Nationaler Bildungsbericht 2015 zeigt Mangel an Chancengerechtigkeit im heimischen Schulwesen
Wien (pk) - Der flächendeckende Ausbau der Ganztagsschule bis 2025 ist mit 21.12. gesetzlich fixiert.
Der Bundesrat hat dem Vorhaben mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und den Grünen mehrheitlich zugestimmt.
Der Nationale Bildungsbericht 2015 wurde außerdem von der Länderkammer ohne die Stimmen der Freiheitlichen
zur Kenntnis genommen. Bis 2025 nimmt der Bund für den Ausbau der Ganztagsschulen 750 Mio. € in die Hand.
Dann soll es flächendeckend ganztägige Schul- und Betreuungsangebote in maximal 20 km Entfernung zum
Wohnort geben.
Das Geld stammt aus der Abschlagszahlung für die gesenkte Bankenabgabe. Über ein Drittel der Mittel können
die Bundesländer für ganztägige Schulformen im Pflichtschulbereich verfügen. Um Doppelförderungen
zu vermeiden, werden in den ersten beiden Jahren nur verschränkte Ganztagsschulen gefördert, in denen
Unterricht, Lern-, Ruhe- und Freizeitphasen einander abwechseln. Gesetzliche Grundlage dafür bildet das Bildungsinvestitionsgesetz.
Mit Verweis auf die jüngsten Ergebnisse der internationalen PISA-Studie kritisierte Rosa Ecker (F/O), dass
für 2017 zu wenige Mittel für Bildungsinvestitionen eingeplant seien. Abgesehen davon, dass die Mittel
aus ihrer Sicht nicht reichen werden, ist deren Verwendung für die verschränkte Form der Ganztagsschule
abzulehnen. Mit Blick auf die Infrastruktur seien Österreichs Schulen dafür nicht gerüstet. "Warum
lassen wir die Kinder nicht wenigstens am Nachmittag noch Kinder sein", appellierte Ecker. Sie würde
in der Bildungspolitik vermehrt in der frühkindlichen Förderung ansetzen. Dass die Gelder für den
flächendeckenden Ausbau nicht reichen werden, meinte auch Fraktionskollegin Monika Mühlwerth (F/W). Zudem
befürchtet sie, dass die verschränkte Form der Ganztagsschule zu Lasten der Wahlfreiheit geht.
Von Seiten der SPÖ sprachen sich Elisabeth Grimling (S/W) sowie Daniela Gruber-Pruner (S/W) für den Ausbau
der Ganztagsschulen bis 2025 aus. Alle SchülerInnen, auch jene aus sozial schwächeren Familien, würden
damit ein optimales Lernumfeld erhalten, würden individuell unterstützt und gefördert und könnten
so ihre Leistungen steigern, zeigte sich Grimling überzeugt. Zudem machte sie darauf aufmerksam, dass in Österreich
vermehrt Frauen in Teilzeitjobs arbeiten. Laut Statistik Austria hätte rund die Hälfte der Frauen als
Grund für ihre Teilzeitarbeit Betreuungspflichten oder andere familiärer Verpflichtungen angegeben. "Aus
Sicht einer begeisterten Lehrerin" sprach sich Ana Blatnik (S/K) ebenfalls für das ganztägige Schulsystem
aus. Man ermögliche damit SchülerInnen mehr Zeit in der Schule, die aber keine Zwangsschule sei. Das
alte Schulsystem sei nicht mehr zeitgemäß, die Gesellschaft habe sich verändert und stelle andere
Anforderungen.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde u.a. von Josef Saller (V/S) angesprochen. Für ihn und seine
Fraktion sei insbesondere die Wahlfreiheit für Familien von Bedeutung. Es gehe um einen qualitätsvollen
Ausbau ganztägiger Schulformen, es gebe nämlich große regionale Unterschiede zwischen urbanen und
ländlichen Gebieten. Alles in allem sei das Vorhaben, die Ganztagsschulen auszubauen, ein wichtiger Schritt
zur Verbesserung der Bildungsangebote. "Es geht um die Zukunft", bekräftigte Angela Stöckl-Wolkerstorfer
(V/N), Familien sollten dennoch nicht zu verschränkten Ganztagsangeboten gezwungen werden. Sie sprach sich
für mehr schulische Autonomie aus, im Bildungsbereich müssten zudem, abgesehen von ideologischen Betrachtungsweisen,
jahrzehntelang bestehende Gräben zugeschüttet werden.
Die Grünen stimmten dem Bildungsinvestitionsgesetz zwar auch zu, sie hätten sich aber erwartet, mehr
Geld dafür in die Hand zu nehmen, wie David Stögmüller (G/O) für seine Fraktion geltend machte.
Österreich brauche ein Bildungssystem, das nicht vererbt und flächendeckend ausgebaut wird sowie mit
der Frühförderung beginnt.
