Mannheimer Wissenschaftler entdecken Mechanismus der Entstehung von Nervennetzen
Mannheim (idw) - Die Arbeitsgruppe um PD Dr. Matthias Carl, die am Lehrstuhl für Zell- und Molekularbiologie
der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg forscht, hat einen neuen Mechanismus der
Entstehung von Nervennetzen entdeckt. Die Forschungsergebnisse sind aktuell im hochrangigen Forschungsjournal Current
Biology veröffentlicht.
Das menschliche Gehirn enthält einige Millionen Nervenbahnen, die sich alle während der Entwicklung vom
Embryo zum erwachsenen Menschen ausbilden, indem sie von Zelle A zu Zelle B wachsen und diese verbinden. Geschieht
dies unpräzise oder gar nicht, hat dies zumeist verheerende neurologische Auswirkungen.
Die meisten Nervenbahnen finden sich zweimal im Gehirn, jeweils einmal auf der rechten und der linken Gehirnhälfte.
Die Entwicklung der meist spiegelbildlichen Nervenbahnen scheint sehr ähnlich zu verlaufen. Dies ist nicht
selbstverständlich, da sich die Gehirnhälften in ihrer Anatomie und Funktion in vielen Bereichen erheblich
unterscheiden (siehe Hüsken et al., 2014, Current Biology). Es stellt sich daher die Frage, wie die Nervenbahnen
ihren oftmals weiten Weg durch das Gehirn zu ihren Zielorten finden. Und: Wie kann dies in beiden Gehirnhälften
in ähnlicher Weise geschehen, selbst wenn diese sich voneinander unterscheiden?
Die Arbeitsgruppe um PD Dr. Carl hat diese Fragen erforscht. Als Modellsystem verwenden die Wissenschaftler den
Zebrafisch, da es die Transparenz der Fischembryonen erlaubt, Entwicklungsprozesse im lebenden Organismus zu verfolgen.
Das von der Arbeitsgruppe studierte Nervennetz ist das sogenannte habenulare Nervennetz, dessen Funktion im Menschen
mit pathophysiologischen Syndromen wie Depression und Schizophrenie in Verbindung gebracht wird.
Die Forscher in Mannheim arbeiteten mit dem Nikon-Imaging Zentrum in Heidelberg und der Core Facility Live Cell
Imaging Mannheim (LIMA) am Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik (CBTM) der Medizinischen Fakultät
Mannheim sowie mit Arbeitsgruppen in Paris und Lyon zusammen. Sie studierten die vier Tage andauernde Entwicklung
des habenularen Nervennetzes über Langzeit-Zeitrafferaufnahmen in Verbindung mit Laser-Manipulationen und
selbst entwickelter Computer-Software (siehe Abbildung). Dabei konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Kommunikation
zwischen den beiden Gehirnhälften notwendig ist, damit die habenularen Nervenbahnen auf beiden Seiten des
Gehirns ihr Ziel finden.
Auf ihrem Weg durch das Gehirn kreuzen die Nervenbahnen ein zweites Nervennetz, das die beiden Gehirnhälften
miteinander verbindet und seinen Ursprung im Gehirnbereich des Thalamus hat. Diese thalamischen Nervenzellen senden
Signale an die habenularen Nervenzellen, die Ihnen anzeigen, zu welchem Zeitpunkt sie ihre Nervenbahnen ausformen
sollen. Zerstört man nämlich die thalamischen Nerven mit einem Laser auf einer Seite des Gehirns, ist
das synchrone Wachstum der habenularen Nervenbahnen gestört und die Verbindungen zwischen den Gehirnhälften
werden nicht mehr gebildet. Dies hat zur Folge, dass die Nervenbahnen auf beiden Seiten des Gehirns aufhören
zu wachsen. Das bedeutet, dass ein Nervennetz (Habenula) zum Wachstum der eigenen Nervenbahnen ein zweites Nervennetz
(Thalamus) benötigt, und zwar für die Kommunikation zwischen den beiden Seiten des Gehirns.
„Die Entdeckung dieses neuen Mechanismus der Nervennetzentstehung war bis zum heutigen Zeitpunkt schlichtweg nicht
möglich. Erst die Weiterentwicklung von Mikroskopie-Techniken und Bildgebungsverfahren in Kombination mit
unserem bislang einzigartigen Assay haben es jetzt erlaubt, Netzwerke in lebenden Organismen über einen so
langen Zeitraum filmen zu können, ohne mit ihrer Entwicklung zu interferieren. Diese Filme sind sehr anschauliches
Lehrmaterial für unsere Studenten und für uns im Labor wird es natürlich jetzt spannend, die Moleküle
zu identifizieren, die die beiden Gehirnhälften miteinander sprechen lassen“, so PD Dr. Carl.
Bislang war eine kommunikative Rolle von Nervenbahnen, die die Gehirnhälften miteinander verbinden, nur bei
der Gehirnfunktion bekannt. Dass diese Kommissuren auch während der Entstehung von Nervennetzen eine so fundamentale
Rolle zu spielen scheinen, ist neu. Die Forscher halten es für gut denkbar, dass der entdeckte Mechanismus
auch von anderen Nervennetzen zur Entstehung genutzt werden könnte.
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