Ökumene, Familie, Flüchtlinge, Barmherzigkeit und Kirchenreform - Die großen
Anliegen von Papst Franziskus prägten in diesem Jahr die Weltkirche und die Kirche in Österreich -
Ein kursorischer Jahresrückblick von Kathpress-Chefredakteur Paul Wuthe
Wien (kap) - Ökumene, Familie, Flüchtlinge, Barmherzigkeit und Reform - mit diesen fünf Begriffen
lässt sich grob abstecken, was die katholische Kirche weltweit und in Österreich 2016 bewegt hat. Im
vierten Jahr seines Pontifikats bleibt der mittlerweile 80-jährige Papst "vom Ende der Welt" mit
seinem unkonventionellen Stil, überraschenden Symbolhandlungen und beharrlichem Erneuerungsstreben sich selbst
treu. Und das auch und gerade gegen immer spürbareren Widerstand aus den eigenen Reihen, der nicht nur Kardinal
Christoph Schönborn und anderen in der Kirche mitunter Sorge bereitet. Aus kirchengeschichtlicher Perspektive
sei das allemal normal, bräuchten doch Ereignisse wie ein Konzil rund 100 Jahre, um umgesetzt zu sein, meinte
Franziskus kürzlich dazu in Richtung seiner Kritiker.
Was wie ein Kalmierungsversuch klingt, gehört aber zum Kern eines Pontifikats, das sich ganz dem Zweiten Vatikanischen
Konzil verpflichtet weiß. Seine Früchte werden mitunter erst jetzt sichtbar und manchmal ganz anders
als erwartet. Wer hätte je gedacht, dass die so lang erhoffte und bereits mehrfach vorbereitete persönliche
Begegnung zwischen dem römischen Papst und dem russisch-orthodoxen Patriarchen just in Kuba stattfinden könnte?
Der Flughafen von Havanna als Transitraum für eine versöhnte Kirche im 21. Jahrhundert? Das Bild von
der brüderlichen Umarmung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill ist historisch und so stark, dass
es wirken wird, allen bestehenden Widrigkeiten zum Trotz.
Ökumene der beiden Lungenflügel
2016 kann auch als Ökumene der beiden Lungenflügel beschrieben werden: Neben der sichtbaren Annäherung
an die Orthodoxie setzte Papst Franziskus durch das gemeinsame Gebet mit Vertretern des Lutherischen Weltbundes
am Reformationstag einen weiteren ökumenischen Meilenstein. Ihm soll erklärtermaßen eine intensivere
Beschäftigung mit der Frage eines gemeinsamen Abendmahls folgen. Waren Reformationsjubiläen in der Vergangenheit
immer von der gegenseitigen Abgrenzung gekennzeichnet, so ist es diesmal nicht nur weltkirchlich, sondern auch
in Österreich anders: Erstmals tagte im November die katholische Bischofskonferenz zusammen mit den Spitzen
der evangelischen Kirchen. Die gemeinsame Erklärung "500 Jahre Reformation - Vom Gegeneinander zum Miteinander"
ist dafür programmatisch.
War es 2015 die Enzyklika "Laudato si", so hat Franziskus heuer mit seinem Schreiben "Amoris laetitia"
eine weitere lehramtliche Weichenstellung vollzogen. Darin fordert der Papst u.a. mehr Barmherzigkeit und Realismus
im kirchlichen Umgang mit Familien und Ehepaaren. Kein päpstliches Dokument seit "Humanae vitae"
hat innerhalb der katholischen Kirche so viele Reaktionen ausgelöst. Die Debatte darüber, welche Konsequenzen
"Amoris laetitia" für wiederverheiratete Geschiedene hat, hält bis heute an - nicht zuletzt
deswegen, weil der Papst die Frage bewusst offen lässt. Gerne verweist er hinsichtlich der richtigen Interpretation
auf - ja richtig - den Wiener Erzbischof. Dieser hatte das päpstliche Dokument am 8. April im Vatikan der
Weltöffentlichkeit präsentiert und dabei von der Möglichkeit des Zugangs zu den Sakramenten auch
für wiederverheiratete Geschiedene "in gewissen Fällen" gesprochen.
Revolution der Barmherzigkeit
Sieben leibliche Werke der Barmherzigkeit kennt die kirchliche Tradition und eines davon lautet: Fremde beherbergen.
Mit seinem Einsatz für die Not von Flüchtlingen hat der Papst ein Grundanliegen seines Pontifikats auch
in diesem Jahr konsequent weiterverfolgt. Sein Besuch auf Lesbos war symbolisch und konkret zugleich, indem er
mehre muslimische Flüchtlingsfamilien einfach mit dem Flugzeug mitgenommen hat. Und im Zuge der Kurienreform
hat sich der Papst die Zuständigkeit für die Flüchtlingsthematik vorbehalten und damit zur Chefsache
erklärt, auch das ist eine klare Botschaft nach Innen und Außen.
