Wahlfreiheit der Eltern soll bleiben
Wien (pk) - Der Nationalrat formalisierte am 14.12. die Pläne für einen flächendeckenden
Ausbau der Ganztagsschule. Bis 2025 nimmt der Bund für den Ausbau der Ganztagsschulen 750 Mio. € in die Hand.
Das Geld stammt aus der Abschlagszahlung für die gesenkte Bankenabgabe. Über ein Drittel der Mittel können
die Bundesländer für ganztägige Schulformen im Pflichtschulbereich verfügen. Gesetzliche Grundlage
dafür bildet das Bildungsinvestitionsgesetz. SPÖ, ÖVP, NEOS und Grüne erteilen den Plänen
ihre Zustimmung. FPÖ und Team Stronach verweigerten ihr Einverständnis, da sie um die Wahlfreiheit der
Eltern fürchteten.
Die Frage der Schulverwaltung und damit die Kompetenzfrage ist der Knackpunkt dieser Schulreform, meinten die NEOS,
daher muss die vorherrschende Machtpolitik gestoppt werden. In Form eines Entschließungsantrags warb Matthias
Strolz (N) für ein Grundsatzpapier, das den Rückzug der Parteipolitik aus der Schulverwaltung sicherstellt.
Auch Harald Walser (G) kritisierte die unklaren Verwaltungsstrukturen. Das bereits komplexe System wird so weiter
verkompliziert, meinte er. Zudem ist der zielgerichtete Einsatz der Mittel durch die Länder nicht sichergestellt.
Der Entschließungsantrag fand jedoch keine Zustimmung der Koalitionsparteien.
Ebenfalls abgelehnt wurde ein Abänderungsantrag von den NEOS. Klubobmann Matthias Strolz forderte, jährlich
den Einsatz der Fördermittel zu überprüfen, um sicherzustellen, dass die zweckgewidmeten Mittel
auch tatsächlich bei den SchülerInnen ankommen. Evaluation ist ihr ein besonderes Anliegen, versicherte
Bildungsministerin Hammerschmid.
Hammerschmid: Ganztagsschule innovativ und kreativ gestalten
Konkret soll der Bund die Mittel für den Ausbau von ganztägigen Schul- und Betreuungsangeboten in maximal
20 km Entfernung zum Wohnort zur Verfügung stellen. Sowohl öffentliche als auch mit dem Öffentlichkeitsrecht
ausgestattete Privatschulen können daraus eine Förderung beim Bildungsministerium (fixer Anteil von 500
Mio. €) bzw. der zuständigen Landesregierung (flexibler Anteil von 250 Mio. €) beantragen. Der flexible Förderanteil
über den die Bundesländer selbst bestimmen können, ist für die Umwandlung von Klassen mit Nachmittagsbetreuung
in Klassen mit verschränkter Abfolge des Unterrichts vorgesehen. Zudem sollen damit Ferienangebote eingerichtet
und die Betreuungsbeiträge an ganztägigen Schulen nach einer sozialen Staffelung gesenkt werden. Um Doppelförderungen
zu vermeiden, werden in den ersten beiden Jahren nur verschränkte Ganztagsschulen gefördert, in denen
Unterricht, Lern-, Ruhe- und Freizeitphasen einander abwechseln.
Nun gehe es darum, die Ganztagsschulen zu gestalten. Innovation und Kreativität werden dabei hochgeschrieben,
meinte Bildungsministerin Hammerschmid. Eine Schule ohne Rucksack, verbildlichte Katharina Kucharowits (S) die
Ganztagsschule: "Aufgaben und Lernen werden in der Schule erledigt, so können die Kinder unbeschwert
nach Hause kommen". Den Wünschen der Kinder nach Spaß, Kreativität, Musik und Mittagessen
mit FreundInnen wird so nachgekommen. Die Kinder müssen im Mittelpunkt stehen, meinte auch Elmar Mayer (S).
An die Ganztagsschulen dürften keine zu hohen Erwartungen gestellt werden, bremste ÖVP-Wissenschaftssprecher
Karlheinz Töchterle die Euphorie der SPÖ. Nur mit hoher Qualität könnte dort kompensiert werden,
was die Kinder daheim vermissen. Durch die Ganztagsschule dürfte Kindern nicht ihre Kindheit genommen werden,
appellierte Töchterle. Für Robert Lugar sind die Ziele nicht ambitioniert genug, daher werde das Team
Stronach dem Gesetz nicht zustimmen. Rasche Maßnahmen müssten gesetzt werden, um das Funktionieren des
Unterrichts an Österreichs Schulen wiederherzustellen. Als Lösungsansatz nannte er die Förderung
nicht konfessioneller Privatschulen. Generell ist die Ganztagsschule aber zu begrüßen, um allen Kindern
die Chance zu geben, ihr Potential voll auszuschöpfen.
