Erste Tranche von Zusatztafeln in den Bezirken 1, 3, 10, 14, 21 und 23
Wien (rk) - 2013 präsentierte die von der Stadt Wien beauftragte Historikerkommission unter der Leitung
des Zeithistorikers Oliver Rathkolb ihre kritische Untersuchung von 4.300 personenbezogenen Wiener Straßennamen
– ein für eine europäische Metropole bislang einmaliges Projekt. Das Ergebnis dieses Berichts: Die Historikerkommission
stufte an die 170 Straßennamen als problematisch ein, 28 davon als Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf.
Für diese hat die Stadt Wien es übernommen, zentral Textvorschläge für Zusatztafeln erarbeiten
zu lassen, die einerseits historisch korrekt, aber auch einheitlich und verständlich sind. Die erste Tranche
von Zusatztafeln wird nun in den betroffenen Bezirken 1, 3, 10, 14, 21 und 23 angebracht.
„Zusatztafeln sind eine wirksame Möglichkeit, mit problematischen Straßenbenennungen umzugehen. Damit
kann der Namensgeber einer Straße in seiner Ambivalenz dargestellt werden“, betonte Wiens Kulturstadtrat
Andreas Mailath-Pokorny am 01.12.. „Mit wichtigen biographischen Informationen versehen rücken sie die Person
ins richtige Licht und leisten so auch einen gesellschaftspolitischen Diskussionsbeitrag“.
„Manche Wiener Straßen tragen seit Jahrzehnten die Namen von Personen, nach denen man aus heutiger Sicht
keine Straße mehr benennen würde. Zusatztafeln stellen bei historisch belasteten Straßennamen
einen Kontext her und sind damit ein kleiner, aber wesentlicher Bestandteil lebendiger Zeitgeschichte. Die heute
präsentierten Zusatztafeln verdeutlichen den verharmlosenden Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus,
der insbesondere in den Nachkriegsjahrzehnten gepflegt wurde“, so der Kultursprecher der Grünen Wien, Martin
Margulies.
„Ein (selbst)kritischer Blick in die ‚Denkmäler‘ der Vergangenheit wie Straßennamen hilft, die Demokratie
in Bewegung zu halten. Historisches Orientierungswissen ist auch die Basis für eine innovative Auseinandersetzung
mit den Problemen der Zukunft“, so Historiker Oliver Rathkolb.
Texte der Zusatztafeln
1., Wiesingerstraße
Dr. Albert Wiesinger (1830-1896) Seelsorger, Chefredakteur der "Wiener Kirchenzeitung" und Pionier
des katholischen Journalismus. Jedoch bahnten Wiesingers scharfe antijüdische Polemiken dem Rassenantisemitismus
den Weg. Er distanzierte sich allerdings später davon.
1., Dr.-Karl-Lueger-Platz
14., Dr.-Karl-Lueger-Brücke
Dr. Karl Lueger (1844-1910)
Gründer der Christlich-Sozialen Partei. 1897-1910 Bürgermeister. Mitgestalter Wiens zu einer modernen
Großstadt. Kritisch bewertet werden muß sein populistischer Antisemitismus, der ein politisches Klima
förderte, welches die Verbreitung des Nationalsozialismus begünstigte.
3., Stelzhamergasse
Franz Stelzhamer (1802 - 1874) Mundartdichter, Lyriker und Autor von Novellen. Verfasser der oberösterreichischen
Landeshymne. Viele seiner Texte sind geprägt von antisemitischen Stereotypen.
10., Dr.-Eberle-Gasse
Dr. Konrad Eberle (1903 - 1961)
Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Mitbegründer der „Vereinigung Österreichischer
Ärzte“ und Wiener Gemeinderat. Er denunzierte mehrfach mit antisemitischen Argumenten einen Berufskollegen.
10., Weldengasse
Franz Ludwig von Welden (1780 - 1853)
Offizier, Militärschriftsteller und Direktor des Topographischen Büros. 1848-1851 Gouverneur im nachrevolutionären
Wien. Maßgeblich verantwortlich für die rigorose Verfolgung von Oppositionellen.
14. Müller-Guttenbrunn-Strasse
Dr. Adam Müller-Guttenbrunn (1852-1923)
Dramatiker, Romanschriftsteller und Feuilletonist. Erster Direktor des Raimundtheatersund des Kaiser-Jubiläums-Stadttheaters
(heute Volksoper). Förderte die Aufführung von Wiener Volksstücken. Kritisch betrachtet werden müssen
jedoch seine antisemitisch gestalteten Spielpläne.
14. Josef-Schlesinger-Straße
Dr. Josef Schlesinger (1831-1901)
Mathematiker, Naturphilosoph und Rektor der Hochschule für Bodenkultur. Schlesinger erwarb sich Verdienste
um die Neuordnung des Geodäsieunterrichts. Problematisch in seiner Biografie ist, dass er sich als christlich-sozialer
Politiker einer aggressiven antisemitischen Rhetorik bediente.
21., Robert-Lach-Gasse
Univ.-Prof. Dr. Robert Lach (1874-1958)
Musikwissenschaftler, Komponist und Musikethnologe. Betrieb vergleichende Forschungen zu inner- und außereuropäischer
Musikrichtungen. Problematisch in seiner Biografie sind seine NSDAP-Mitgliedschaft seit 1933 und sein extremer
Antisemitismus.
21., Spundagasse
Prof. Dr. Franz Spunda (1890-1963)
Lehrer, Schriftsteller und Petrarca-Übersetzer. Publizierte zahlreiche historische Romane zu Themen des Okkultismus.
Kritisch bewertet werden müssen seine Mitgliedschaft bei der NSDAP und beim "Bund deutscher Schriftsteller
Österreichs", einer NS-Tarnorganisation.
23., Manowardagasse
Josef von Manowarda (1890-1942)
Opern- und Konzertsänger, Professor an der Akademie für Musik und darstellende Kunst. Große Erfolge
in Opernaufführungen von Wagner, Strauss und Mozart. Problematisch in seiner Biografie ist seine aktive nationalsozialistische
Betätigung ab 1933.
23., Maria-Grengg-Gasse
Maria Grengg (1888-1963)
Malerin und Verfasserin von Heimatromanen und Märchen, die sie auch selbst illustrierte. Erhielt 1936 den
österreichischen Staatspreis für Literatur. Problematisch in ihrer Biografie sind ihre Mitgliedschaft
in der NSDAP und ihr offener Rassismus.
23., Pfitznergasse
Hans Pfitzner (1869-1949)
Deutscher Dirigent, Opernregisseur, Pianist und Komponist mit Wahlheimat in Wien und Salzburg. Problematisch in
seiner Biografie ist, dass er zeitlebens ausgeprägter Antisemit und Verharmloser von Nazi-Verbrechen war.
23., Porschestraße
Prof. Dr. Ferdinand Porsche (1875-1951)
"Vater des Volkswagens" und des “Porsche". Er beeinflusste durch zahlreiche Erfindungen die Geschichte
des Autos. Problematisch in seiner Biografie sind seine Mitgliedschaft bei NSDAP und SS, die Beschäftigung
von ZwangsarbeiterInnen sowie seine Tätigkeit in der NS-Rüstungsindustrie.
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