Aktuelle Studie im Parlament präsentiert
Wien (pk) - Die Demokratie gerät unter Druck. Und zwar sowohl von innen als auch von außen. Zu
diesem Befund kommt die Arena Analyse 2017, die am 19.01. auf Einladung von Zweitem Nationalratspräsidenten
Karlheinz Kopf im Parlament präsentiert wurde. Seit 2006 befragen die Public-Affairs-Berater von Kovar &
Partners systematisch Dutzende Expertinnen und Experten, um Themen zu identifizieren, die allmählich an die
Oberfläche dringen und in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen werden. 61 Personen aus den Bereichen
Politik, Wissenschaft, Justiz, Wirtschaft, Kultur und Gesundheit haben sich an der Studie über den Zustand
der Demokratie beteiligt, ihre Einschätzungen wurden, verknüpft mit aktuellen wissenschaftlichen Beiträgen,
zur Arena Analyse "Demokratie neu starten" zusammengefasst.
Sukkus der Studie: Die Demokratie ist in Verruf geraten. Das westliche Modell "Marktwirtschaft plus liberale
Demokratie" verliert nicht nur an Anziehungskraft für Menschen aus Staaten, in denen es noch nicht etabliert
ist. Auch in Europa und den USA wird am demokratischen System in der bestehenden Form gerüttelt. Die meisten
der befragten ExpertInnen sehen – nicht zuletzt wegen des wachsenden Vertrauensverlustes großer Teile der
Bevölkerung in die Politik und in etablierte Institutionen – autoritäre Strömungen und Akteure im
Vormarsch.
Ein Patentrezept zum Gegensteuern bietet die Studie nicht. Die ExpertInnen empfehlen aber unter anderem, die BürgerInnen
stärker in den Gesetzgebungsprozess einzubinden und Politische Bildung auch im Erwachsenenbereich zu forcieren.
Wem die EU ein Anliegen sei, müsse sich überdies stärker für die Wiederbelebung des europäischen
Gedankens engagieren, sind die drei AutorInnen der Studie – Walter Osztovics, Andreas Kovar und Bettina Fernsebner-Kokert
– überzeugt.
Als "spannendes Werk", das jeder lesen solle, dem die Demokratie bzw. Österreich am Herzen liege,
bezeichnete ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl in Vertretung von Kopf die Studie. Es sei erschreckend,
dass sich offenbar viele Jugendliche mit einer anderen Staatsform als der Demokratie anfreunden können, nur
zur Erreichung ihrer Zwecke, spielte er auf eine in der Arena Analyse zitierte Studie an.
Als wirksamstes Mittel gegen das zunehmende Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Politik sieht Gerstl
in Einklang mit der Arena Analyse mehr Transparenz und mehr Partizipation. Zudem müsse man den Parlamentarismus
stärken. Es gehe nicht darum, "dass Hände gehoben werden", es gehe darum, dass der Souverän
eine entsprechende Vertretung habe. Schon bei der geplanten Wahlrechtsreform oder bei der Diskussion über
die Neugestaltung der Rechte des Bundespräsidenten könnte man einen offenen Prozess starten, meinte er.
Wie viele andere auch skeptischer geworden ist Gerstl, was die direkte Demokratie betrifft: Er hält es für
sinnvoll, diese zunächst auf kommunaler bzw. regionaler Ebene zu lernen.
Die Konsultative als neue vierte Gewalt?
Noch bei keiner Arena Analyse wurde so deutlich gesagt, dass man möglicherweise vor einer Zeitenwende stehe,
hob Autor Walter Osztovics hervor. Viele würden die Gefahr sehen, dass mit einem Ende der offenen Grenzen
auch die offene Gesellschaft abgeschafft wird. Die liberale Demokratie westlichen Zuschnitts komme unter Druck,
als Gegenmodelle gewinnen auf der einen Seite der religiös motivierte autoritäre Staat und auf der anderen
Seite die gelenkte Demokratie nach dem Vorbild Russlands an Zuspruch, wobei erstgenannter seine Attraktivität
gerade daraus ziehe, antiliberal und antimodern zu sein.
Weitgehend einig sind sich die TeilnehmerInnen der Arena Analyse Osztovics zufolge, dass der immer wieder beklagte
Populismus nicht die Ursache für die Verwerfungen der Demokratie ist, sondern ein Krisensymptom. Wobei er
es als wesentliches Kennzeichen von Populisten sieht, dass sie Pluralismus ablehnen und negieren, dass es eine
vielfältige Gesellschaft mit verschiedenen Interessen gibt. Vielmehr werde ein einziger Gegensatz, und zwar
zwischen dem wahren Volk, das sie vertreten, und einem wie immer gearteten "Establishment", konstruiert.
