Verfassungsausschuss befasst sich mit Arbeit der Verwaltungsgerichte und der Höchstgerichte
Wien (pk) - Anfang 2014 trat das neue System der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich in Kraft.
Die Unabhängigen Verwaltungssenate (UVS), der Unabhängige Finanzsenat, das Bundesvergabeamt und Dutzende
weitere weisungsfreie Sonderbehörden wurden durch neun Verwaltungsgerichte der Länder und zwei Verwaltungsgerichte
des Bundes – das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesfinanzgericht – ersetzt. Drei Jahre danach ziehen sowohl
Kanzleramtsminister Thomas Drozda als auch sämtliche Parlamentsparteien eine positive Bilanz.
Die Reform sei eine "Erfolgsgeschichte", waren sich die Fraktionen am 24.01. im Verfassungsausschuss
des Nationalrats einig. Die Akzeptanz der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ist hoch, laut Rudolf Thienel,
Präsident des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), werden mehr als 90% der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
nicht angefochten. Ähnliches gilt auch für die Verwaltungsgerichte der Länder. Einen gewissen Nachholbedarf
sieht der Justizsprecher der Grünen Albert Steinhauser bei der Sicherstellung der Unabhängigkeit der
neuen Verwaltungsgerichte, sowohl der Leiter des Bundesverwaltungsgerichts Harald Perl als auch Kanzleramtsminister
Drozda wiesen jedoch kolportierte Interventionen bei der jüngsten Besetzung von 40 Richterstellen mit Nachdruck
zurück.
Zur Diskussion im Ausschuss standen auch die Tätigkeitsberichte des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) und des
Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) 2014 und 2015, wobei laut VfGH-Vizepräsidentin Brigitte Bierlein das 2015 eingeführte
Instrument der Gesetzesbeschwerde zwar häufiger in Anspruch genommen wird als ursprünglich erwartet,
entsprechende Parteianträge auf Normenkontrolle bisher aber nur in sehr wenigen Fällen erfolgreich waren.
Nach wie vor stark belastet sind beide Höchstgerichte mit Asylbeschwerden.
Großes Lob für neue Verwaltungsgerichtsbarkeit
Ausschussvorsitzender Peter Wittmann (S) erinnerte daran, dass mit der Einführung der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit
120 Behörden aufgelöst wurden. Seiner Meinung nach hätte sich "die größte Verwaltungsreform
seit 1929" ein breiteres Echo in der Öffentlichkeit verdient. Abgeordneter Johann Singer (V) hob aus
der Sicht eines Bürgermeisters insbesondere die rasche und praxistaugliche Abwicklung von Verfahren hervor.
Für ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl ist die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein gutes Beispiel
dafür, dass Reformen bei entsprechendem Wollen möglich sind. Großes Lob kam auch von Seiten der
Opposition, durch das neue System habe man europäische Rechtsschutzstandards in der Verwaltung sichergestellt,
sagte etwa Harald Stefan (F).
Noch nicht ganz zufrieden sind Albert Steinhauser (G) und Nikolaus Scherak (N) mit der Sicherstellung der Unabhängigkeit
der Verwaltungsgerichte und der Durchlässigkeit zwischen ordentlicher Gerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Steinhauser kritisierte insbesondere die jüngste Bestellung dreier ehemaliger Ministersekretäre als Verwaltungsrichter
und meinte, eine solche Vorgangsweise wäre in der Justiz undenkbar. Auch Scherak sieht – unabhängig von
der Qualifikation der Betroffenen – eine äußerst schiefe Optik.
28.000 Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht
Die Zahl der neu anhängigen Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht ist laut Perl sukzessive gestiegen, und
zwar von 20.000 im Jahr 2014 auf 23.000 im Jahr 2015 und 28.000 im Jahr 2016, wobei von den 28.000 76% Asylverfahren
waren. Diese werden weiter zunehmen, ist Perl überzeugt. Um den Andrang zu bewältigen, wurde die Zahl
der Planstellen deutlich aufgestockt. Das Bundesverwaltungsgericht ist mittlerweile mit 592 Planstellen, 220 davon
für RichterInnen, das größte Gericht Österreichs.
Dass weniger als 10% der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts angefochten werden, ist für VwGH-Präsident
Thienel ein Zeichen für die hohe Akzeptanz der Entscheidungen. Auch bei den Verwaltungsgerichten der Länder
ist die Revisionsquote laut Patrick Segalla, Präsident des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich,
ähnlich gering. Ihm zufolge hat es, mit Ausnahme einiger weniger Kompetenzkonflikte, auch so gut wie keine
Umstellungsprobleme gegeben. Die Verfahrensdauer sei mit durchschnittlich fünf Monaten sehr niedrig. Die Verwaltungsgerichte
würden einen wirksamen Rechtschutz leisten, ist Segalla insgesamt überzeugt.
