Justizminister Brandstetter spricht von Paradigmenwechsel; Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung
in Planung
Wien (pk) - Das neue Erwachsenenschutzgesetz, das erst am 17.01. im Ministerrat beschlossen wurde, kann
mit einer breiten Unterstützung im Parlament rechnen. Insbesondere SPÖ, ÖVP und die Grünen
haben noch am selben Tag im Menschenrechtausschuss des Nationalrats ihre Unterstützung angekündigt, Justizminister
Wolfgang Brandstetter spricht über die Abkehr von der klassischen Sachwalterschaft hin zu mehr Selbstbestimmung
für die Betroffenen von einem Paradigmenwechsel. Nicht locker will der Minister außerdem in Sachen Vorratsdatenspeicherung
lassen. Er will alle Möglichkeiten für eine Neuregelung ausloten, wie er sagte.
Das neue Erwachsenenschutzgesetz sieht drei Stufen der Erwachsenenvertretung und eine Vorsorgevollmacht vor. In
einem Clearing soll außerdem überprüft werden können, wie viel Vertretung notwendig ist. Für
Brandstetter bedeuten die Änderungen mehr Selbstbestimmung, diese soll nämlich wesentlich länger
aufrechterhalten bleiben können. Die bisherige Form habe für Betroffene oft viel zu früh und fast
ausschließlich zu einer staatlichen Sachwalterschaft geführt. Mit den neuen Regelungen würde Österreich
zudem nun endlich auch die Behindertenrechtskonvention der UNO erfüllen. Er könne mit gutem Gewissen
sagen, wie Brandstetter gegenüber Ulrike Königsberger-Ludwig (S) versicherte, dass der neue Erwachsenenschutz
ausfinanziert sei. Die Mehrkosten betragen in der Anfangsphase rund 10 Mio. € jährlich, er rechnet durch den
Rückgang der Sachwalterschaften aber mittelfristig mit einer Kostendämpfung. Inkrafttreten soll das neue
Erwachsenenschutzgesetz am 1. Juli 2018. Franz-Joseph Huainigg (V) sieht die Änderungen als "Grund zur
Freude", man habe sich mit der Situation von Betroffenen auseinandergesetzt.
Brandstetter will Nachfolgeregelung für Vorratsdatenspeicherung finden
Nach der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wird im Justizressort außerdem
an einer Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung gefeilt. Brandstetter bestätigte einmal mehr, dass er die
Vorratsdatenspeicherung für die Bekämpfung von Schwerstkriminalität unter strenger rechtstaatlicher
Kontrolle für sinnvoll und notwendig hält. Der Spielraum für eine Neuregelung sei zwar sehr eng,
er möchte aber alle Möglichkeiten ausloten, erklärte er gegenüber den Abgeordneten Philipp
Schrangl (F) und Nikolaus Scherak (N) im Ausschuss. "Ich will und muss es versuchen", so Brandstetter.
Etwa könne er sich bei einem Anfangsverdacht die Speicherung von Verbindungsdaten länger als drei Monate
vorstellen. Das Ergebnis der Neuregelung hänge schlussendlich von den Verhandlungen ab.
Beim Thema Hass im Netz bzw. Fake News wandte sich Brandstetter dezidiert gegen sogenannte Abwehrzentren gegen
Falschmeldungen bzw. "Wahrheitsministerien". Solche Einrichtungen seien für ihn undenkbar bzw. eine
"Horrorvorstellung", die ihn an George Orwell's dystopischen Roman 1984 erinnern würden. Es brauche
in erster Linie Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft. In der Pflicht sieht er aber auch die Sozialen Plattformen
bzw. Internetgiganten.
Auf Nachfragen etwa von Albert Steinhauser (G) im Hinblick auf Änderungen bei der Verfahrenshilfe, meinte
Brandstetter, dass es sich hierbei um "ein ganz schwieriges Kapitel" handle. Die finanzielle Abgeltung
sei als Teil der Pensionskosten von AnwältInnen zwar indirekt, aber bereits jetzt gegeben. Eine individuelle
Entlohnung würde seiner Meinung nach eine Systemänderung nach sich ziehen, die u.a. finanziell nicht
machbar sei.
Kopftuchverbot: Brandstetter sieht keinen Handlungsbedarf in der Justiz
Geht es um den Vorschlag von Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, ein Kopftuchverbot für
Lehrerinnen und Richterinnen einzuführen, sieht Brandstetter für die Justiz keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.
In der Hoheitsverwaltung gelte bereits jetzt die Regel, dass ein Entscheidungsorgan nicht durch äußerliche
Auffälligkeiten Zweifel an seiner Objektivität und Neutralität aufkommen lassen darf.
Mögliche Nachschärfungen bzw. Änderungen werden Brandstetter zufolge zudem beim Tatbestand der "Staatsfeindlichen
Verbindungen", Stichwort "Reichsbürger", in Zusammenhang mit den Silvesterübergriffen
in Innsbruck sowie beim Verbotsgesetz geprüft. Im Fall der zahlreichen sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht
in Innsbruck ist ein Tatbestand zwischen jenem der "Sexuellen Belästigung" sowie dem Straftatbestand
der "Schweren sexuellen Nötigung" in Überlegung. Brandstetter sieht hier in jedem Fall Regelungsbedarf,
wie er auf Nachfrage Elisabeth Pfurtschellers (V) klarmachte.
In der Frage, ob der Straftatbestand der nationalsozialistischen Wiederbetätigung ausgeweitet werden soll,
holt sich das Justizministerium internationale Expertise beim deutschen Max-Planck-Institut. Brandstetter glaubt
nicht, wie er in Richtung Petra Bayr (S) signalisierte, dass eine Reform des Verbotsgesetzes nötig ist. Er
würde hingegen bei der Geschworenengerichtsbarkeit ansetzen, etwa durch die Einführung von Begründungen,
um in Zusammenhang stehenden und immer wieder aufkommenden Problemen in der Praxis zu begegnen.
Angesprochen von Alev Korun (G) auf Deradikalisierungsmaßnahmen informierte Brandstetter den Menschenrechtsausschuss,
dass sich in Österreich derzeit rund 65 radikalisierte Personen in Haft befinden. Die Tendenz ist laut Justizminister
steigend, vorwiegend geht es bei diesen Personen um die Tatbestände der Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung bzw. um die Aufforderung zu terroristischen Straftaten.
|