Populistische PolitikerInnen seien nicht a priori antidemokratisch, sie wollten ja dem Volk die Stimme geben, hielt
Osztovics fest, ihr Wahrheitsanspruch stelle aber eine Gefahr für die Demokratie dar. Das zeige sich auch
daran, dass Populisten, wenn sie Abstimmungen verlieren, das stets als Zeichen sehen, dass etwas faul bei der Abstimmung
war.
Um aus der Krise der Demokratie herauszukommen, hält Osztovics zwei Begriffe für wesentlich: Transparenz
und Partizipation. Es brauche nachvollziehbare Entscheidungen sowie eine überzeugende Möglichkeit für
die Bevölkerung mitzureden. Zur Diskussion stellte Osztovics etwa eine vierte Gewalt im Staat neben der Exekutive,
der Legislative und der Judikative, nämlich die Konsultative. Jeder Gesetzentwurf könnte einem zufällig
ausgewählten Kreis von BürgerInnen zur Begutachtung vorgelegt werden.
Im an die Präsentation anschließenden Podiumsgespräch plädierte die Politikwissenschaftlerin
und Philosophin Lisa Herzog von der Hochschule für Politik in München gegenüber Petra Stuiber, Chefin
vom Dienst beim "Standard", dafür, einen stärkeren Fokus auf das Problem der sozialen Ungleichheit
in der Gesellschaft zu richten. Es gehe den Leuten nicht wirklich schlecht, meinte sie, das Gefühl, dass es
da oben eine Gruppe gebe, die sich nicht deshalb durchsetze, weil sie über die besten Argumente verfüge,
sondern weil sie finanzielle oder politische Macht habe, könne sich aber fatal auf den Zusammenhalt einer
Gesellschaft auswirken.
Arena Analyse 2017: Demokratie neu starten
Die Arena Analyse 2017 wurde in Kooperation mit der Tageszeitung "Der Standard" sowie der Österreich-Ausgabe
der Wochenzeitung "Die Zeit" durchgeführt. In insgesamt acht Kapitel werden die Ergebnisse der offenen
Befragung von rund 60 ExpertInnen zusammengefasst und mit aktuellen wissenschaftlichen Beiträgen verknüpft.
Dass sich die repräsentative Demokratie in der Krise befindet, ist dabei für die AutorInnen evident.
Als eines der Zeichen dafür sehen sie, dass es der jüngeren Generation offenbar nicht mehr so wichtig
ist, ob sie in einer Demokratie lebt oder nicht, wie eine aktuelle Studie der Johns Hopkins University nahelegt.
Auch viele der befragten ExpertInnen orten ein Erstarken autoritärer Strömungen und antidemokratischer
Einstellungen.
Nicht nur die Unzufriedenheit mit den Regierenden lässt laut Studie den Wunsch nach einer starken Hand aufkommen,
auch die Hoffnung, dadurch den gesellschaftlichen Wandel aufhalten zu können, spielt eine Rolle. Wenn sich
das Auftauchen von Flüchtlingen durch die Demokratie nicht verhindern lasse oder die Globalisierung auf demokratischem
Weg nicht zu stoppen sei, dann tauge die Demokratie eben nicht zur Verteidigung der eigenen Interessen, könnte
man überspitzt formulieren, meinen Osztovics und seine beiden Co-AutorInnen. Zwar sehen die befragten ExpertInnen
keine akute Gefahr, dass in den westeuropäischen Ländern über Nacht Diktaturen errichtet werden,
man müsse aber gegensteuern, wolle man verhindern, dass in immer mehr europäischen Ländern die Demokratie
auf Dauer untergraben werde.
Als Ursache für die Erosion der repräsentativen Demokratie wurden im Rahmen der Arena Analyse drei Cluster
herausgearbeitet, wobei vorrangig die Enttäuschung über die mangelnde Performance der gewählten
VertreterInnen und das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis beim Zustandekommen politischer Entscheidungen
genannt werden. Bevor noch die Arbeit des Gesetzgebers, also des Parlaments, beginnt, sei die Entscheidung bereits
getroffen worden. Das stoße viele vor den Kopf.
Immer mehr Wählerinnen und Wähler hätten überdies den Eindruck, dass die Politik die großen
Probleme nicht löst und sich daran auch nach noch so vielen Wahlen und Regierungswechsel nichts ändere.
