Filmautoren in Hollywood, 1930–34 – von 10.02.2017 bis 09.03.2017 im Österreichischen
Filmmuseum
Wien (filmmuseum) - Das freie, frivole und fabelhafte Hollywood-Kino "vor der Zensur", das vom
Filmmuseum zuletzt aus dem Blickwinkel eines einzelnen Studios betrachtet wurde, steht im Februar 2017 erneut im
Schaufenster - diesmal aus der Perspektive von acht herausragenden Einzelkünstler/inne/n: Dorothy Arzner,
Frank Borzage, Rowland Brown, Frank Capra, Rouben Mamoulian, Ernst Lubitsch, Josef von Sternberg und Raoul Walsh.
Eine weitere Reihe im Februar gilt dem vergessenen Klassiker des schwedischen Kinos und zweimaligen Palmen-Gewinner
in Cannes: Alf Sjöberg. Und Anfang März kommt es zur Wiederbegegnung mit den elektrisierenden Filmen
von Robert Beavers - anlässlich einiger neuer Werke, neuer Restaurierungen und der ersten Buchpublikation
über sein Schaffen.
Lubitsch, Sternberg und Co. – Filmautoren in Hollywood, 1930-34
Im Zuge einer großen Aufarbeitung des sogenannten "Pre-Code"-Kinos in den USA präsentiert
das Österreichische Filmmuseum acht zentrale Regieautoren aus der Zeit, bevor die Major Studios ihr rigides
Selbstzensur-System etablierten: den Production Code. Während der erste Teil des Projekts am Beispiel der
Warner-Bros.-Schmiede den genius of the system ins Zentrum stellte, fragt die aktuelle Schau nach den Möglichkeiten,
die sich für individualistische Filmkünstler/innen in der freizügigen Atmosphäre zu Beginn
der turbulent thirties ergaben.
Die Bandbreite reicht von berühmten Kinoklassikern wie Josef von Sternbergs Marlene-Dietrich- Filmen und Ernst
Lubitschs sophisticated sex comedies bis zu den erstaunlichen Wiederentdeckungen späterer Jahrzehnte. Darunter
befindet sich die Pionier-Regisseurin Dorothy Arzner ebenso wie der geheimnisvolle Rowland Brown, dessen drei Regiearbeiten
allesamt before the code entstanden - und so selten zu sehen sind, dass die Begeisterung für Browns originelle,
kritische Entwürfe nur unregelmäßig, aber umso intensiver aufflackert.
Bei den großen, schon im Stummfilm etablierten Namen zeigt sich, wie die spezifischen Qualitäten und
Freiheiten der Pre-Code-Ära ihren Interessen entgegenkamen. Sexuelle Freizügigkeit und Direktheit erlaubten
Lubitsch seine pikantesten Beziehungskomödien (Trouble in Paradise) und doppelbödigsten Musicals (The
Smiling Lieutenant) - und Sternberg die fiebrigsten Höhenflüge in exotisch-erotische Traumwelten, z.B.
rund um Dietrich als unersättliche Zarin in The Scarlet Empress. Urbane Dynamik und schnelle, schlagfertige
Dialoge trieben Raoul Walshs vitale Inszenierungskunst in Komödien wie Me and My Gal zu atemberaubenden Höhepunkten.
Realistische Milieuzeichnung erdete nicht nur Walshs Filme, sondern auch jene von Hollywoods Vorzeige-Romantiker
Frank Borzage: transzendente Liebesgeschichten der Depressionszeit wie in seinem Meisterwerk Man's Castle.
Während Walsh, Borzage und Brown im Umfeld jener Firmen florierten, aus denen 1935 mit 20th Century Fox ein
neues Major Studio hervorgehen sollte, verhalf Frank Capra seiner alten Homebase Columbia Pictures praktisch im
Alleingang zum Aufstieg - mit gewagten Sujets und unerreichter Experimentierfreude. Aber auch Paramount Pictures,
das selbsternannte "Studio of the Stars", setzte bewusst auf den Wettbewerb starker Regisseure. Ein Ausnahme-Auteur
wie Sternberg konnte hier seine Visionen im Duett mit "seinem" Star Dietrich durchsetzen. Zugleich ist
er das Musterbeispiel dafür, wie im strengeren Industrie-Reglement ab 1935 einige besonders unangepasste Schlüsselstimmen
Hollywoods leiser wurden oder ganz verstummten.
