Wie winzige RNAs springende Gene zähmen
Wien (imba) - Ein Forscherteam am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften (ÖAW) konnte erstmals aufklären, wie kleine RNA Fragmente in der Zelle zu
einem effektiven Sicherheitsystem gegen Genomparasiten generiert werden, wie das Fachjournal Nature in seiner aktuellen
Ausgabe berichtet.
Wäre unser Erbgut ein Haus, so wären neben den offiziellen Bewohnern auch jede Menge Hausbesetzer zu
Gange. Ein sehr großer Teil — beim Menschen sind es fast 50% des Genoms — wird von egoistischen Genen wie
Transposons bevölkert. Diese auch als springende Gene bezeichneten Genomparasiten sind Überbleibsel aus
evolutionärer Vorzeit, die eingebettet in unserer DNA ruhen. Meist sind sie inaktiv und harmlos. Doch werden
Transposons aktiv, können sie beliebig im Erbgut herumspringen und Mutationen auslösen.
Der springende Punkt ist die Vielfalt
Einerseits sorgen die vielen, über die Zeit gesammelten Gensequenzen ähnlich einer „genetischen Knetmasse“
für Vielfalt in der DNA und treiben evolutionäre Prozesse an. Mittlerweile weiß man, dass manche
der „prominenten“ Mutationen durch Transposons verursacht wurden, wie zum Beispiel beim Birkenspanner: Der Schmetterling
kam plötzlich in einer dunklen Variante vor, was den Mutanten in Zeiten industriebedingter Luftverschmutzung
erfolgreicher machte, denn plötzlich konnte er sich besser an den verrußten Birkenstämmen tarnen.
Meist jedoch sind Mutationen, die durch egoistische Gensequenzen ausgelöst werden, schädlich. Besonders
gerne springen Transposons in Keimzellen, wo sie besonders nachhaltige Schäden verursachen und Unfruchtbarkeit
auslösen können.
Doch die Keimzelle rüstet gegen die hüpfenden Störenfriede im Erbgut und benutzt kleine RNA-Fragmente,
sogenannte piRNAs, um sie lahm zu legen. Diese winzigen RNAs erkennen die egoistischen Passagen im Erbgut, docken
daran an und legen diese still. piRNAs funktionieren wie eine Art Immunsystem für das Genom. Da sie selber
unterschiedlichste Sequenzen von DNA-Eindringlingen erkennen müssen, sind auch piRNAs besonders vielfältig,
was es den Forscher_innen bisher schwer machte, den genauen Entstehungsmechanismus zu entschlüsseln.
piRNAs: Wie die Wächter des Genoms gebastelt werden
Bereits vor 10 Jahren konnte IMBA- Gruppenleiter Julius Brennecke und andere nachweisen, dass piRNAs in den
Keimzellen der Fruchtfliege diese Schutzfunktion übernehmen. Neueste Erkenntnisse der RNA-Biologie lieferten
einem Forscher_innen-Team um die beiden IMBA-Gruppenleiter Stefan Ameres und Julius Brennecke erstmals Erkenntnisse,
wie und wo genau piRNAs in der Zelle fabriziert werden.
„Bei der Herstellung von piRNAs müssen beide Enden des Moleküls exakt zugeschnitten werden. Zwar war
bekannt, welcher Mechanismus das eine Ende einer solchen Sequenz definiert. Nun konnten wir herausfinden, wie das
andere Ende der piRNA ‚zurechtgestutzt’ wird, und dass dies über zwei verschiedene molekulare Systeme passiert“,
freut sich Jakob Schnabl, einer der beiden Erstautoren über die Erkenntnisse seiner Masterarbeit am IMBA,
die er zusammen mit dem Postdoktoranden Rippei Hayashi gewinnen konnte.
Drosophila-Genetik, kombiniert mit neuesten Sequenzier-Methoden und Bioinformatik erlaubten wesentliche molekulare
Einblicke in das Sicherheitssystem der Zelle.
Stefan Ameres, IMBA-Gruppenleiter, der schon seit Jahren im aufstrebenden Forschungsfeld der RNA-Biologie forscht
erklärt: “Wir konnten nachweisen, dass es zwei Wege gibt, um einsatzfähige piRNAs herzustellen. Am Mitochondrium
wirkt ein Enzym namens Zucchini und schneidet piRNAs. Aber auch an einem anderen Ort der Zelle, nämlich im
Zellplasma, werden die Vorläufer-RNA-Stückchen von einem Protein mit dem passendem Namen Nibbler zurechtgeknabbert.
“
Evolution besser verstehen
„Erstmals konnten wir den Herstellungsmechanismus der piRNAs vollständig klären. Erstaunlich ist,
dass die beiden Systeme zur Entstehung oder Biogenese von piRNAs sehr genau aufeinander abgestimmt und in verschiedenen
Bereichen der Zelle aktiv sind. Die Tatsache, dass diese zwei Systeme weit verbreitet im Tierreich sind, eröffnet
die interessante Frage, warum sich diese Mechanismen parallel ausgebildet haben,“ fasst Julius Brennecke zusammen.
„Erkenntnisse der aktuellen Arbeit können auch dabei helfen, evolutionäre Vorgänge auf molekularer
Ebene besser zu verstehen und auch in einem neuen Licht zu sehen. Denn das Wetteifern, das wir in der Natur zwischen
Parasit und Wirt beobachten können, findet fortwährend auch in unserem Erbgut statt“.
Originalpublikation: “'Genetic and mechanistic diversity of piRNA 3'-end formation'”,
Rippei Hayashi, Jakob Schnabl, Dominik Handler, Fabio Mohn, Stefan L. Ameres & Julius Brennecke, Nature, November
16, 2016; doi: 10.1038/nature20162
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