Der Vertrauensverlust gegenüber den Regierenden, denen es nach Einschätzung vieler nicht mehr gelingt,
Wohlstand und Sicherheit zu schaffen, schlage um in ein Misstrauen gegen das System. Darüber hinaus kommt
es den StudienautorInnen zufolge auffallend häufig zur Gleichsetzung der Volksvertreter mit "Eliten"
und "Experten", wobei beide Gruppen rhetorisch als Gegenpol zum Volk verstanden würden. Die repräsentative
Demokratie werde als "Diktatur der Eliten" gesehen, die "abgehobene Entscheidungen" treffe
und keine Ahnung von den wahren Bedürfnissen der kleinen Leute habe.
Dazu passt auch die zunehmende Abwertung von Fakten und die steigende Skepsis gegenüber ExpertInnen, die als
Teil des Establishments gesehen werden. Das lange vorherrschende Narrativ, dass die Regierenden und ExpertInnen
besser wüssten, was gut für die Menschen ist, sei mit den Umbrüchen des Jahres 2016 – siehe Brexit,
Trump & Co – abgewählt worden, stellen Osztovics & Co eine These des Politologen Ivan Krastev in den
Raum. Die Zukunft lautet nach Einschätzung der TeilnehmerInnen an der Arena Analyse demnach auch: "Emotionen
statt Fakten". Die gängige Gegenstrategie, den Leuten ihre Ängste durch Darstellung von Fakten zu
nehmen, sei deshalb aussichtslos, meint ein Experte, starke Emotionen könnten nur dadurch abgemildert werden,
dass man entgegengesetzte Emotionen mobilisiere. "Die Zeiten des rationalen Diskurses sind am Ende",
so die düstere Prognose.
Bemerkenswert ist die Feststellung der AutorInnen, dass die Gegenüberstellung von "abgehobenen"
VolksvertreterInnen und dem unverstandenen Volk durch den seit langem beobachtbaren Trend zur Professionalisierung
der Politik befördert wurde. Abweichend vom Idealbild des Volksvertreters, der sich neben seinem zivilen Beruf
auch um die res publica kümmere, seien mittlerweile, nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Komplexität
der politischen Arbeit, BerufspolitikerInnen in den Vordergrund getreten, die eine mehr oder weniger homogene Gruppe
bilden. Ihnen wird auf der einen Seite vorgeworfen, keine Lösungen für anstehende Probleme zu haben,
vielfach wird aber auch "Leadership" vermisst.
EU in der Zwickmühle
Als drittes Cluster für die Erosion der repräsentativen Demokratie nennt die Studie die Konstruktion
der EU. Selbst Wohlmeinenden würde es schwer gemacht, den politischen Willen der Bürgerinnen und Bürger
in den heikel ausbalancierten Entscheidungen aus Brüssel wiederzuerkennen, halten die AutorInnen fest. Dabei
finde bei der Entstehung von Verordnungen und Richtlinien der EU in der Regel wesentlich mehr an demokratischer
Mitbestimmung statt als in der nationalen Gesetzgebung.
Man sei jedoch in einer Zwickmühle: Wenn die EU das Prinzip der Repräsentation ernst nehme, fallen Entscheidungen
zwangsläufig weit weg von den BürgerInnen. Verlagere man Entscheidungen stärker in die nationalen
Parlamente, dann wachse die Macht der Blockierer und Nein-Sager, wodurch Missverhältnisse entstünden,
die erst wieder jedem Verständnis von Demokratie widersprechen. Als Beispiel wird etwa das Tauziehen rund
um die Unterzeichnung von CETA angeführt, wo weniger als 1,5 Millionen BürgerInnen der Wallonie in die
Lage versetzt wurden, über das Schicksal der übrigen 508,5 Millionen EU-BürgerInnen zu entscheiden,
eine Gruppe von 2,9 Promille hatte also größeres Gewicht als die übrigen 99,71%.
Direkte Demokratie hat sich selbst diskreditiert
Dass mehr direkte Demokratie ein Ausweg aus der konstatierten Krise sein könnte, bezweifeln die AutorInnen.
Diese habe sich zuletzt – Beispiel Stichwort Brexit – selbst diskreditiert. Nicht weil das Referendum anders ausgegangen
ist, als von vielen erwartet, wie Osztovics betont, sondern weil im Vorfeld kein rationaler Diskurs mit sachlichen
Argumenten möglich gewesen sei. Stattdessen hätten stark emotionalisierte Debatten mit überzogenen
Argumenten und mit zum Teil krass falschen Behauptungen dominiert. Das gleiche gelte für die Abstimmung in
den Niederlanden über das EU-Abkommen mit der Ukraine und das italienische Referendum über die Verfassungsreform.
