Leitl: Migration, Digitalisierung und
 Internationalisierung als größte Herausforderungen

 

erstellt am
20. 01. 17
13:00 MEZ

WKÖ-Präsident in Gastvorlesung an der Wirtschaftsuniversität Wien: Mehr Investitionen und Flexibilität und weniger Bürokratie nötig
Wien (pwk) - Migration, Digitalisierung und Internationalisierung – das sind die größten Herausforderungen, die laut Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl 2017 auf die österreichische Wirtschaft zukommen. Dabei sind die Grundvoraussetzungen gar nicht so schlecht: So liegt Österreich im Globalisierungindex der ETH Zürich auf Platz vier, ebenso im Hidden Champions Ranking von „Simon, Kucher & Partners“. Beim Wirtschaftswachstum erwarte er sich „eine stabile Entwicklung“ von 1,5 Prozent, erklärte Leitl am 19.01. anlässlich seiner jährlichen Gastvorlesung an der Wirtschaftsuniversität Wien. Damit liege Österreich im europäischen Schnitt, aber deutlich unter den USA (2,2 Prozent) und dem weltweiten Schnitt von 3,3 Prozent.

Im Bereich Beschäftigung hält Leitl das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 200.000 neue Jobs zu schaffen, für machbar, schließlich würden aufgrund des Wirtschaftswachstums heuer 42.000 und 2018 36.000 neue Arbeitsplätze von den heimischen Betrieben geschaffen. Gleichzeitig werde in diesem Jahr die Zahl der Arbeitslosen um 20.000 Personen steigen, so Leitl, „auch weil aufgrund der Migration die Nachfrage höher ist als das Jobangebot“.

Den Menschen Chancen ermöglichen, hier und in ihrer Heimat
Beim Thema Migration dürfe man jedoch keine Ängste schüren. „Wir müssen Mut machen mit klaren Strategien und Zielen“, so Leitl. So müsse Migration immer auch Integration bedeuten: „Wenn Migration mit dem Asylverfahren beginnt und damit endet, dass die Leute arbeitslos herumsitzen, entsteht keine positive Zukunftshoffnung“, sagte der WKÖ-Präsident vor 100 Studierenden. Dabei falle den Betrieben die besondere Aufgabe zu, die Menschen aufzunehmen und ihnen Qualifikation zu geben. „Und wer aufgrund des Asylverfahrens noch nicht arbeiten darf, soll gemeinnützig beschäftigt werden“, so Leitl. „Die Menschen über Arbeit zu integrieren – das ist eine klare Strategie, dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen.“ Letztlich müsse das Migrationsproblem aber auch an der Wurzel angegangen werden, so Leitl: „Die Menschen verlassen ihre Heimat nur, wenn sie dort keine Chancen für sich und ihre Familien sehen. Es ist unsere Pflicht, ihnen diese Chancen zu ermöglichen.“ Es brauche daher einen Marshall-Plan für Afrika mit fairen wirtschaftlichen Kooperationen und zusätzlichen Ausbildungsmöglichkeiten. Letztlich habe Europa auch „eine historische Mitverantwortung für die Entwicklung dieses Kontinents“, so Leitl.

Auch der Herausforderung Digitalisierung dürfe man nicht mit Angst begegnen, sagte Leitl: „Hier wird nur diskutiert, wie viele Millionen Arbeitsplätze verloren gehen. Dabei zeigt die Geschichte: Jeder technische Fortschritt hat damit geendet, dass danach mehr Arbeitsplätze da waren, als vorher – allerdings in anderen Bereichen.“ Im Bereich der Ausbildung müsse daher verstärkt darauf geachtet werden, berufliche Mobilität zu ermöglichen.

Ängste gebe es auch bei der dritten großen Herausforderung: Der Internationalisierung. „Eines ist klar: In einem Kostenwettbewerb werden wir nie und nimmer gewinnen“, so Leitl, „daher müssen wir auf Begabungen und Talente setzen und mit der Außenwirtschaft noch besser in die wachsenden Märkte hineingehen.“ Großes Potenzial sieht Leitl vor allem in Asien und Amerika und für Unternehmen aus der Kreativwirtschaft.

Gerade ein kleines Land wie Österreich sei auf freien Handel angewiesen: So stiegen die Exporte im Vorjahr um 1,5 Prozent auf 133 Milliarden Euro, die Dienstleistungsexporte sogar um 4 Prozent (55 Mrd.). Die Zahl der exportierenden österreichischen Unternehmen stieg seit dem Jahr 2000 von 12.500 auf 55.000 (2016), ein Drittel davon sind Kleinstunternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitern. Die große Ablehnung von TTIP und CETA in Österreich ist für den WKÖ-Präsidenten daher unverständlich. „Aber letztlich ist jeder Schmied seines eigenen Glücks.“

Drei Bedingungen: Mehr Investitionen, weniger Bürokratie, mehr Flexibilität
Was den Standort Österreich betrifft, so wünscht sich Leitl, „dass wir in Sachen Innovation der Schweiz – die da seit Jahren Weltmeister ist - Konkurrenz machen. Die Begabungen dafür haben wir“.

Es brauche dazu aber drei wirtschaftliche Rahmenbedingungen: „Es braucht Anreize für Investitionen, zum Beispiel vorzeitige Abschreibungen.“ Vor allem für Start-ups müsse mehr Geld zur Verfügung gestellt werden.

Als zweites müsse die Bürokratie eingedämmt werden, so Leitl: „Die Bürokratie hat eine Eigendynamik entwickelt, die alles überwuchert.“ In der Wirtschaft, aber auch im Gesundheitswesen und den Schulen müsse zu viel Zeit für administrative aufgewendet werden. „Wir lähmen uns“, so Leitl. Daher brauche es im Bereich Bürokratie drei Maßnahmen: Beraten statt bestrafen („Wir sind zu einem Straf- und Inkassostaat geworden“), Toleranzschwellen einführen und keine Mehrfachbestrafung aus gleichem Anlass im Verwaltungsrecht (Stichwort: Abschaffung des Kumulationsprinzips).

Als dritten Bereich nannte Leitl die Flexibilität: „Ich rede von einer praxisorientierten Neuorganisation der Arbeitszeit.“ Die Arbeitsbedingungen hätten sich geändert, die Auftragseingänge seien variabel, Kunden würden Wartezeiten nicht mehr akzeptieren. Auch sei in vielen Bereichen – Leitl nannte die Consulting- und die Kreativbranche als Beispiel – der Achtstundentag mittlerweile überholt und entspreche weder den Wünschen der Betriebe noch der Mitarbeiter. Das müssten auch die Sozialpartner zur Kenntnis nehmen und „hineinblicken ins 21. Jahrhundert“.

 

 

 

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