Schlepperring schleuste in 10 Jahren knapp 10.000 Menschen nach Europa.Geschätzter Gesamtumsatz:
mehr als 15 Millionen Euro. Weiterer Ermittlungserfolg gegen Schlepper in Spanien.
Wien (bmi) - Es ist ein sensationeller Ermittlungserfolg, den Innenminister Wolfgang Sobotka gemeinsam mit
der Landespolizeidirektion Niederösterreich und dem Bundeskriminalamt am 19.12. präsentieren konnte.
Aufgrund von Ermittlungen des Landeskriminalamtes Niederösterreich - Ermittlungsbereich Menschenhandel/Schlepperei
- wurde im Laufe des Jahres 2016 eine türkisch stämmige Schlepperorganisation ausgeforscht, die in den
letzten zehn Jahren einen geschätzten Gesamtumsatz von mehr als 15 Millionen Euro verbuchen konnte. Innenminister
Sobotka gratulierte den Ermittlungsbehörden und kündigte eine weitere Schwerpunktsetzung im Bereich Schlepperei
und Menschenhandel an. „Dieser Ermittlungserfolg zeigt, wie erfolgreich und unermüdlich unsere Beamten in
der Kriminalitätsbekämpfung sind. Erfolge wie heute sind aber erst der Anfang. Wir werden die internationale
Vernetzung bei der Bekämpfung von Schlepperei und Menschenhandel weiter vorantreiben. Kein Schlepper soll
sich künftig noch sicher fühlen. Wir sind ihnen auf den Fersen“, so Sobotka. Es sei dies ein schwerer
Schlag gegen Schlepperei sowie ein deutliches Zeichen, dass mit dem Leid von Flüchtlingen nicht länger
Profit gemacht werden dürfe. "Diese Ermittlungserfolge zeigen, dass unsere Strategie zur nachhaltigen
Bekämpfung von Schlepperei die richtige ist. Das Joint Operational Office ist eine Informationsdrehscheibe.
Der enge nationale und internationale operative Austausch steht im Mittelpunkt. Ein Fixteam von rund 40 Ermittlern
arbeitet gemeinsam mit inländischen und ausländischen Ermittlern Schulter an Schulter“, sagt Oberst Gerald
Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperei und des Menschenhandels im Bundeskriminalamt.
Im Zuge der Ermittlungen wurden insgesamt elf Mitglieder der Schlepperorganisation festgenommen. Die Schleppungen
hatten ihren Ausgang dabei in der Türkei. Flüchtlinge wurden auf verschiedenen Routen nach Wien gebracht,
wo sie dann in unterschiedliche westeuropäische Länder (Österreich, Deutschland, Frankreich, Schweden,
Schweiz, Italien) geschleust wurden. Sämtliche Auslandserhebungen im Fall wurden durch das Bundeskriminalamt
durchgeführt.
Die aus Syrien, Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan stammenden Flüchtlinge zahlten in der Türkei zwischen
5.000 und 8.000 Euro an Schlepperentgelt. Sie wurden anschließend auf dem Luft- oder Landweg nach Wien gebracht,
wo sie über hier ansässige Zwischenorganisatoren in die entsprechenden Zielländer verteilt wurden.
Bei den Flüchtlingen handelte es sich um junge Männer im Alter von etwa 20 Jahren sowie um Mütter
mit Kindern und Kleinkindern. Sie wurden in Fahrzeuge oder Kleinbusse gepfercht und unter menschenunwürdigen
Umständen bei bis zu fünfstündigen Fahrten ohne Unterbrechung transportiert.
Details zum türkischen Schlepperring
Im Zuge der Ermittlungen wurden drei Schlepperrouten von der Türkei nach Wien ausgemacht:
- Auf dem Flugweg von Istanbul nach Podgorica in Montenegro und weiter auf dem
Landweg über Serbien und Ungarn nach Wien.
- Auf dem Seeweg von Izmir nach Griechenland und weiter auf dem Landweg nach Mazedonien,
Serbien und Ungarn nach Wien.
- Auf dem Flugweg von Istanbul nach Lviv in der Ukraine und über Ungarn oder
Polen und die Slowakei nach Wien.
Aufgrund der umfangreichen Ermittlungen und Einvernahmen konnte durch das Landeskriminalamt Niederösterreich,
Ermittlungsbereich Menschenhandel, die gesamte Struktur der Schlepperorganisation ausgeforscht werden. Gegen diese
Schlepperorganisatoren wurde seit über 10 Jahren von mehreren in- und ausländischen Ermittlungsbehörden
(Österreich, Ungarn, Deutschland, Kroatien) wegen Schlepperei ermittelt. Diese Schlepperorganisation bediente
sich für die jeweiligen Schlepperetappen verschiedener Mittäter und tauschte diese im Laufe der Jahre
nach erfolgten Festnahmen immer wieder aus. Der Organisation kann über die letzten zehn Jahre die Einschleusung
von knapp 10.000 Flüchtlingen mit einem Umsatz von mehr als 15 Millionen Euro aus inkriminierten Handlungen
zugeordnet werden.
