Klagenfurt/Wien (fwf) - Wie der Wintertourismus alpine Täler in Vorarlberg geprägt hat, dokumentiert
ein Projekt des Wissenschaftsfonds FWF. Anhand dreier Skigebiete wurden die Auswirkungen des Skisports auf den
Naturraum, das gesellschaftliche Gefüge, die regionale Wirtschaft und die Menschen zwischen 1920 und 2010
nachgezeichnet.
Das Versprechen einer kollektiven Winterfrische macht die Alpen ökologisch verletzlich. Der Wintertourismus
in Österreich verwandelt alpine Täler in Industrieflächen. Das zeigt ein vom Wissenschaftsfonds
FWF gefördertes Projekt über die Entwicklung des Wintertourismus im 20. Jahrhundert unter Leitung der
Umwelthistorikerin Verena Winiwarter. Für die Projektleiterin schließt das Projekt „Alpine Skiläufer
und die Umgestaltung alpiner Täler im 20. Jahrhundert“ eine Forschungslücke. „Umweltgeschichte muss jene
gesellschaftlichen Bereiche in den Fokus nehmen, die großen Einfluss auf die jeweilige Umwelt haben“, erklärt
Winiwarter im Gespräch mit scilog. „Diese Kräfte unterscheiden sich von Region zu Region, von Land zu
Land. Für die Umweltgeschichte Österreichs müssen wir also den Tourismus untersuchen, der die heimische
Landschaft – neben Land- und Forstwirtschaft – ganz intensiv als Ressource nutzt.“
Durchgeführt wurde das FWF-Projekt zwischen 2012 und 2015 vom Humanökologen Robert Groß. Er suchte
und fand historische Quellen zu den ökologischen, sozialen und ökonomischen Dynamiken des Wintersports
von 1920 bis 2010 in drei Vorarlberger Gemeinden. Als Fallstudien dienten Gaschurn und St. Gallenkirch im Montafon
(Region Silvretta-Nova) – ein verkehrstechnisch günstig gelegenes, mittelgroßes Skigebiet; Lech am Arlberg
– ein gut erschlossenes, großes und international bekanntes Skigebiet mit Vorbildwirkung und das schneereiche
Damüls am Übergang zwischen Bregenzerwald und Großem Walsertal als Nachzügler, das bis in
die 1950er-Jahre keine wintersichere Straße hatte. „Die drei Regionen ermöglichen im Vergleich Rückschlüsse
auf Skigebiete in ganz Österreich“, so Robert Groß vom Zentrum für Umweltgeschichte der Alpen-Adria-Universität
Klagenfurt.
Entwicklungsphasen des Wintertourismus
Als der Wintersport noch ein exklusives Vergnügen war, kam er der Land- und Forstwirtschaft nicht in die Quere.
Um 1920 arbeiteten die Bewohnerinnen und Bewohner der drei Gemeinden zumeist in der Alm- oder Elektrizitätswirtschaft,
der Holzgewinnung oder im Warentransport (Säumerei). Devisenmangel, Weltwirtschaftskrise und ideologische
Überhöhung der „nordischen“ Natur befeuerten die Winterfrische als neue Einnahmequelle. Die Ausrichtung
an den Gästen brachte jedoch mit der Zeit nicht nur den Schnee, sondern auch das soziale Gefüge in den
Orten ins Rutschen.
Dabei war die Entwicklung vom einzelnen Skitourengeher zum Massentransport mittels mechanischer Aufstiegshilfen
einschneidend. Der erste Schlepplift Österreichs wurde 1937 in Lech am Arlberg errichtet. Ab den 1950er-Jahren
wurden viele Lifte mit günstigen Krediten im Rahmen des Marshallplans (European Recovery Program) gebaut.
Für die Infrastruktur rundum mussten die Gemeinden jedoch tief in die Taschen greifen. Und als in den 1970er-Jahren
die Naturschutzbewegung aufkam, wurden Pisten endgültig zu gesellschaftlichen Reibungsflächen.