Ganztagsschule als Konsequenz aus Ergebnissen der PISA-Studie
Die jüngsten Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA hätten einmal mehr den Handlungsbedarf
in Österreich aufgezeigt: Österreichs SchülerInnen schneiden mäßig ab, es gibt nur eine
kleine Gruppe an SpitzenschülerInnen und Bildung wird zu stark vererbt, so Bildungsministerin Sonja Hammerschmid.
BildungsforscherInnen wie Andreas Schleicher bestätigen, dass SchülerInnen in Ländern mit Ganztagsschulen
als Regelform beim Leistungserfolg der vergleichsweise besser abschneiden.
Die Ergebnisse der aktuellen PISA-Studie sind desaströs, meinte Gerald Hauser (F) angesichts des schlechten
Erfolges beim Lesen. Trotz hoher finanzieller Investitionen von Bund, Ländern, Gemeinden und Eltern ist ein
Drittel der SchülerInnen nicht in der Lage einen Text sinnerfassend zu lesen. Zudem ist die Zahl der SpitzenschülerInnen
zurückgegangen. An dieser Stelle müsste angesetzt werden. Rasche Änderungen zur Verbesserung des
Lernerfolgs seien notwendig. Fraktionskollege Peter Wurm meinte, wenn in der nächsten Umgebung nur verschränkte
Ganztagsschulen entstünden, könne von Wahlfreiheit keine Rede mehr sein. Letztlich hänge schulischer
Erfolg stark von der Qualität der Lehrpersonen ab. Das PISA-Ergebnis sei katastrophal, 31% der SchulabgängerInnen
würden den Berufseinstieg nicht schaffen. Die Ganztagsschule könne die Probleme dieser RisikoschülerInnen
nicht lösen, vielmehr entstehen dadurch Kosten, die vom Staat getragen werden müssen.
Andrea Kuntzl (S) verteidigte die Ganztagsschule gegenüber Abgeordnetem Wurm. Um internationale Standards
zu erreichen, solle Lernen, Üben und Freizeit gemeinsam in der Schule stattfinden. Dadurch werde auch die
Chancengerechtigkeit gefördert.
Grüne: SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf mehr fördern
SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf benötigen zusätzliche Unterstützung,
um einen chancengerechten Zugang zu Bildung zu bekommen, treten die Grünen für eine Änderung bei
der Mittelverteilung ein. Im Detail wollen Harald Walser und Helene Jarmer die doppelten Fördermittel für
diese SchülerInnen, um den höheren Investitions- und Personalkosten bei der Bereitstellung von Ganztagsplätzen
gerecht zu werden. Außerdem soll dadurch ein Anreiz zur Schaffung geeigneter Plätze gesetzt werden.
ÖVP-Mandatar Franz-Joseph Huainigg gab zu bedenken, neben barrierefreien Schulbauten brauche es auch ausreichend
PädagogInnen für den Unterricht und die Nachmittagsbetreuung von SchülerInnen mit Behinderung. Der
Abänderungsantrag der Grünen wurde mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ abgelehnt.
Chancengerechtigkeit - Haben Eltern die Wahl?
Ziel des Ganztagsschulausbaus sei, jedem Kind unabhängig von seiner sozialen Herkunft optimale Bildungschancen
zu bieten, verdeutlichte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid. Der Bedarf an Nachhilfeunterricht soll aufgrund
der innerschulischen Betreuung wegfallen. Außerdem will die Regierung durch das ganztägige Betreuungsangebot
– an Wochentagen von 07.00 Uhr bis 18.00 Uhr - die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Damit dies auch
chancengleich für alle leistbar ist, liegt Hammerschmid die soziale Staffelung der Beiträge besonders
am Herzen. In einem Land wie Österreich soll es nicht am Mittagessen scheitern.