Die Kirche in Österreich hat - so viel kann im europaweiten Vergleich festgestellt werden - diese päpstliche
Botschaft verstanden und auch umzusetzen versucht. Von den rund 90.000 Asylwerbern in diesem Jahr waren 10 Prozent
in kirchlichen Grundversorgungsquartieren untergebracht. Weitere 35.000 Asylwerber wurden von der Caritas mobil
betreut, womit die Kirche für jeden zweiten Asylwerber in Österreich zuständig war und ist. Ein
klare Absage erteilten die Bischöfe auch den Verschärfungen des Asylrechts mittels Obergrenze.
Vor diesem Hintergrund ist es dem Papst im nun zu Ende gegangenen Jahr gelungen, "Barmherzigkeit" als
christlichen Zentralbegriff ins Heute zu übersetzen und zum Maß für kirchliches Handelns zu erklären.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Revolution der Barmherzigkeit die Kirche erneuern kann. Neu war jedenfalls
der Umstand, dass erstmals ein Heiliges Jahr nicht zentral in Rom, sondern gleichzeitig dezentral in allen Diözesen
und so auch in Österreich begangen wurde. Nicht nur beim Stephansdom, sondern in rund 100 Kirchen gab es erstmals
eine "Pforte der Barmherzigkeit".
Konsequent bleibt Papst Franziskus beim Vorgehen gegen Missbrauch im kirchlichen Bereich. Mit einem Erlass im Juni
legte er fest, dass schwere Sorgfaltspflichtverletzungen von Bischöfen künftig mit einer Amtsenthebung
geahndet werden können. Im Blick auf Österreich genehmigte der Vatikan die 2010 erlassenen und inzwischen
aktualisierten Maßnahmen der Bischofskonferenz gegen sexuellen Missbrauch und Gewalt. Bei einem Staatsakt
im Parlament im November bekannte Kardinal Schönborn erneut das Versagen der Kirche ein und bat Opfer und
Betroffene um Vergebung. Neu war, dass erstmals auch Spitzenrepräsentanten von Bund und Ländern die staatliche
Mitverantwortung eingestanden und deutlich machten, dass eine eine breite Allianz gegen Missbrauch in der Gesellschaft
notwendig ist.
Dramatisch bleibt die Situation in Syrien und in den von Krieg und islamistischem Terror betroffenen Ländern.
Und immer schwieriger wird die Situation von Christen in zumeist muslimisch geprägten Ländern. Dass die
Welt derzeit die größte Christenverfolgung erlebt, gelangt -endlich - immer stärker in den Fokus
von Politik und Medien. Die Kirche mit dem Papst an der Spitze versteht sich dabei als Friedensmacht. Selbst der
bestialische Mord am 85-jährigen französischen Priester Jaques Hamel kann sie davon nicht abbringen.
Zeitgemäße Strukturen
Meist länger als einem lieb ist dauern Strukturreformen. Das gilt wohl auch für die vatikanische Kurienreform
und die hiesigen diözesanen Restrukturierungen. Da wie dort geht es um zeitgemäße Strukturen, die
dem geistlichen Auftrag besser dienen sollen. Die Erzdiözese Wien steckt mitten im Prozess, Salzburg hat heuer
damit begonnen und Graz-Seckau hat vom neuen Bischof diesbezüglich neuen Schwung bekommen.
Mit der Schaffung von zwei neuen vatikanischen Großbehörden setzte der Papst bei der Kurienreform auf
eine Bündelung der Kräfte. Er schuf ein Ministerium für die Belange von Familien, Laien sowie den
Lebensschutz und eines für Migration, Armutsbekämpfung, Menschenrechte und Umweltschutz. Zugleich stärkte
er die Rolle der Laien im Vatikan.
Am meisten Beachtung fand indes die lediglich vorübergehend eingesetzte Kommission für das Frauendiakonat.
Auf Wunsch des Papstes, ausgelöst durch eine konkrete Anregung von Ordensfrauen, soll sie die historische
Rolle von Diakoninnen untersuchen. Noch ist die Sache ganz offen und viele erhoffen vom Papst Änderungen,
auch wenn dieser jüngst im Blick auf die Priesterweihe für Frauen das geltende Nein bekräftigt hat.
Leichter sollten die anstehenden Bischofsernennungen zu entscheiden sein. Hier erwarten sich die Gläubigen
in den Diözesen Innsbruck und St. Pölten ein zweifaches päpstliches Ja zu guten Hirten.
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