Ernst Lubitsch (1892-1947) war als Meister der Andeutungskunst von den Maßnahmen des Production Code am wenigsten
betroffen (1935 wurde er prompt Produktionschef bei Paramount). Nichtsdestotrotz kommt der sprichwörtliche
Lubitsch touch - die Eleganz des gezielten "Weglassens", um umso Unerhörteres zu insinuieren - in
der Pre-Code-Ära am stärksten zur Geltung: Individuelle und "klimatische" Frivolität multiplizierten
einander und entfalteten sich ungehemmt in Liebesreigen (One Hour With You) und Dreieckskomödien (Design for
Living).
Auch Josef von Sternberg (1894-1969) war bereits fest etabliert, als er Marlene Dietrich zum glamourösen Zentrum
von Morocco (1930) machte. Aber hier und in den Folgefilmen konnte er seine singuläre Vorstellung einer visuell
durchkomponierten und ebenso prächtigen wie perversen Kino- Poesie ausleben wie nie zuvor. Die zunehmende
Extravaganz von begehrenssatten Geniestreichen wie Dishonored führte jedoch zum Verlust der Publikumsgunst
- nach der Trennung von Dietrich dauerte es Dekaden, bis Sternbergs Kunst wieder weltweit gewürdigt wurde.
Rouben Mamoulian (1897-1987) kam als gefeierter Theaterregisseur zu Paramount und erregte im frühen Tonfilm
Aufsehen mit technisch-stilistischen Innovationen: Berühmt sind etwa die visuellen Verwandlungen in seinem
Dr. Jekyll und Mr. Hyde, der bis heute besten Filmversion des Stoffs.
Das Lubitsch-affine Musical Love Me Tonight besticht mit rhythmisch-erzählerischen Experimenten, die "Sternbergianische"
Hammett-Verfilmung City Streets mit eigenwilligen Bild- und Tonideen - Errungenschaften, die mit dem Verblassen
von Mamoulians Stern in Vergessenheit gerieten.
Bei Paramount hatte auch Dorothy Arzner (1897-1979) ihre produktivste Phase: Als erste Frau, die im klassischen
Hollywood als Regisseurin Karriere machte, gab sie ihren Filmen eine einzigartige feministische Perspektive und
subversiv-sozialkritische Noten, die sich schon in den Titeln zeigen - von der Trinker-Tragikomödie Merrily
We Go to Hell bis zur Studie in Sachen weiblicher Selbständigkeit: Working Girls.
Raoul Walsh (1887-1980) war über Jahrzehnte hinweg eine Ikone des US-Actionkinos, aber in den Pre-Code-Jahren
bei Fox konnte er die Frische und den Elan seiner Inszenierungen in spezieller Weise verdichten, etwa in der Komödien-Wiederentdeckung
Sailor's Luck und vor allem mit The Bowery: Der großstädtische Überschwang im Hollywoodkino dieser
Ära tritt hier im Tarnkleid eines historischen New-York-Getümmels auf.
Der einzige "reine" Pre-Code-Auteur ist Rowland Brown (1900-1963). Seine Regiekarriere umspannt die Jahre
1931-33 - und dank seiner Kompromisslosigkeit endete sie jäh. Die beiden Gangsterfilme Quick Millions und
Blood Money sowie das Kettensträflingsdrama Hell's Highway sind knappe, böse Gesellschaftsstudien mit
eigener Handschrift, und sie sind ebenso mysteriös wie Browns Lebenslauf (sein Insider-Wissen wurde oft auf
persönliche Unterweltbeziehungen zurückgeführt).
