Die Entwicklungen in Europa, die Migration und die Rolle der Regionen waren Inhalte des Gesprächs
von LH Kompatscher mit EU-Kommissionspräsident Juncker.
Brüssel/Bozen (lpa) - Bei dem Treffen im September vergangenen Jahres in Brüssel hatte EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker Landeshauptmann Arno Kompatscher die Zusage gegeben, Südtirol im Rahmen einer Europatagung
einen Besuch abzustatten. Am 18.11. hat er sein Versprechen eingelöst und ist nach Bozen gekommen, um an der
Tagung "70 Jahre Pariser Vertrag: Autonomie und Föderalismus in Europa" teilzunehmen. Um 10.30 Uhr
traf Juncker in der Landeshauptstadt ein, wo ihm am Silvius-Magnago-Platz ein landesüblicher Empfang bereitet
wurde.
Bei einem Vier-Augen-Gespräch mit Landeshauptmann Arno Kompatscher im Landhaus 1 standen aktuelle europäische
Themen und Herausforderungen im Mittelpunkt: Der Brexit wurde ebenso thematisiert wie der Stand des europäischen
Einigungsprozesses. Die Gesprächspartner stimmten darin überein, dass gemeinsame europäische Entscheidungen
von allen Mitgliedsländern respektiert und mitgetragen werden müssen. Hervorgehoben wurde dabei die Wichtigkeit
des europäischen Zusammenhalts und der Solidarität in der EU.
EU-Kommissionpräsident Juncker erklärte, dass Europa nur dann funktionieren könne, wenn gemeinsame
Beschlüsse auch gemeinsam umgesetzt werden. "Die Staaten sollen auf europäischer Ebene gefasste
Beschlüsse endlich umsetzen und die Solidarität leben", forderte Landeshauptmann Kompatscher. Präsident
Juncker kündigte an, dass die Kommission Ende des Monats Vorschläge vorlegen wolle, um die europäische
Verteidigungspolitik voranzubringen. Genau wie die Migration – ein weiteres Schwerpunktthema des Gesprächs
– sei die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein Bereich, in dem die Europäer gemeinsam mehr erreichen
können als jedes Mitgliedsland allein, so der EU-Kommissionspräsident.
Neben der Umsetzung des Juncker-Plans durch Südtirol, den grenzüberschreitenden Mobilitätsprojekten,
war die Regionalpolitik ein Gesprächsthema mit besonderem Lokalbezug. Dabei wurde über die Berglandwirtschaft,
die Beibehaltung der Strukturfonds auch nach 2020 und die europäische Alpenstrategie EUSALP als gemeinsame
neue europäische Initiative gesprochen.
Im Hinblick auf die Konferenz in Bozen sprachen Juncker und Kompatscher auch über den Minderheitenschutz,
wobei Landeshauptmann Kompatscher auf die Europäische Bürgerinitiative des FUEN verwies. In diesem Zusammenhang
sprachen die beiden Politiker die Rolle der Regionen in Europa als Vehikel des europäischen Gedankens sowie
der europäischen Entwicklung an. Sie stimmten überein, dass die Regionen ein zentrales Bindeglied zwischen
Bürgern und Europa sein sollten und in diesem Sinne auch dem europäische Ausschuss der Regionen eine
besonders tragende Rolle zukomme und der AdR die volle Aufmerksamkeit der europäischen Institutionen verdiene.
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Mit einem Plädoyer für ein geeintes Europa, in dem die Mitgliedsländer sich die Souveränität
teilen und sich solidarisch zur Seite stehen, sorgte Juncker zu Mittag an der Freien Universität Bozen für
den Höhepunkt der Konferenz zu „Autonomie und Föderalismus in Europa“. „Europa ist der Dialog zwischen
Souveränität und Solidarität“, erklärte Juncker wörtlich. Die Europäische Kommission
sei zu oft der Prügelknabe und werde für alles in die Verantwortung genommen, beklagte Juncker. Wenn
etwas gut funktioniere, so sei es das Verdienst der einzelnen Staaten, wenn etwas schlecht funktioniere, liege
die Schuld bei der Kommission. „Man kann aber nicht beim Nehmen Vollzeiteuropäer und beim Geben ein Teilzeit-Europäer
sein“, so Juncker.
Der EU-Kommissionspräsident zeigte auf, wie notwendig die Zusammenarbeit der europäischen Länder
sei: So könne kein Land allein Klimaschutz betreiben, Handelspolitik müsse global gedacht werden und
eine gemeinsame Außenpolitik sei Europa dringend zu verordnen. Wie sinnvoll es sei, Souveränität
zu teilen, zeige der Erfolg der gemeinsamen Währung: „Der Euro hat Ordnung in die europäische Finanzpolitik
gebracht. Eine Rückkehr zu nationalen Währungen wäre eine Katastrophe“, zeigte sich Juncker überzeugt.
Neben der geteilten Souveränität bezeichnete Juncker die Solidarität als zweite Grundlage der Europäischen
Union und nahm dabei vor allem auf die Flüchtlingsfrage Bezug, in der man Griechenland und Italien nicht allein
lassen dürfe. „Italien unternimmt enorme Anstrengungen, da ist Solidarität notwendig.“ Aber auch bei
der Verteilung der Finanzmittel müsse die Solidarität Richtschnur sein.
Neben der Solidarität mahnte Juncker auch zu Bescheidenheit: „Europa ist der kleinste Kontinent. Mehr als
80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entsteht außerhalb Europas. Die Europäer machen heute elf
Prozent der Weltbevölkerung aus und werden Ende des Jahrhunderts noch vier Prozent sein.“ Europa sei heute
allzu oft in kleinen Dingen groß, müsse aber vielmehr in den großen Dingen groß und in den
kleinen klein sein, so Juncker, der abschließend mahnte: „Solange täglich 25.000 Kinder sterben, weil
sie nichts zu essen haben, solange ist die EU mit ihren Aufgaben nicht am Ende.“
Solidarität und Subsidiarität seien beim Zusammenspiel der Staaten, Regionen und Kommunen gefragt. „Kleinstaaterei
führt ins Abseits“, so Juncker. Der Kommissionspräsident bezeichnete die Europaregion als Modell und
forderte: „Wir müssen den Wert der europäischen Einheit pflegen und bewahren.“
An diese Worte knüpfte Landeshauptmann Arno Kompatscher in seinen Abschlussworten an. Der Landeshauptmann
bezeichnete Europa als kulturelle und wirtschaftliche Perspektive und Vision für Südtirol und wies auf
die Brückenfunktion des Landes als „kleines Europa in Europa“ hin. „Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs,
in der der Populismus leichtes Spiel hat“, so der Landeshauptmann. „Die Antwort auf diese Probleme sind nicht starke
Nationalstaaten, sondern ein starkes Europa“, betonte abschließend Landeshauptmann Kompatscher, der Motor
dazu können die Regionen sein.“ Südtirol sei dazu bereit.
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