Bei den drei führenden Mitgliedern der Schlepperorganisation handelt es sich um türkische Staatsbürger
im Alter von 30, 48 und 50 Jahren. Die Beschuldigten organisieren von Istanbul aus Schleppungen nach Europa und
behalten einen Großteil des Schlepperentgeltes als Gewinn. Die Organisatoren bedienten sich eines 39-jährigen
Kosovaren, der für sie Schlepperfahrer für die jeweiligen Etappen rekrutierte. Er kundschaftete immer
wieder neue Schlepperrouten, insbesondere nach Festnahmen und Kontrollen, aus. Gegen diese vier führenden
Mitglieder der Schlepperorganisation wurden über das Landesgericht Korneuburg internationale Haftbefehle erwirkt.
Der Kosovare konnte bereits in Mazedonien festgenommen werden und befindet sich in Auslieferungshaft.
Weiterer Ermittlungserfolg im Zusammenhang mit Schleppungen
Am 21. August 2015 kam auf der Westautobahn A1 im Gemeindegebiet von Oed, Bezirk Amstetten, NÖ, ein Ford Transit
in geschlossene Bauweise (Transporter) mit spanischem Kennzeichen in Folge eines Reifenschadens ins Schleudern,
prallte gegen die Leitplanken, stürzte um und schlitterte ca. 100 Meter auf der Seite zum Unfallsendpunkt.
Im Laderaum des Fahrzeuges befanden sich zum Unfallzeitpunkt 36 Migranten, die von Ungarn über Österreich
nach Deutschland geschleppt werden sollten.
Im Zuge des Verkehrsunfalles öffneten sich die hinteren Türen des Laderaums. Mehrere Personen, darunter
Frauen und Kinder, stürzten aus dem Fahrzeug auf die Fahrbahn. Durch diesen Unfall wurden insgesamt 24 Personen
verletzt, davon zwölf schwer. Die Verletzten wurden an der Unfallörtlichkeit von einer großen Anzahl
von Rettungskräften erstversorgt und mit Rettungs- und Notarztwägen sowie Rettungshubschraubern in umliegende
Krankenhäuser bzw. in die Universitätsklinik St. Pölten gebracht. Die Westautobahn war über
mehrere Stunden gesperrt. Der Lenker des Unfallfahrzeuges flüchtete unmittelbar nach dem Unfall.
Die Erhebungen wurden durch das Landeskriminalamt Niederösterreich, Ermittlungsbereich Menschenhandel, übernommen.
Das Fahrzeug wurde beschlagnahmt und durch die Tatortgruppe des Landeskriminalamtes untersucht.
Nach monatelanger Ermittlungsarbeit in Zusammenarbeit mit den spanischen Polizeibehörden konnte der Tatverdächtige,
ein in Spanien aufhältiger 40-jähriger pakistanischer Staatsbürger, als vermutlicher Schlepper ausgeforscht
werden.
Über Auftrag der Staatsanwaltschaft St. Pölten führten die Beamten des Landeskriminalamtes in Barcelona
persönlich Erhebungen durch. Es konnte festgestellt werden, dass der Tatverdächtige versuchte, seine
Tatbeteiligung durch eine fingierte Diebstahlsanzeige des genannten Fahrzeuges zu verschleiern. Er änderte
seinen Namen und seine Kontaktdaten, um so nicht ausgeforscht werden zu können. Er bestritt bei den Befragungen
jegliche Tatbeteiligung.
Die Rechtfertigung des Verdächtigen konnten auf Grund weiterer kriminaltechnischer Untersuchungen des Landeskriminalamtes
Niederösterreich widerlegt werden, die in Österreich gesicherten Spuren und Sachbeweise konnten den Verdächtigen
einwandfrei überführen. Nach Ausstellung eines europäischen Haftbefehls wurde der Beschuldigte am
25. Oktober 2016 nach Österreich ausgeliefert. Auf Grund der massiven Vorwürfe legte der Beschuldigte
ein Geständnis ab und gab Mittäter und weitere Taten zu Protokoll.
Er schilderte die Umstände des Transportes und gab an, dass er bereits bei der Wegfahrt in Rözke/Ungarn
feststellte, dass das Fahrzeug unfahrbar war. Er ignorierte dies jedoch und fuhr trotz erheblicher Unfallgefahr
weiter. Grund für die Schleppung war die versprochene Entlohnung in der Höhe von 2.500 Euro. Er agierte
als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, die im Jahre 2015 und bis April 2016 mehrere hundert Schleppungen von
Ungarn über Österreich nach Deutschland und Italien durchführte.
Der Beschuldigte befindet sich derzeit in der Justizanstalt St. Pölten in Untersuchungshaft. Ihm werden gewerbsmäßige
Schlepperei unter besonders qualvollen Umständen, gewerbsmäßige Schlepperei und die vorsätzliche
Gefährdung des Lebens einer großen Zahl von Personen vorgeworfen.
Es konnten vier weitere Täter ermittelt werden, darunter auch der ebenfalls in Spanien aufhältige Haupttäter
und Organisator der Gruppe. Nach diesen weiteren Beschuldigten wird derzeit in Zusammenarbeit mit den spanischen
Behörden und der Staatsanwaltschaft St. Pölten gefahndet.
Der Landespolizeidirektor HR Dr. Franz Prucher bedankt sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landeskriminalamtes
Niederösterreich für ihr Engagement und ihre Ausdauer bei der Klärung dieser Straftaten. Durch die
akribische Arbeit der Kolleginnen und Kollegen konnten zwei Schlepperorganisationen, die sich skrupellos am Leid
anderer Menschen bereicherten, zerschlagen werden, so Prucher.
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