Botenstoff als Wunderwaffe? Neue Forschungsansätze zu Angststörungen
Innsbruck (pr&d) - Die gezielte Steuerung von biochemischen Prozessen und neuronalen Signalwegen über
den Botenstoff Neuropeptid Y könnte künftig die Therapie von Angststörungen unterstützen. Das
zeigen Studienergebnisse aus einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF, die kürzlich im Fachjournal "Neuropsychopharmacology"
veröffentlicht wurden.
Herzrasen, Schwitzen und Schlafstörungen – Angstsymptome haben die meisten Menschen bereits selbst erlebt.
Als Reaktion auf Gefahren ist Angst überlebenswichtig, fällt sie jedoch zu stark aus oder dauert zu lange
an, so kann sie zu psychischen Erkrankungen führen: "Angststörungen sind die häufigsten Hirnerkrankungen,
jeder fünfte leidet im Laufe seines Lebens daran", so Ramon Tasan von der Medizinischen Universität
Innsbruck. Zur Behandlung werden Medikamente sowie Verhaltenstherapien eingesetzt. Das Problem dabei: Ein großer
Anteil der Patientinnen und Patienten spricht kaum darauf an. Häufig können nur die Symptome kurzzeitig
gelindert werden. Neue Strategien sind daher gefragt. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekt
haben Tasan und sein Team die neuronalen Schaltkreise und biochemischen Prozesse hinter der Unterdrückung
von Angstreaktionen und der Auslöschung von neu erlernter Furcht untersucht und dabei neue Ansatzpunkte für
die Entwicklung effektiver therapeutischer Strategien und Medikamente zur Behandlung gefunden.
Neuropeptid Y reduziert Angst
Der Fokus des Projekts lag auf der Rolle der Angststeuerung durch das körpereigene Neuropeptid Y, einem zentralen
Botenstoff im Kommunikationsnetzwerk zwischen den Nervenzellen der Gehirnregionen. Voruntersuchungen zeigten, dass
das Neuropeptid Y insbesondere über die Aktivierung der Y1 Andockstellen oder "Rezeptoren" eine
angstvermindernde Wirkung ausübt. Tasan zu den Ergebnissen: "Wir haben dann einen weiteren Rezeptor als
wichtigen Knotenpunkt im Kommunikationsnetzwerk des Gehirns zur Angstverarbeitung identifizieren können. Dieser
als Y2 bezeichnete Rezeptor beeinflusste in Mäusehirnen Bahnen des Mandelkerns, welcher bei Angstreizen die
passenden Körperreaktionen wie eine Steigerung von Muskelspannung, Herzfrequenz und Blutdruck auslöst.
Die Y2 Rezeptoren sind somit zentral an der Verarbeitung von Angstreizen beteiligt." Bisher hatte man angenommen,
dass ihre Aktivierung die Freisetzung des schützenden Neuropeptids Y hemmt und somit angststeigernd wirkt.
"Wir stellten jedoch fest, dass Y2 Rezeptoren die Wirkung der Y1 Rezeptoren vervielfältigen und die Angstunterdrückung
und die Auslöschung neu erlernter Furcht unterstützen", so Tasan. Die Ergebnisse könnten einen
entscheidenden Wendepunkt in der klinischen Entwicklung von Medikamenten gegen Angststörungen darstellen:
So könnten Y2 Rezeptoren oder eben das Neuropeptid Y geeignete Zielstrukturen für die Entwicklung neuer
Medikamente sein.
Furcht "verlieren"
Für Verhaltenstherapien liefert das Projekt ebenfalls wichtige Ansatzpunkte. So wurde im Mausmodell untersucht,
wie Furcht erlernt und wieder verlernt werden kann. "Bei Mäusen wie beim Menschen wird im Laufe der Entwicklung
ein Furchtgedächtnis aufgebaut. Dieses ist evolutionär gesehen wichtig, damit Gefahren schnell erkannt
und vermieden werden können", erklärt Tasan. "Bei der Auslöschung von Furcht wird die
Information in einem eigenen Extinktionsgedächtnis gespeichert, welches wiederum das Furchtgedächtnis
spezifisch unterdrückt." Mäuse erlernten in Versuchsreihen mittels Pawlowscher Konditionierung,
einen Ton als Gefahr zu identifizieren und diesen später wieder als ungefährlich im Extinktionsgedächtnis
zu speichern und damit die Auslöschung zu bewirken. Diese Effekte konnten durch Y2 Rezeptoren verstärkt
werden.
Hunger löscht Angst
Dabei zeigte sich, wie eng die neuronalen Schaltkreise für die Nahrungsaufnahme und die Angstregulierung
verflochten sind: "Wir haben entdeckt, dass eine Aktivierung der Y4 Rezeptoren durch das Neuropeptid Y das
Hungergefühl beeinflusst. Tiere, die keinen Y4 Rezeptor besitzen, waren schlanker, ihnen fehlte jedoch die
Fähigkeit zur Angstauslöschung", erläutert Tasan. "Diese konnten wir jedoch durch eine
Adaptierung der Fütterung beeinflussen: Mäuse, denen vor dem Prozess der Angstauslöschung 16 Stunden
kein Futter verabreicht wurde, konnten ihre Angstbewältigung verbessern, sie hatten ein stark verringertes
Langzeit-Angstgedächtnis, wobei Kurzzeitgedächtnis und Lernen unbeeinflusst blieben."
Insgesamt eröffnen die kürzlich im Fachjournal "Neuropsychopharmacology" veröffentlichten
Erkenntnisse des FWF Projekts neue Möglichkeiten zur Entwicklung treffsicherer Medikamente sowie verhaltenstherapeutischer
Ansätze gegen Angststörungen.
Zur Person
Ramon Tasan hat an der Medizinischen Universität Innsbruck Medizin studiert und anschließend ein
PhD-Studium der Neurowissenschaften absolviert. Seit 2004 ist er am Institut für Pharmakologie der Medizinischen
Universität Innsbruck tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Neurowissenschaften und
der Neuropharmakologie mit besonderem Fokus auf die zugrundeliegenden Mechanismen der Angstentstehung und modulierenden
Faktoren.
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