Dutzende neue Neuronen-Arten im Hypothalamus katalogisiert
Wien (meduniwien) - Das menschliche Gehirn besteht aus Billionen von Zellen, von zig-tausenden kennt man
weder die Funktion, noch wurden sie jemals katalogisiert. Die Erforschung dieser vielen noch unbekannten Zellen
ist weltweit ein Schwerpunkt in der Hirnforschung, um neue Zellfunktionen aufzudecken, die bei vielen Erkrankungen
von Bedeutung sind. An der MedUni Wien, in der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften im Zentrum für
Hirnforschung, wurden nun bisher vielfach unbekannte Neuronen im Hypothalamus identifiziert und katalogisiert und
die Funktion einer bisher nicht bekannten Dopamin-Zelle ermittelt. Die Studie wurde nun im Top-Journal Nature Neuroscience
(Impact-Faktor 16,724) veröffentlicht.
Möglich gemacht wird der exakte Blick in die zelluläre und molekulare Zusammensetzung des Gehirns durch
die Kombination klassischer Methoden zur Zell-Identifizierung unter dem Mikroskop mit dem so genannten „single-cell
RNA sequencing“. Dadurch wird es möglich, jeden Baustein einer Zelle zu erkennen – und das sind zehntausende
mRNA-Moleküle pro Zelle.
„Der Hypothalamus ist die Stelle, die Stoffwechselprozesse im ganzen Körper reguliert, indem sie viele Hormone
produziert. Daher ist das jener Bereich des Gehirns mit der höchsten Dichte und der Vielfalt an Neuronen.
In Anbetracht dessen, dass nur 1.000 bis 5.000 Neuronen grundlegende hormonelle Abläufe wie Stress, Ernährung
oder Schlaf-Regulierung steuern, verspricht die Aufdeckung dieser Neuronen neue und wichtige Erkenntnisse über
die Interaktionen zwischen Gehirn und Körper“, erklärt Tibor Harkany, Leiter der Abteilung für Molekulare
Neurowissenschaften im Zentrum für Hirnforschung.
Im Hypothalamus entdeckte und katalogisierte das Team vom Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien jetzt
62 verschiedene Neuronen, deren Funktion und Bedeutung im Zusammenspiel mit anderen Nervenzellen und Gehirnregionen
nun erforscht werden können. Von einem Neuron, einer einzigartigen Dopamin-Zelle, konnte die Funktion bereits
ermittelt werden. „Diese Zelle spielt eine Rolle bei der Ausschüttung von Hormonen ins Blut über die
Hypophyse. Wir denken, dass die Zufuhr von Hormonen die in der Hypophyse produziert werden, nur dann funktioniert
, wenn diese Dopamin-Zelle inaktiv ist“, erklärt Tomas Hökfelt, Gastprofessor am Zentrum für Hirnforschung,
der bei der Entdeckung und Katalogisierung des Neuropeptid-Systems im Hypothalamus bereits vor 40 Jahren enorm
wichtige Pionierarbeit geleistet hat. Die Hypophyse ist eine Art Schnittstelle, mit der das Gehirn über die
Freisetzung von Hormonen Vorgänge wie Wachstum, Fortpflanzung, Sexualität und Stress reguliert.
Dementsprechend könnte es gelingen, Ansatzpunkte für Medikamente (Targets) in vielen der neu identifizierten
Neuronen zu finden, die genau in diese Prozesse eingreifen könnten – etwa bei Adipositas, Empfängnisverhütung,
Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit oder auch Narkolepsie (Schlafkrankheit). Es geht hauptsächlich um metabolische
Vorgänge, die damit beeinflusst werden. „Deshalb könnten uns diese Erkenntnisse dabei helfen, neue Wege
zu finden, um vielen der häufigsten Erkrankungen unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Unsere Studienergebnisse
zeigen, dass neue Behandlungsoptionen, etwa durch bisher unbekannte Hormone, existieren könnten“, erklärt
Roman Romanov, Erst-Autor und Hirnforscher an der MedUni Wien.
Wenn noch weitere derartige Zellen katalogisiert und deren Funktionen identifiziert sind, dann könnte es,
so Harkany, in Zukunft möglich sein, Verbindungen, Beziehungen und Wechselwirkungen der Nervenzellen untereinander
zu klären und sogar vorherzusagen, welches Neuron wie, wo und wann auf ein anderes wirkt – auch in weit voneinander
entfernten Gehirnarealen.
Diese Studie, wie auch andere an der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften, wurde vom Europäischen
Forschungs-Council (ERC) und von der europäischen, molekularbiologischen Organisation (EMBO) als „Frontline
Research“ gefördert.
Nature Neuroscience
„Molecular interrogation of hypothalamic organization reveals distinct
dopamine neuronal subtypes.“ Roman A Romanov, Amit Zeisel, Joanne Bakker, Fatima Girach, Arash Hellysaz, Raju Tomer,
Alán Alpár, Jan Mulder, Frédéric Clotman, Erik Keimpema, Brian Hsueh, Ailey K Crow,
Henrik Martens, Christian Schwindling, Daniela Calvigioni, Jaideep S Bains, Zoltán Máté, Gábor
Szabó, Yuchio Yanagawa, Ming-Dong Zhang, Andre Rendeiro, Matthias Farlik, Mathias Uhlén, Peer Wulff,
Christoph Bock, Christian Broberger, Karl Deisseroth, Tomas Hökfelt, Sten Linnarsson, Tamas L Horvath &
Tibor Harkany. DOI: 10.1038/nn.4462.
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