Auch insgesamt orten die AutorInnen in dieser Frage einen Paradigmenwechsel. Habe bis vor kurzem der Ausbau der
direkten Demokratie als unvermeidlicher nächster Evolutionsschritt für jedes bürgernahe politische
System gegolten, sei die Skepsis mittlerweile gestiegen. Liege doch inzwischen die unangenehme Frage auf dem Tisch,
ob Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen nicht fragwürdige Instrumente seien, die lediglich
den Schein des Mitbestimmens erweckten, in Wahrheit aber bestehende Konflikte verstärkten und zudem sehr anfällig
für den Missbrauch durch Demagogen seien. Durch das Reduzieren der Probleme auf ein binäres Ja oder Nein
finde der Kompromiss, eine der wesentlichen Leistungen einer funktionierenden repräsentativen Demokratie,
dort keinen Platz.
Zudem brächten Referenden mehr oder weniger irreversible Entscheidungen, die, anders als Parlamentsbeschlüsse,
nur schwer wieder korrigiert werden können, machen die AutorInnen geltend. Schließlich habe das Volk
das letzte Wort gesprochen. Selbst wenn Umfragen zeigen sollten, dass sich die öffentliche Meinung ganz massiv
verändert habe, wäre die Wiederholung eines Referendums in jeder Situation ein ziemlich dubioser Schritt.
Von einem der befragten Experten in die Diskussion geworfen wird auch der Begriff "Plebiszitpopulismus":
"Man reicht die Probleme, die man nicht lösen kann, an die Wähler weiter und propagiert, dass damit
alles besser wird". Trotzdem, so erwarten die TeilnehmerInnen der Arena-Analyse, werde der Einsatz von Referenden
zunehmen.
Hoffnung Zivilgesellschaft
Große Hoffnung in Bezug auf die Erneuerung der Demokratie setzen die ExpertInnen in die Zivilgesellschaft
– sozusagen als Gegenpol zur "konsistenten selbstreferentiellen Blase von Politikern, politischen Parteien,
Interessenvertretungen und Medien", wie ein Teilnehmer der Arena Analyse formuliert. Man müsse aber darauf
achten, dass man bestimmte Gruppen nicht von zivilgesellschaftlichem Engagement und Bürgerbeteiligung ausschließe,
warnen Osztovics und seine beiden Co-AutorInnen. Schließlich sei auch die Zivilgesellschaft im Grunde eine
Elite, wenn auch eine Gegen-Elite zum politischen Establishment. Kritisch beleuchtet wird in diesem Zusammenhang
auch die zunehmende Macht von NGOs, die in der Bevölkerung hohe Glaubwürdigkeit hätten, deren moralischer
Anspruch Kompromisse aber oft unmöglich mache, wie die Studie darlegt.
Als Ausweg aus der Krise bieten sich nach Meinung der ExpertInnen mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen
und überzeugende Möglichkeiten politischer Teilhabe an. Es wäre schon ein großer Gewinn an
Demokratie, wenn die Bevölkerung mitreden und Vorschläge einbringen könnte, selbst wenn die Entscheidungen
dann in formalen Gremien fallen, heißt es in der Studie, wobei man dabei die Möglichkeiten der Digitalisierung
nutzen könnte. Öffentliche Ausschusssitzungen würden zudem die parlamentarische Arbeit transparenter
machen. Eine weitere Empfehlung: Die politischen Parteien und demokratischen Institutionen sollen in den sozialen
Medien präsent sein und sie nicht den Simplifizierern überlassen.
Kurz angerissen werden in der Arena Analyse auch die Ideen der "Ökokratie" und der "Soziokratie".
Bei der ersten geht es darum, Fragen, die den Klimawandel oder den Verbrauch von Ressourcen betreffen, demokratisch
nicht verhandelbar zu machen. Die zweite geht von der Entwicklung einer konkurrierenden Gesellschaft zu einer Gesellschaft
aus, in der Kooperation und Partizipation die Grundwerte bilden, wo nicht mehr "ein Mensch – eine Stimme"
gilt, sondern, zum Schutz schwacher Minderheiten, das Recht des Einwands.
Die Arena Analyse 2017 steht auf der Website von Kovar &
Partners zum Download zur Verfügung.
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