Evangelisch-lutherischer Bischof sprach bei "Wiener Vorlesungen" über den Einfluss
der Reformation in Geschichte und Gegenwart
Wien (epdÖ) - Die Reformation ist nicht nur für die unmittelbar davon betroffenen Kirchen von
Bedeutung, vielmehr gibt es bis heute "nachwirkende Impulse" auf viele unterschiedliche Bereiche, ist
der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker überzeugt. Über die Impulse der Reformation für
die Kirche und die Gesellschaft heute sprach der Bischof am Abend des 02.02. bei den "Wiener Vorlesungen"
im Rathaus. Die Erinnerung an die Reformation kann, so Bünker, "Mut machen, in Zeiten des Umbruchs und
der tiefgreifenden Veränderungen Autoritäten zu hinterfragen, aus der Angstgebundenheit auszubrechen,
dem eigenen Gewissen und der eigenen Kraft zu vertrauen, zuversichtlich und besonnen als Subjekte der eigenen Geschichte
die Herausforderungen aufzugreifen. Kurz gesagt: Reformation macht Mut zur Veränderung."
Grundsätzlich sei zu unterscheiden, "welche Folgen der Reformation von dieser gewollt waren und welche
nicht, welche sich direkt auswirken konnten und welche höchstens indirekt, manchmal auch auf Umwegen, zur
Wirkung gelangt sind", sagte Bünker in seinem Vortrag und verwies auf den komplexen Transformationsprozess,
der die Entwicklung moderner Gesellschaften kennzeichne. Viele der Impulse, die der Reformation zugeschrieben werden,
hätten Martin Luther und die anderen Reformatorinnen und Reformatoren kaum gutgeheißen. "Luther
war nicht ,modern', und es wäre unangemessen, ihn zu einem Vorreiter der Moderne zu stilisieren. In mancher
Hinsicht blieb er fremd und befremdend", betonte Bünker. Dies zeige sich etwa bei Luthers Einstellung
zu Judentum und Islam, aber auch bei seinen Polemiken gegen das Papsttum. "Dennoch sind durch die Reformation
Entwicklungen in Gang gesetzt, angestoßen und beschleunigt worden, die den komplexen Transformationsprozess,
der zu der modernen Welt westlicher Prägung geführt hat, wie sie sich fünfhundert Jahre später
zeigt, in wesentlichen Inhalten mitbestimmt, beeinflusst und inspiriert haben", erklärte der Bischof.
Die zentrale Einsicht der Reformation, nämlich die bedingungslose Anerkennung des Menschen durch Gott, habe
bleibende Aktualität. Die Frage nach der Identität und Würde des Menschen sei aktueller denn je.
Die Zunahme von Unbarmherzigkeit und Gnadenlosigkeit in vielen Lebensbereichen verlange nach einer Kultur der Barmherzigkeit
und Gnade als Antwort. Die bedingungslose Anerkennung des Menschen begründe die "Freiheit eines Christenmenschen"
-- so der Titel einer wichtigen Schrift Martin Luthers -- unterstrich Bünker. Um diese Freiheit aber wahrnehmen
zu können, brauche es Bildung, ein zentrales Grundanliegen der Reformation. "In der Tat lässt sich
die Reformation auch als Bildungsrevolution beschreiben." Diese lutherische beziehungsweise reformatorische
Bildungsrevolution jedenfalls habe die Welt verändert, unterstrich Bünker.
Zur Freiheit eines Christenmenschen gehöre aber immer auch die Verantwortung. "Freiheit verwirklicht
sich in der Übernahme der Verantwortung, in der Liebe zum Nächsten, die aus ,fröhlichem Glauben'
(Martin Luther) und Dankbarkeit folgt." Von Anfang an haben die Reformatoren auch die Sorge um das soziale
Wohl und die Bekämpfung der Armut im Blick gehabt, sagte Bünker. Dies zeige sich etwa in Österreich,
wo bereits 1582 im "evangelischen" Klagenfurt mit der Errichtung eines Bürgerspitals begonnen wurde.
Aber auch das protestantische Skandinavien könne hier als Beispiel herangezogen werden. "Es wird wohl
kein Zufall sein, dass die Grundaufgabe des Staates gerade in den evangelisch geprägten Ländern in Nordeuropa
besonders deutlich ausgeprägt ist. Dieser neuerdings auch empirisch erhärtete ,Protestantismuseffekt'
führt dazu, dass eine protestantische Prägung signifikant positive Wirkung sowohl auf das soziale Vertrauen
wie auch das zivilgesellschaftliche Engagement der Menschen hat."
Auch die Herausbildung moderner Grundrechte wie etwa die Religions- und Gewissensfreiheit speziell durch den calvinistischen
Einfluss in den USA lasse sich auf dieses reformatorische Menschenbild zurückführen. In Europa habe diese
Entwicklung länger gedauert, hier mussten viele Rechte den Kirchen abgerungen werden. Die Geschichte der Täufer
zeige aber, dass die Forderung nach Religionsfreiheit auch aus religiösen Gründen erhoben werden kann.
Dass sich letztendlich der religiös und weltanschaulich neutrale Verfassungsstaat herausbilden konnte, der
auf der Grundlage der allgemeinen Gültigkeit der Menschenrechte die Basis für ein Zusammenleben unterschiedlicher
Wahrheitsansprüche unter den Bedingungen kultureller und religiöser Pluralität biete, liege an der
klaren Unterscheidung von Staat und Kirche. Diese Unterscheidung habe ihre Wurzeln auch in der lutherischen Reformation.
Der Wittenberger Reformator habe beide Seiten, nämlich Staat und Kirche, deutlich unterschieden. Aus Sicht
Luthers sind beide Institutionen aufeinander bezogen, sie haben aber verschiedene Aufgaben und sind in der Wahrnehmung
ihrer Aufgaben frei. Auf den calvinistischen Einfluss seien erste Ansätze zur Gewaltenteilung zurückzuführen,
wie Johannes Calvin und Ulrich Zwingli sie in Genf und Zürich entwickelt hätten. Bünker folgert
daraus: "Sowohl die religiöse Überhöhung des Staates wie der politische Missbrauch von Religion
sind zu verhindern!" Aus Sicht des Bischofs sind Kirchen keine direkten politischen Akteure, sie würden
aber im Rahmen der Zivilgesellschaft an den politischen Auseinandersetzungen teilnehmen und sich in den Diskurs
einbringen. "Umgekehrt lebt der moderne Verfassungsstaat eine fördernde, positive Religionsfreiheit,
die im Rahmen der geltenden Gesetze auf der Grundlage der Menschenrechte und unter Beachtung des Neutralitätsgebots
und des Gleichheitssatzes den Beitrag der Religionen zum Zusammenleben ermöglicht, schätzt und fördert."
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