Verfahrensrecht soll in einzelnen Punkten noch verbessert werden
Was das Verfahrensrecht betrifft, sehen sowohl Segalla als auch Perl die Notwendigkeit, noch an einzelnen Schrauben
zu drehen, wiewohl sie grundsätzlich zufrieden sind. Als ein offenes Feld sehen sie etwa die Frage der "Präklusion",
also des Verfahrensschlusses. Kanzleramtsminister Drozda plant, in den nächsten zwei Monaten dazu einen Gesetzentwurf
vorzulegen. Langfristig kann sich Segalla auf Basis von Erfahrungen in der Praxis auch ein neu kodifiziertes Verfahrensrecht
für die Verwaltungsgerichte vorstellen.
Unisono skeptisch äußerten sich Perl, Segalla, Thienel und Bierlein zum Vorschlag, die Ausbildung von
VerwaltungsrichterInnen an jene von RichterInnen der ordentlichen Gerichtsbarkeit anzugleichen. Perl und Thienel
gaben zu bedenken, dass eine fünfjährige berufliche Praxis ein Ernennungserfordernis für VerwaltungsrichterInnen
sei. Man brauche schließlich die Expertise von Personen, die aus der Verwaltung kommen, sagte Thienel. In
der ordentlichen Gerichtsbarkeit sei das System mit dem richterlichen Vorbereitungslehrgang und der vierjährigen
Ausbildung dagegen ein anderes, so Bierlein. Segalla machte überdies geltend, dass VerwaltungsrichterInnen
– im Gegensatz zu RichterInnen – von Anfang an in der Rechtsmittelinstanz tätig sind. Es gebe aber gemeinsame
Fortbildungsangebote, auch an einem einheitlichen richterlichen Berufsbild werde gearbeitet.
Detailliert ging Perl auf die im Herbst erfolgte Bestellung von 40 neuen RichterInnen des Bundesverwaltungsgerichts
ein und bekräftigte, dass die Entscheidung wie üblich im Personalsenat des Gerichts – einem siebenköpfigen,
von der Vollversammlung gewählten Richtergremium – getroffen worden sei. Man habe dabei ausschließlich
nach Qualifikation entschieden. Verteidigt wurden von ihm auch die Kreuzreihungen bei den Dreier-Vorschlägen,
diese seien üblich, um sicherzustellen, dass letztlich die bestgeeigneten BewerberInnen ausgewählt werden.
Jemanden nicht zu nehmen, nur weil er einmal in einem Ministerbüro oder sonst irgendwo gearbeitet habe, wäre
unfair. Bei ihm habe jedenfalls niemand interveniert, versicherte Perl. Auch Drozda stellte jegliche Intervention
von seiner Seite oder in seinem Auftrag in Abrede.
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Gesetzesbeschwerde ist beliebt, aber wenig erfolgreich
Die so genannte Gesetzesbeschwerde und die Belastung sowohl des Verfassungsgerichtshofs als auch des Verwaltungsgerichtshofs
mit Asylverfahren standen im Mittelpunkt der Diskussion über die Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofs
und des Verfassungsgerichtshofs 2014 ( III-221 d.B.) und 2015 ( III-273 d.B., III-253 d.B.). Seit Anfang 2015 können
sich auch Verfahrensparteien in Gerichtsverfahren direkt an den Verfassungsgerichtshof wenden, wenn sie Zweifel
an der Verfassungsmäßigkeit einer vom Gericht anzuwendenden Rechtsvorschrift haben. Im ersten Jahr hat
es mit 321 Parteianträge auf Normenkontrolle weit mehr gegeben als erwartet, 2016 waren es, wie VfGH-Vizepräsidentin
Bierlein bekanntgab, 221. Die Zahl der erfolgreichen Anträge sei mit sechs bisher allerdings relativ gering
gewesen. Das Instrument müsse sich erst einspielen, einige Fragen seien auch noch nicht ausjudiziert.
Eine enorme Herausforderung sowohl für den Verfassungsgerichtshof als auch für den Verwaltungsgerichtshof
ist die hohe Zahl von Asylverfahren. Anders als erwartet ist die Zahl der Asylbeschwerden beim VfGH mit der Einführung
der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht zurückgegangen. Nach wie vor betreffen rund 50% der beim Höchstgericht
anhängigen Fälle Asylsachen. Das sei einzigartig in Europa, stimmte Bierlein ÖVP-Abgeordnetem Wolfgang
Gerstl zu. Der VfGH könne damit aber umgehen und wickle Asylverfahren grundsätzlich sehr schnell ab.
Überlegungen, eine bestimmte Rechtsmaterie von der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs auszunehmen,
hält Bierlein für nicht unsensibel und nicht ungefährlich.