Frank Borzage (1893-1962) wechselte Anfang der Dreißiger zwischen den Studios, blieb sich aber selber treu:
Sein romantisches Ideal, zart und mit überwältigender Innigkeit beschworen, trat in fruchtbare Wechselwirkung
mit Pre-Code-Milieubildern der Weltwirtschaftskrise, zwischen New York (Bad Girl, prämiert mit dem Regie-Oscar)
und Deutschland (die Fallada-Verfilmung Little Man, What Now? mit der sich abzeichnenden NS-Herrschaft im Hintergrund).
Frank Capra (1897-1991), schon in der Stummfilmzeit zu Columbia gekommen, etablierte sich als Vorzeigeregisseur
des Studios. Seinen besten Filmen, die fast alle zwischen 1931 und 1934 entstanden, eignet eine Schärfe, die
meilenweit entfernt ist vom sentimentalen "Capracorn"-Rezept seiner späteren Filme: vom brutalen
Bankkrisen-Countdown American Madness bis zur Religionssatire The Miracle Woman mit Barbara Stanwyck, die auch
in Capras untypischem Meisterwerk The Bitter Tea of General Yen brilliert.
Die Retrospektive findet mit Unterstützung des U.S. Embassy in Wien statt.
Alf Sjöberg – 24. Februar bis 6. März 2017
Das letzte Mal, da man den Namen Alf Sjöberg des Öfteren zu lesen bekam, war 2012, anlässlich der
Goldenen Palme für Michael Hanekes Amour. Damals fand sich in vielen Zeitungen die Auflistung jener Filmemacher,
die den begehrtesten aller Festivalpreise vor ihm schon zweimal gewonnen hatten; und der erste in dieser illustren
Riege war eben: Sjöberg - 1946 mit Iris und der Leutnant (ein heute aufgrund von Rechtsstreitigkeiten unzugänglicher
Film) und 1951 mit Fräulein Julie. Was nicht weiter überrascht: Auch wenn Alf Sjöberg heute weitgehend
vergessen ist, filmhistorisch verdrängt von seinem Meisterschüler Ingmar Bergman, so war er zur Mitte
des letzten Jahrhunderts einer der bedeutendsten Filmschaffenden der Welt.
Bei genauerer Betrachtung ist er das immer noch: Die Flamboyanz, das bis ins kleinste Lichtdetail Ausgestaltete
seiner Bildsprache, generell das Massive, Exakte seiner Werke, haben etwas zutiefst Ehrfurchtgebietendes. Es ist
allerdings eine Art Schönheit, die man in den letzten Dekaden zu lieben verlernt hat: die eines komplett gebauten
Kinos, in dem jedes Bild und jede einzelne Geste, jeder Lichtstrahl und jedes Ausstattungsstück mit viel Bedacht
gesetzt wurden, wie Fräulein Julie oder Karin Månsdotter (1954) aufs Erregendste demonstrieren. Ein
Kino zudem, das in seinen Allegorien immer wieder zum Christentum, zu dessen Motiv- und Bilderschatz findet - allen
voran Himmelsspiel (1942) und die monumentale Pär-Lagerkvist-Adaption Barabbas (1953).
Ein Kino schließlich, das - etwa in Raserei (1944) - ob seines kämpferischen Humanismus, seiner politischen
Alertheit an Namen wie Kurosawa, Pudovkin oder Laurence Olivier erinnert.
In all dem, wie auch der Versiertheit und Virtuosität seiner Arbeit mit den Schauspielern, merkt man Sjöbergs
Filmschaffen durchaus an, dass es im Theater verwurzelt ist. Das Dramaten, das Königliche Dramatische Theater
in Stockholm, war Sjöbergs Schule und sein künstlerisches Heim: Dort wurde er 1923-25 zum Schauspieler
ausgebildet, dort führte er viele Jahre lang Regie; einige seiner Inszenierungen für das Haus fanden
via Radio und später Fernsehen ihren Weg bis in die hintersten Ecken des Landes.