SPÖ-Bildungssprecherin Elisabeth Grossmann unterstrich, die Ganztagsschule träge zur Chancengerechtigkeit
bei. Das Bildungsinvestitionsgesetz bringe somit einen Qualitäts- und Quantitätsschub bei der bestmöglichen
Nachmittagsbetreuung aller Kinder. Die Kritik der Opposition, die Kinder seien gezwungen, den ganzen Tag in die
Schule gehen, ließ Grossmann nicht gelten. Vielmehr wird durch den Ausbau die Wahlfreiheit der Eltern gefördert.
Auch für Brigitte Jank (V) ist der Ausbau der Ganztagsschule begrüßenswert. So kann im schulischen
Bereich mehr Individualisierung erreicht werden. Kinder aus sozial schwachen Schichten erfahren dadurch Chancengerechtigkeit.
Generell will Jank die individuell beste Lösung für jedes Kind ermöglichen. Potentiale und Talente
könnten in der Ganztagsschule besser gefördert werden, hielt auch Matthias Strolz (N) fest.
Während die Volkspartei die Wahlfreiheit der Eltern bezüglich Nachmittagsbetreuung der Kinder wahren
will, ist FPÖ und Team Stronach die freie Wahl zwischen Sonderschulen und integrativen Maßnahmen im
Regelunterricht ein großes Anliegen. Wahlfreiheit ist auch den Grünen wichtig. Harald Walser (G) sagte
dazu, es steht nicht ausreichend Budget zur Verfügung, um jedem Schüler und jeder Schülerin das
für sie optimale Paket anzubieten. Vielmehr müsse mit vorhandenen Mitteln effizient umgegangen und das
bestmögliche System geschaffen werden. In diesem Sinne forderte Walser die integrierte Gesamtschule voranzutreiben.
Fraktionskollegin Helene Jarmer fordert, die Nachmittagsbetreuung auch für Kinder mit sonderpädagogischen
Bedürfnissen sicherzustellen.
Die Qualität der Schulbildung hänge nicht an der Schulform, sagte Asdin El Habbassi (V). Es sei wichtig,
dass die Wahlfreiheit zwischen Halbtags- und Ganztagsschule bestehen bleibt. Es wird nicht für alle leistbar
sein, ihr Kind in die Ganztagsschule zu geben, führte Gerhard Schmid (o.F.) aus. Außerdem seien die
Eltern und nicht die Schule für die Erziehung zuständig. Durch die langen Schulzeiten wird den Kindern
die familiäre Wärme entzogen, meinte Schmid.
Der Ausbau ist ein erster Schritt zu einem zeitgerechten Schulsystem, war Daniela Holzinger-Vogtenhuber (S) überzeugt.
Für alle Gruppen, sowohl für SpitzenschülerInnen als auch für RisikoschülerInnen, entstehe
ein großer Mehrwert und auch die inklusive Schule wird ermöglicht. Die Wahlfreiheit bleibt bestehen,
entgegnete sie Zweifeln. Fraktionskollegin Marianne Gusenbauer-Jäger (S) stellte dazu fest, Wahlfreiheit entsteht
erst richtig durch den Ausbau der Ganztagsschulen. Die Vergabekriterien für die Förderungen seien an
Qualitätskriterien gebunden und auch Inklusion wird berücksichtigt.
FPÖ: Zwangstagsschule von früh bis spät
FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz sah im Ausbau der Ganztagsschulen keine Rettung für das österreichische
Bildungssystem. Zwar erkannte er der Nachmittagsbetreuung von SchülerInnen durchaus eine hohe Bedeutung zu,
das vorliegende Gesetz lehnte er aber ab. Es gebe keinen messbaren Nachweis, dass die Ganztagsschule die Chancengleichheit
fördert. In der verschränkten Form der Ganztagsschule wird bis in den späten Nachmittag hinein unterrichtet,
das sei aus pädagogischer Sicht nicht sinnvoll. Einer zwangsverpflichtenden Anwesenheit von 8 bis 16 Uhr kann
er nicht zustimmen, verdeutlichte er seine Ablehnung in Form eines Abänderungsantrags.Vielmehr sollte das
Geld allen Schulen für die Nachmittagsbetreuung zur Verfügung gestellt werden. Die verschränkte
Form der Schule kann Mängel im Bildungssystem nicht beheben, meinte auch Barbara Rosenkranz (F), stellte aber
fest, dass die Erwerbsquote der Frauen mit schulpflichtigen Kindern dadurch gehoben werde. Neben einer Grundsatzdebatte
über die Ausrichtung der Schulpädagogik seien hervorragende LehrerInnen notwendig, um das österreichische
Schulsystem zu verbessern.
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