Sensationelle Wiederentdeckung – "Die Stadt ohne Juden" -
Wien (filmarchiv) - Auf einem Pariser Flohmarkt wurden letztes Jahr verloren geglaubte Passagen des vielleicht
wichtigsten österreichischen Stummfilms "Die Stadt ohne Juden" durch Zufall entdeckt und in weiterer
Folge vom Filmarchiv Austria übernommen.
Dieser nach einer Romanvorlage des jüdischen Schriftstellers und Journalisten Hugo Bettauer 1924 in Wien gedrehte
Film zeigt in einer unheimlichen Vorahnung die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung und die darauffolgende
kulturelle und wirtschaftliche Verarmung einer Gesellschaft. Der Verfilmung löste schon damals heftige Kontroversen
aus, die in der Ermordung Hugo Bettauers gipfelten.
Die neu aufgefundenen Passagen zeigen den Film erstmals vollständig und lassen ihn in einem neuem Licht erscheinen.
Bisher unbekannte Szenen zeigen das jüdische Leben in einer Gesellschaft, in der Judenhass geschürt wird.
Damit wird die politische Aussage des Films und die Darstellung des hetzerischen Antisemitismus im Wien der Zwischenkriegszeit
wesentlich schärfer artikuliert.
Bei den neu entdeckten Filmrollen handelt es sich um leicht entzündliches Nitromaterial, das durch das Alter
schon Zersetzungsspuren aufweist. Eine Sicherung des Films durch Umkopierung auf Safetyfilm ist dringend geboten.
Im Anschluss daran muss der Film restauriert und in die schon vorhandene Version integriert werden.
Nachdem die öffentliche Finanzierung für die dringliche Sicherung des Materials nicht ausreichte, initiierte
das Filmarchiv Austria die größte österreichische Crowdfunding-Initiative im Kulturbereich, um
"Die Stadt ohne Juden" vor dem Verfall zu retten. Die Kampagne ging am 10. Dezember erfolgreich zu Ende.
Über 700 internationale UnterstützerInnen ermöglichen die Filmrettung mit über EUR 86.000.
Nach Fertigstellung der Restaurierung wird die vollständige Fassung nach über 90 Jahren im Herbst 2017
erstmals wieder im Kino aufgeführt werden. Eine Veröffentlichung der rekonstruierten Fassung auf DVD/Blu-ray
sowie einer wissenschaftlichen Begleitpublikation sind in Planung. "Die Stadt ohne Juden" wird außerdem
im Zentrum einer Ausstellung des Filmarchiv Austria im Metro Kinokulturhaus in Wien stehen. Diese für den
Spätherbst 2017 angesetzte große Schau wird sich dem Verhältnis von Kino, jüdischer Kultur
und Zeitgeschichte in den Jahren 1918 bis 1938 widmen.
|