Dass die Höchstgerichte extrem belastet sind, liegt laut VwGH-Präsident Thienel auch daran, dass auch
jene Flüchtlinge, die nicht zum Asylverfahren zugelassen werden, die Entscheidung der Behörden anfechten
können. Damit spiele die angedachte Obergrenze für den Verwaltungsgerichtshof keine Rolle. Zudem hat
die Verschlechterung des Status für subsidiär Schutzberechtigte dazu geführt, dass sich Personen,
die subsidiären Schutz erhalten haben, bemühen, Asylstatus zu erhalten. VwGH-Präsident Thienel äußerte
allerdings Verständnis für die Ausschöpfung des Instanzenzugs durch AsylwerberInnen. Schließlich
stehe für die Betroffenen viel auf dem Spiel. Derzeit ist die Arbeit für den Verwaltungsgerichtshof laut
Thienel noch bewältigbar – Asylverfahren werden durchschnittlich in weniger als zwei Monaten durchgeführt
–, bei anhaltender Tendenz könnte es aber 2018 ohne Aufstockung des richterlichen und nicht-richterlichen
Personals eng werden.
Verwaltungsgerichtshof hat Aktenrückstand erfolgreich abgebaut
Zuletzt ist es dem Verwaltungsgerichtshof jedenfalls gelungen, den Aktenrückstand sukzessive abzubauen und
die durchschnittliche Verfahrensdauer deutlich auf 6,9 Monate zu verkürzen. Grund dafür ist insbesondere
die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die eine spürbare Entlastung des Verwaltungsgerichtshofs zur Folge
hatte. Durch die Einführung der Verwaltungsgerichte erster Instanz könne sich der VwGH auf die Rolle
als Höchstgericht konzentrieren, hob Thienel hervor. Laut aktuellen Zahlen waren Ende 2016 lediglich 2.100
Verfahren offen, bei einer jährlichen Erledigung von rund 5.500 Fällen. Durch die weiter steigenden Asylverfahren
könnte sich der Trend allerdings wieder umkehren, fürchtet Thienel. Die FPÖ werde eine Personalaufstockung
jedenfalls unterstützen, betonte Abgeordneter Harald Stefan.
Ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs zur Rückschiebung von Flüchtlingen nach Ungarn sprach Team-Stronach-Abgeordneter
Christoph Hagen an. Es sei "purer Unfug", dass der Verwaltungsgerichtshof die Abschiebung von Flüchtlingen
nach Ungarn gemäß Dublin-Verfahren gestoppt habe, sagte Thienel dazu. Man habe vielmehr die Behörden
angehalten, bei ihren Entscheidungen nicht auf eineinhalb Jahre alte Berichte zurückzugreifen, sondern sich
aktuelle Informationen zu beschaffen.
Beim Verfassungsgerichtshof betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer 2016 laut Bierlein weniger als vier Monate,
und das, obwohl die Anfechtung der Bundespräsidenten-Stichwahl eine besondere Herausforderung für den
VfGH war. Sie ist zuversichtlich, diesen Wert beibehalten zu können. Allerdings wäre eine Aufstockung
der juristischen MitarbeiterInnen eine große Hilfe, meinte sie. Nicht rütteln will Bierlein daran, dass
ein Teil der VerfassungsrichterInnen neben der Richterfunktion einen Beruf ausübt. Das Mischsystem habe sich
gut bewährt, hielt sie NEOS-Abgeordnetem Nikolaus Scherak entgegen.
Bestellung des neuen VfGH-Präsidenten: Drozda sichert Transparenz zu
Kanzleramtsminister Drozda ging auf die Forderung von Scherak und Albert Steinhauser (G) ein, die Bestellung des
neuen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs transparent zu gestalten. Die Regierung werde ausführlich
über die Beweggründe der Entscheidung informieren, versicherte er. Ob ein Hearing abgehalten wird, ist
noch offen. Was das Informationsfreiheitsgesetz betrifft, zeigte sich Drozda "guter Hoffnung", in den
nächsten Wochen zu einem Abschluss zu kommen.
Insgesamt gingen beim Verfassungsgerichtshof 2015 laut Tätigkeitsbericht 679 Anträge auf Gesetzesprüfung
ein, was einer Steigerung gegenüber 2014 (256) von 265% entspricht.
27 von 84 geprüften Gesetzesnormen wurden aufgehoben. Alles in allem hat der VfGH 3.488 Verfahren abgeschlossen,
in lediglich 8% der Fälle war die Beschwerde erfolgreich. 10 Entscheidungen traf das Höchstgericht in
seiner neuen Rolle als Streitschlichter in Sachen Untersuchungsausschuss.
Deutlich höher ist die Erfolgsquote beim Verwaltungsgerichtshof. Er hat 2015 5.393 Verfahren abgewickelt und
in 1.255 Fällen der Beschwerde stattgegeben, angefochtene Bescheide also aufgehoben bzw. abgeändert.
Alle drei vorliegenden Berichte wurden von den Abgeordneten einstimmig zur Kenntnis genommen.
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