Klimaveränderung macht Ernährung unsicherer - GAP muss Sicherheit schaffen
Brüssel/Wien (lk-oe) - "Die kommende Periode der EU-Agrarpolitik (GAP) dauert bis 2027. Bis dahin
wird die Klimaveränderung bereits schmerzhafte Folgen haben, nicht zuletzt auch für die sichere Versorgung
mit Lebensmitteln. Einer Periode von vier globalen Rekordernten in Serie wie jetzt können rasch Missernten
folgen. Dennoch muss die Ernährung der Menschen sichergestellt werden. Daher braucht eine neue EU-Agrarpolitik
Lenkinstrumente, die bei einem Zuviel an Produktion ebenso greifen wie bei einem Zuwenig. Hier auf die 'unsichtbaren
Kräfte des Marktes' zu vertrauen, wäre verantwortungslos", erklärte LK Österreich-Präsident
Hermann Schultes am 16.01. im Rahmen der "Klartext-kompakt"-Veranstaltung zum Thema "Ein neues Lenkrad
für die Gemeinsame Agrarpolitik" in Wien.
"Missernten führen zu rasant steigenden Lebensmittelpreisen und in vielen Gegenden der Welt zu Hunger
sowie politischen Unruhen, Rekordernten zu Preisabstürzen und zum Verlust der wirtschaftlichen Grundlage für
bäuerliche Betriebe. Beides wäre katastrophal. Daher brauchen wir neue, flexible GAP-Instrumente",
stellte Schultes klar. "Eingebettet sind diese flexiblen Instrumente in eine stabile GAP mit weiterhin zwei
Säulen, die auch in Zukunft die Grundlage der europäischen Land- und Ernährungswirtschaft bilden
muss", so der Präsident.
Angebots- und nachfrageseitige Instrumente
"Um wirksam, flexibel und gleichzeitig marktsensibel lenken zu können, müssen solche Instrumente
sowohl angebots- als auch nachfrageseitig eingesetzt werden. Auf der Angebotsseite brauchen wir bessere Instrumente,
welche die gegenseitigen Verbindlichkeiten in der Versorgungskette stärken: Landwirte und Verarbeiter vereinbaren
mittels Lieferverträgen und -verbindungen fixe Produktionsziele. Damit verhindern sie eine Überproduktion
mit all ihren negativen Auswirkungen. Auf der Nachfrageseite kann dort gelenkt werden, wo Agrarerzeugnisse zu technischen
Produkten, Futtermitteln oder Nahrungsmitteln verarbeitet werden. Im Falle eines knapperen Angebots werden bestimmte
Verwendungen reduziert. Fallen größere Mengen an, eröffnet man zusätzliche Verwertungsmöglichkeiten.
Konkret geht es dabei um die Verwendung agrarischer Rohstoffe für Bioökonomie und Bioenergie", erläuterte
Schultes.
Appell an EU-Kommission: "Winterpaket" kontraproduktiv
"Absoluten Vorrang bei der Verwertung von Agrarerzeugnissen hat die menschliche Ernährung. Danach
folgt der Bereich Fütterung und schließlich die technische Verarbeitung von agrarischen Produkten. Damit
das auch in Zukunft so bleibt, muss die GAP flexible Instrumente bieten: Wächst weniger, reduziert man die
technische Verwertung, sind die Mengen größer, baut man diese aus. Das hat vor allem bei Biotreibstoffen
noch einen weiteren Aspekt: Damit wird das Treibhausgas CO2 reduziert und der Klimawandel wirksam bekämpft.
Das Ende des Vorjahres von der Europäischen Kommission vorgestellte Winterpaket ist hier jedoch kontraproduktiv.
Denn dieses will Biotreibstoffe, die nachweislich dem Klima helfen, zurückfahren. Damit schadet die Kommission
nicht nur dem Klima selbst, es schließt auch ein Tor in der GAP, das die klimafreundliche Verwertung größerer
Erntemengen erst möglich macht", warnte Schultes und appellierte an ein rasches Umdenken der Kommission.
Milch- und Zuckermarkt als gute Beispiele
"Zwei Beispiele zeigen, wie klug eingesetzte Lenkinstrumente wirken: So sah man bei der Milchlieferrücknahme-Aktion,
dass letztlich nicht nur die erreichte Menge, sondern auch das international wahrnehmbare Signal an den Markt für
Marktberuhigung und Preisstabilisierung gesorgt hat. Dieses erfolgreich eingesetzte Instrument soll in einer künftigen
GAP fix eingebaut werden. Das zweite Beispiel geben die Rübenbauern: Diese haben sich gegenüber den Verarbeitern
verpflichtet, eine bestimmte Menge zu erzeugen, um Angebot und Nachfrage in der Waage zu halten. Das Endprodukt
Zucker kann darüber hinaus gelagert werden und wirkt auf diese Weise ebenfalls markt- sowie preiswirksam",
informierte Schultes und verlangte: "Wir brauchen solche Steuerräder, um im Fall des Falles, also bei
Übermengen oder Unterversorgung in allen Produktionssparten, wirkungsvoll eingreifen zu können."
Produktionsrahmen und Nachhaltigkeit
"Ein neues 'Lenkrad' für die GAP wirkt nicht nur auf die produzierten oder verarbeiteten Mengen,
es hat auch einen nachhaltigen Aspekt, der die Grundabsicherung der Gesellschaft mit Nahrungsmitteln betrifft.
Denn ohne eine ausreichende Anzahl von Produzenten, also Bäuerinnen und Bauern, lässt sich diese Absicherung
nicht mehr garantieren", gab Schultes zu bedenken und nannte drei Aspekte, die eine neue EU-Agrarpolitik berücksichtigen
müsse: "Die Landwirtschaft erbringt unverzichtbare Leistungen, die der Markt nicht honoriert. Diese Leistungen
für die Gesellschaft gibt es nur, wenn sie gesondert abgegolten werden. Das sind beispielsweise der Erhalt
von Bergwiesen, die Sicherung exponierter Lebensräume, der Erhalt der Biodiversität sowie die Verstärkung
von Erosionsschutz und Wasserspeicherung."
Zum anderen gilt es, die Risikoversicherung als Hilfe zur Selbsthilfe weiter auszubauen, um Antworten auf zunehmende
Klimakatastrophen geben zu können. Und drittens verlangen wir eine Stabilisierung der traditionell strukturierten
bäuerlichen Höfe in schwierig zu bewirtschaftenden Regionen. Direktzahlungen und besonders ausgewiesene
Angebote am Markt, wie Bergerzeugnisse oder Heumilch, müssen ein Überleben der Betriebe möglich
machen. Denn die Gesellschaft braucht jene vielfältigen Wirkungen, die weit über die Land- und Forstwirtschaft
hinausreichen sowie der gesamten Gesellschaft Nutzen bringen", betonte Schultes.
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