Forschungsteam der MedUni Wien erstellt Behandlungsalgorithmus für die bionische Handrekonstruktion
Wien (meduni wien) - Eine Forschungsgruppe rund um Oskar Aszmann von der Universitätsklinik für
Chirurgie der MedUni Wien und des AKH Wien hat einen Behandlungsalgorithmus bzw. ein Protokoll entwickelt, mit
dessen Hilfe man feststellen kann, welche PatientInnen mit globalen Verletzungen des Plexus brachialis (Flügelarmsyndrom)
mit hoher Wahrscheinlichkeit davon profitieren würden, wenn ihre gefühllose und nicht-funktionale Hand
durch eine myoelektrische (bionische) Prothese ersetzt wird.
Der Plexus brachialis ist ein Netz aus sensorischen und motorischen Nervenfasern, die von den Spinalnerven in der
unteren Halswirbelsäule und der oberen Brustwirbelsäule ausgehen und zu Nerven der Schulter, des Arms
und der Hand zusammenlaufen. Bei Verletzungen des Plexus brachialis in Verbindung mit einem Nervenwurzelausriss
kann eine ganze Reihe chirurgischer Verfahren zum Einsatz kommen, um die Nerven- und Muskelfunktion wiederherzustellen.
Dabei gewinnen Schulter und Oberarm oft ihre Stabilität und Beweglichkeit zurück, und in einigen Fällen
kann sogar die Beweglichkeit von Hand und Fingern wiederhergestellt werden. Manchmal bleibt die Hand aber ein nutzloses
Anhängsel.
Die AutorInnen haben ihre Erfahrungen mit PatientInnen aufgerufen, die von 2011 bis 2015 wegen globaler Verletzungen
des Plexus brachialis in der Klinischen Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie der MedUni Wien/AKH
Wien vorstellig geworden sind. Bei 16 Betroffenen war die Nervenverletzung so schwer, dass keine chirurgische Intervention
eine angemessene Funktionalität der Hand wiederherstellen konnte. Ihnen wurde eine bionische Alternative angeboten:
Ersatz ihrer nutzlosen biologischen Hand durch eine myoelektrische Prothese – eine bionische Hand.
Durch das Bekanntwerden dieser neuartigen Behandlungsmöglichkeit bei den weltweit ersten Patienten, die einer
solchen Bionischen Rekonstruktion zugeführt wurden, kam es zu internationalen Medienberichten im Wall Street
Journal, The Guardian, NY Daily News, BBC und vielen weiteren Print, Online sowie TV-Medien.
Die AutorInnen (Erst-Autorin Laura Hruby) haben damit einen Behandlungsalgorithmus für die bionische Handrekonstruktion
entwickelt, der aus mehreren Schritten besteht:
- Körperliche und psychische Beurteilung des/r PatientIn. Der/die PatientIn
muss die Schulter und den Ellenbogen noch verwenden können, darf aber keine motorischen Fähigkeiten oder
Empfindungen in der Hand mehr haben. Außerdem muss er/sie mental in der Lage sein, die anstehenden Herausforderungen
mental zu bewältigen.
- Erfassung der elektromyografischen Signale der Muskeln des Unterarms. Um eine
bionische Hand zu steuern, sind zwei getrennte Signale notwendig. Wenn weniger als zwei Signale vorliegen, können
chirurgische Verfahren zum Einsatz kommen.
- Optional: Operation zur Vornahme eines selektiven Nerventransfers und/oder Transplantation
des gesunden Muskels zur Verbesserung der Nervenleitung und Muskelaktivierung im Unterarm, wenn mindestens zwei
elektromyografische Signale nicht vorliegen.
- Gehirntraining: Dieses Biofeedback-Training erlaubt es, re-innervierte Muskeln
anzusprechen, um die Bewegung der Hand und des Unterarms zu steuern.
- „Anprobe“ einer hybriden Hand: Der/die PatientIn lernt, die Prothese mit eigenen
elektrischen Signalen zu steuern, bevor die Hand amputiert wird.
- Amputation der nutzlosen biologischen Hand
- Ersetzung der biologischen Hand durch eine myoelektrische Prothese, gefolgt von
einem zusätzlichen Training und Überprüfungen der bionischen Handfunktion
Nun liegen die Ergebnisse vor, die bei fünf PatientInnen erzielt wurden, deren Operation bereits ausreichend
lange zurückliegt (mindestens drei Monate nach der letzten prothetischen Anpassung). Diese funktionalen Ergebnisse
wurden mit Hilfe des „Action Research Arm Test“ (ARAT), der „Southampton Hand Assessment Procedure“ (SHAP) und
des Fragebogens „Disabilities of the Arm, Shoulder, and Hand“ (DASH) erhoben. Bei allen fünf PatientInnen
wurde eine signifikante Verbesserung der Handfunktion festgestellt, die über den ganzen Zeitraum der Nachkontrolle
hinweg fortbestand.
Studienleiter Aszmann: „Nachdem sich die PatientInnen daran gewöhnt hatten, mit der bionischen Hand zu arbeiten,
nahm der Deafferenzierungsschmerz (Anm.: ein chronischer Schmerz, den Menschen mit durchtrennten Nerven spüren),
der bei drei der fünf Betroffenen schwerwiegend war, ab.“ Nach Angabe der AutorInnen „gaben die PatientInnen
eine subjektiv erfahrene Korrelation zwischen der täglichen Tragezeit der Prothese und der Verringerung der
Schmerzen an. Wenn die Prothese aufgrund von regelmäßigen ‚Wartungsarbeiten’ nicht getragen werden konnte,
erhöhten sich die Schmerzen wieder innerhalb weniger Tage.“
Zum Zeitpunkt der Verfassung des Studienpapiers befanden sich die anderen elf PatientInnen noch in früheren
Phasen des Algorithmus.
Aszmann zu den Ergebnissen der Studie: „Mehr als 25 Jahre lang habe ich PatientInnen behandelt, die schlimme periphere
Nervenläsionen erlitten haben. Eine bionische Rekonstruktion wie die, die in diesem Studiendokument beschrieben
wurde, ist ein echter Wendepunkt, da sie PatientInnen, die keine andere Alternative haben, wirklich hilft und wieder
Hoffnung gibt.“
Die Studie wurde von der Christian Doppler Forschungsgesellschaft, dem Rat für Forschung und Technologieentwicklung
und dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft finanziert.
Journal of Neurosurgery
Algorithm for bionic hand reconstruction in patients with global brachial
plexopathies – Hruby LA, Sturma A, Mayer JA, Pittermann A, Salminger S, Aszmann OC, Journal of Neurosurgery, online
publiziert, vor dem Druck, 17. Januar 2017; DOI: 10.3171/2016.6.JNS16154.
http://www.thejns.org/doi/full/10.3171/2016.6.JNS16154
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