Eine seltsam sekundäre Rolle in seiner Wahrnehmung spielt ausgerechnet jener Aspekt seines Schaffens, der
sich einem heutigen Publikum am unmittelbarsten vermittelt: Sjöberg, das Film noir- Genie. Abreise (1945)
erscheint wie eine melancholische Variation über James M. Cains The Postman Always Rings Twice (1934); Wilde
Vögel (1955) erzählt schicksalsschwer von einer Amour fou. Doch ist bei genauerem Hinsehen nicht auch
die Faschismus-Allegorie Raserei ein ultraneurotisches Noir-Stück? Und berichtet nicht die Mitläufer-Parabel
Barabbas von den Seelenqualen eines Gehetzten, dessen Zeit verrinnt?
Vielleicht ist es mit Sjöberg ja so wie mit manch anderen filmhistorisch Verdrängten: Man muss nur die
richtigen Fragen an die Filme stellen, das Œuvre vielleicht aus einer bis dato minderbeachteten Perspektive betrachten
- und mit einem Mal sind sie die aktuellsten, modernsten aller Kinokünstler.
Das Filmmuseum zeigt im Rahmen dieser ersten Sjöberg-Schau in Österreich eine Werkauswahl, die knapp
die Hälfte seines Kinoschaffens repräsentiert: acht Filme aus den Jahren 1942 bis 1955. Mit Dank an das
Svenska Filminstitutet.
Robert Beavers – In person – 8. und 9. März 2017
"Das Ziel muss sein, dem projizierten Filmbild dieselbe Kraft zu geben, die jedes andere große Bildwerk
besitzt: die Kraft zur Erweckung des Sehens."
Über fünf Jahrzehnte hinweg ist der amerikanische Filmmacher Robert Beavers (*1949) diesem selbst gesteckten
Ziel näher gekommen als alle anderen in seinem Metier. Wer das Glück hatte, die Gesamtretrospektive zu
erleben, die das Filmmuseum Beavers' Schaffen im Herbst 2010 ausrichtete, weiß um den Sinnesrausch, die Intensität
der Seh- und Hörerfahrung, die diese Werke hervorbringen. Es sind Begegnungen mit der Schönheit und Intelligenz
von Handarbeit - sowohl was die Orte und Situationen betrifft, die Beavers zwischen Florenz und Massachusetts aufnimmt,
als auch bezogen auf seine eigene, in der Projektion erstrahlende Filmhandarbeit.
Das Österreichische Filmmuseum hat seit dieser Retrospektive weitere Schritte zur Sicherung und Erschließung
des Werks von Robert Beavers unternommen - und er selbst hat neue Filme realisiert. An zwei Abenden werden diese
Bewegungen der letzten Jahre zusammengeführt. Vorzustellen sind: die erste Buchpublikation über den Künstler;
die vom Filmmuseum durchgeführte Restaurierung seines Zentralwerks From the Notebook of … (1971/98), die zuletzt
erfolgreich auf der Berlinale und an der Cinémathèque française präsentiert wurde; eine
Neuerwerbung für die Sammlung - Early Monthly Segments (1968-70); sowie die Weltpremieren der 35mm-Fassungen
seiner drei jüngsten Filme.
1968 bis 2017: Beispiele eines raren Œuvres, das sich den gängigen Perioden- und Stil-Einteilungen ebenso
verweigert wie den Bewegtbild-Hypes der Kunstwelt. Weshalb Roberta Smith, die Kunstkritikerin der New York Times,
erst ziemlich spät, aber umso nachdrücklicher sein "astounding achievement" entdeckte: "Mr.
Beavers has spent his career being precociously ahead of schedule and also somewhat outside his time."
Die Vorstellungen finden in Anwesenheit von Robert Beavers statt. Das Buch "Robert Beavers", herausgegeben
von Rebekah Rutkoff (Band 30 in der Reihe FilmmuseumSynema- Publikationen), wird zu diesem Anlass präsentiert.
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