. 26 Prozent wären für den EU-Beitritt des Landes, ebenfalls 26 Prozent
äußern sich indifferent, 46 Prozent jedoch ablehnend (Rest auf 100 Prozent „weiß nicht/Keine Angabe“
- gilt auch für folgende Werte). Etwa gleichauf liegt Serbien (26 Prozent „begrüßen“, 18 Prozent
„egal“, 51 Prozent „ablehnen“), gefolgt von Montenegro (22 Prozent: „begrüßen“, 19 Prozent „egal“, 53
Prozent: „ablehnen“), Mazedonien/FYROM (23 Prozent: „begrüßen“, 19 Prozent „egal“, 53 Prozent: „ablehnen“),
dem Kosovo (19 Prozent: „begrüßen“, 27 Prozent:
„egal“, 51 Prozent: „ablehnen“) und Albanien (20 Prozent: „begrüßen“, 22 Prozent: „egal“, 52 Prozent:
„ablehnen“).
„Die Unstimmigkeiten im Umgang mit Flucht und Migration nach Europa, die Widersprüche rund um das CETA-Abkommen
und nicht zuletzt die Brexit-Abstimmung haben deutlich gemacht, dass es in der EU wie in etlichen Mitgliedstaaten
an einer breit geführten und langfristig ausgerichteten öffentlichen Debatte und Folgeabschätzung
mangelt“, meint Schmidt abschließend. „Nationale wie europäische Akteure sollten daraus ihre Lehren
ziehen. Die Diskussion über Herausforderungen und Chancen einer Integration weiterer Länder sollte zeitgerecht
begonnen und die Bevölkerung bestmöglich eingebunden werden.“
Die Umfrage wurde von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft vom 18. bis 24. Oktober 2016 im Auftrag
der ÖGfE durchgeführt. Befragt wurden österreichweit 528 Personen per Telefon (repräsentativ
für die österreichische Bevölkerung ab 16 Jahre/Gewichtung nach Geschlecht, Alter und Bildung).
Maximale Schwankungsbreite ca. +/- 4,5 Prozent. Differenz auf 100 Prozent aufgrund gerundeter Werte.
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