"Heute beschließen wir ein Flickwerk und keine dauerhafte Lösung", bemängelte der Bundesrat.
Hammerschmid: Ganztagsschule durch innovative Pädagogik mit Leben erfüllen
"Pisa ist ein Blick in das System, den ich sehr ernst nehme", sagte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid.
Es sei sehr besorgniserregend, dass österreichische SchülerInnen im internationalen Vergleich nur im
Durchschnitt liegen. "Der Durschnitt ist mir für die Zukunft unserer Kinder zu wenig", so die Ministerin.
Sie will alles daran setzen, dass Österreich zu den Spitzenländern in Europa gehört.
Geht es um das Bildungsinvestitionsgesetz, müsse die ganztätige Schulform nun mit Leben und innovativer
Pädagogik erfüllt werden. Die Ganztagsschule ermöglicht aus ihrer Sicht die Möglichkeit, mit
schwächeren SchülerInnen auch inklusiv zu lernen, gleichzeitig aber auch talentierte SchülerInnen
zu fördern. "Wir müssen mutig gestalten. Packen wir's an!", appellierte Hammerschmid, wichtig
sei hierfür auch eine Autonomie für Schulen.
Gegenüber der FPÖ-Kritik, wonach die Mittel nicht für den Ausbau reichen würden, verwies die
Ministerin auf die im Gesetz erläuterten Kofinanzierungsmodelle.
Diskussion über Status quo des heimischen Bildungssystems
Glaubt man dem jüngsten Nationalen Bildungsbericht, erstellt vom BIFIE, ist Österreich noch weit entfernt
vom Ziel, gleiche Bildungschancen für alle zu gewährleisten. Demnach hat ein Drittel der österreichischen
Volksschulkinder ein erhöhtes Risiko, in der Schullaufbahn zu scheitern. Gründe dafür seien nichtdeutsche
Alltagssprache, bildungsferner Haushalt beziehungsweise niedriger Berufsstatus der Eltern. Wie die Politik hier
entgegenwirken kann bzw. welche Änderungen notwendig sind, dazu liefern die Parteien unterschiedliche Ansätze.
Mit Kritik am Bildungssystem sparte Monika Mühlwerth (F/W) auch in der Debatte über den Bildungsbericht
nicht. Das heimische Schulsystem ist aus ihrer Sicht nämlich an die Wand gefahren. Die Schere zwischen SpitzenschülerInnen
und schlechten SchülerInnen gehe immer weiter auseinander. Nach der Einführung der Gesamtschule komme
nun noch die Ganztagsschule, ein Problem gebe es zudem mit ausländischen SchülerInnen. Der wesentlichste
Punkt ist für sie die Qualität der LehrerInnen.
Die verschränkte Ganztagsschule verteidigte Daniela Gruber-Pruner (S/W), diese Form würde den Bedürfnissen
der Kinder am besten entgegenkommen und Bildungsvererbung entgegensteuern. Außerdem sei nicht das System
in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das Kind.
Marianne Hackl (V/B) machte darauf aufmerksam, dass bereits in der Volksschule ungleiche Bildungschancen zum Vorschein
kommen würden. Aus ihrer Sicht sollten keine Experimente mit Kindern gemacht, sondern Kindertalente gefördert
werden. Nicht die "Gleichmacherei" sei die Zukunft. Hackl sprach sich zudem für Autonomie in den
Schulen und Klassen aus.
Der Bericht zeige zahlreiche Problemfelder auf, Ministerin Hammerschmid habe mit den Grünen einen Partner,
wenn es um zukunftsfähige Bildungspolitik geht, sagte David Stögmüller (G/O). Als essentiell hält
er etwa eine umfassende Medienkompetenzausbildung für PädagogInnen.
Digitalisierung: Gesamtstrategie soll Anfang 2017 vorgestellt werden
Geht es nach der Ministerin, zeigt der Bildungsbericht 2015, dass es notwendig ist, mutige und innovative pädagogische
Konzepte zu erarbeiten. Die Gesellschaft und die Arbeitswelten hätten sich in den letzten Jahrzehnten stark
verändert, Schule müsse neu gedacht werden. Den Kindern dürfe in der Elementarpädagogik oder
in der Schule nicht die Kreativität und Neugier genommen werden. Dafür müsse man den PädagogInnen
die erforderlichen Werkzeuge in die Hand geben. Wesentlich sei es auch, die Mittel entlang des Chancen-Index zu
verteilen, zudem will sie sich u.a. besonders auf die Elementarpädagogik konzentrieren. Schon im Kindergarten
sollten Bildungsziele und ein Qualitätsrahmen entwickelt werden, um den Übertritt in die Schule bestmöglich
zu gestalten.
Zur Zeit arbeitet das Bildungsressort zudem an einer Gesamtstrategie zum Thema Digitalisierung, wie Hammerschmid
die Länderkammer informierte. Diese soll Anfang nächsten Jahres vorgestellt werden.
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