Postkartenidylle und Pistenbully-Fahrer in Pension
Auf der Suche nach wesentlichen politischen und wirtschaftlichen Einflussgrößen durchforstete Robert
Groß eine große Vielfalt historischer Zeugnisse: die Österreichische Seilbahnstatistik, Tourismus-Prospekte,
Postkarten, Fotoarchive, Zeitungen, Fachzeitschriften und Landkarten. Er führte Interviews mit pensionierten
Pistenraupen-Fahrern und anderen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Nach der quantitativen Auswertung von Pistenkilometern
und Liftanlagen identifizierte der Umwelthistoriker zudem die Schlüsselgröße der Modernisierungsspirale,
die bis heute Skigebiete antreibt: die laufend ausgeweitete Transportkapazität. Bis heute hängen Skiindustrie-
Wertschöpfungsketten davon ab, wie viele Menschen pro Minute am oberen Pistenende ankommen. Das FWF-Projekt
zeigt, „dass die Formung der Landschaft und die Formung der Wintersport-Gäste Hand in Hand gehen“, sagt Groß.
Fabriken für touristische Zufriedenheit
Die Studienergebnisse erlauben den Vergleich von Skigebieten mit Fabriken, in denen Skilifte die Förderbänder
sind: „Wir erkennen im Wintertourismus eine Industrielandschaft, die nach Kriterien der Effizienz bebaut wird,
wobei das Produkt ‚Touristische Zufriedenheit’ heißt“, führen Verena Winiwarter und Robert Groß
aus. Mit immer höherem Einsatz von finanziellen Mitteln, natürlichen Ressourcen, Menschen und Maschinen
wurde die Effizienz der Skitourismus-Technosphäre erhöht. Die Piste wird so zum „sozio-naturalen Hybrid“.
Das einzig natürliche daran? Eine Wiese in Hanglage. Doch auch die Wiesen brauchen ganzjährig Betreuung.
Ausgeklügeltes Equipment und viele Ressourcen sind nötig, um diese Flächen im Winter weiß
und im Sommer grün zu erhalten.
Aus umwelthistorischen Projekten „haben wir gelernt, dass Gesellschaften nicht blind in ihr Verderben rennen. Sie
lernen und steuern dagegen. Wir haben mit dem Blick zurück wichtige Entscheidungsgrundlagen dafür aufbereitet.
Wir üben nicht nur Fortschrittskritik“, betont Projektleiterin Verena Winiwarter, die sich auch für Transferprojekte
starkmacht. Einige Vorarlberger Gemeinden haben bereits erkannt, dass Wachstum nicht die einzige Option ist und
Wintergäste auch andere Erlebnisse in alpinen Tälern schätzen.
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Weitere Informationen:
Verena Winiwarter ist Professorin für Umweltgeschichte am Institut für Soziale Ökologie der
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt am Standort Wien. Winiwarter leitete bereits mehrere interdisziplinäre
FWF-Projekte. Sie ist ehemalige Dekanin (2010-2016) der Fakultät für interdisziplinäre Forschung,
„Wissenschaftlerin des Jahres“ (2013), und schrieb mit Hans-Rudolf Bork „Geschichte unserer Umwelt. Sechzig Reisen
durch die Zeit“, das 2015 zum Umweltbuch des Jahres gekürt wurde.
https://www.uni-klu.ac.at/socec/inhalt/2348.htm
Robert Groß hat „Interdisziplinäre Umweltwissenschaft“ an der Universität Wien und der
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt studiert. Zwischen März 2012 und Dezember 2015 war er wissenschaftlicher
Mitarbeiter im FWF-Projekt „Alpine Skiläufer und die Umgestaltung alpiner Täler im 20. Jahrhundert“.
Seit 2013 ist Groß Koordinator des Zentrums für Umweltgeschichte der Uni Klagenfurt.
http://www.umweltgeschichte.aau.at/index,7211,Staff+Gro%C3%9F.html
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