Wien (hofburg) - Am Vormittag des 02.02. empfing Bundespräsident Alexander Van der Bellen das Diplomatische
Corps in der Wiener Hofburg. Der Bundespräsident skizziert in seiner Rede die außenpolitischen Schwerpunkte
für das Jahr 2017. Lesen Sie hier seine Rede im Wortlaut:
Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius,
sehr geehrter Herr Bundesminister Kurz,
Exzellenzen!
Meine Damen und Herren!
Ich habe heute zum 1. Mal die Ehre das Diplomatische Corps anlässlich des Neujahrsempfanges in der Wiener
Hofburg zu begrüßen. Gleichzeitig bedanke ich mich bei Ihnen, hochwürdigster Herr Apostolischer
Nuntius, dem Doyen unseres Diplomatischen Corps, für Ihre guten Wünsche.
Ich möchte zu Beginn meiner Rede allen hier Anwesenden, Ihren Familien und den von Ihnen vertretenen Staaten
ein erfolgreiches und friedvolles Jahr 2017 wünschen.
Lassen Sie mich nun einige Prioritäten der österreichischen Außenpolitik im Neuen Jahr skizzieren.
Anfang dieses Jahres hat Österreich den Vorsitz in der OSZE übernommen. Als neutrales Land mit einer
reichen Erfahrung als Dialogplattform und Brückenbauer haben wir uns für dieses Jahr drei Ziele gesteckt:
Erstens wollen wir einen Beitrag leisten zur Entschärfung der existierenden offenen und eingefrorenen Konflikte.
Zweitens wollen wir beitragen zum Kampf gegen Radikalisierung und Extremismus mit einem spezifischen Fokus auf
die Jugend. Und drittens wollen wir vertrauensbildende Maßnahmen in allen drei Dimensionen der OSZE.
Wir sind davon überzeugt, dass die OSZE als bewährtes Dialogforum von 57 Mitgliedsstaaten ein geeignetes
Instrument ist, um dem Vertrauensverlust, den wir in diesen Tagen auf den verschiedensten Ebenen wahrnehmen, entgegenzusteuern
und Hoffnung auf ein neues Miteinander zu vermitteln.
Wenn wir von ungelösten Problemen sprechen, so erfüllen uns natürlich die Entwicklungen in der Ostukraine
mit großer Sorge: Es ist sehr bedauerlich, dass bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen bisher kaum
Fortschritte verzeichnet werden konnten und auch der vereinbarte Waffenstillstand häufig verletzt wird. Wir
müssen uns daher fragen, welche Anreize wir für die Konfliktparteien schaffen können, um eine friedliche
Lösung zu ermöglichen.
Österreich steht auf dem Standpunkt, dass eine Lösung zahlreicher internationaler und regionaler Probleme
nur gemeinsam mit Russland möglich ist. Uns ist daher an guten Beziehungen mit der Russischen Föderation
gelegen. Das darf uns nicht daran hindern festzustellen, dass durch die illegale Annexion der Krim Völkerrecht
verletzt wurde und die Einstellung der Unterstützung der bewaffneten Formationen in der Ostukraine zu fordern.
Wir erinnern aber auch die Ukraine daran, ihre Verpflichtungen im Rahmen der Minsker Abkommen zu erfüllen.
Der Nahe Osten wird auch in diesem Jahr ganz oben auf der Tagesordnung der internationalen Diplomatie stehen müssen:
Im syrischen Krieg sind wir in den letzten Wochen Zeugen tief greifender Entwicklungen geworden. Im Zuge der militärischen
Auseinandersetzungen um die Kontrolle über Ost-Aleppo wurde nachhaltig deutlich, dass die Konfliktparteien
trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse nach wie vor an eine militärische Lösung des Bürgerkriegs
glauben. Ich bin überzeugt, dass es eine solche nicht geben kann.
Zum israelisch-palästinensischen Konflikt gab es in Paris vor kurzem eine internationale Konferenz, in der,
50 Jahre nach dem Sechs-Tage-Krieg, erneut nicht Lösungen präsentiert werden konnten, sondern der politische
Willen zur Lösung eingemahnt werden musste. Eine verhandelte Friedenslösung auf Basis der Resolutionen
der Vereinten Nationen, auf Basis bisheriger Abkommen und auf Basis des Völkerrechts würde einen entscheidenden
Beitrag zu Stabilität in der Region leisten. Österreich und die EU werden weiterhin mit allen Kräften
die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung unterstützen.
Kurz vor dem Jahreswechsel 2016 fand ein Besuch des scheidenden UNO-Generalsekretärs Ban Ki-Moon in Wien statt.
Es war dies sein letzter Arbeitsbesuch als Generalsekretär der Vereinten Nationen und ich hatte die Ehre,
mit ihm zusammen zu treffen. Österreich hat das Engagement Bans, der eine besondere Freundschaft zu unserem
Land pflegt, immer außerordentlich geschätzt und wir wünschen ihm das Beste für seine Zukunft.
Im Oktober des Vorjahres wählte die UNO-Generalversammlung den ehemaligen portugiesischen Regierungschef und
Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, zum nächsten Generalsekretär.
Ich freue mich ganz besonders, einen aktiven Menschenrechtsverteidiger an der Spitze der Weltorganisation zu sehen.
Österreich als Sitzstaat der Vereinten Nationen, und ich persönlich werden selbstverständlich weiterhin
so eng wie möglich mit der UNO und ihrem Generalsekretär zusammenarbeiten.
Als Sitzstaat von internationalen Organisationen nimmt Österreich eine führende Rolle in der Welt ein,
insbesondere als einer der vier Hauptsitze der Vereinten Nationen. Wir sind deshalb zuversichtlich, den neuen UN-Generalsekretär
sehr bald hier in Wien begrüßen zu können.
Im Jahr 2015 haben wir uns des 70. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki erinnert.
Atomwaffen als die schrecklichsten aller Massenvernichtungswaffen dürfen niemals wieder eingesetzt werden.
Die Gefahr eines Atomkriegs zu bannen ist und bleibt eine Überlebensfrage für die gesamte Menschheit.
Als wichtiger Beitrag dazu werden heuer im Rahmen der Vereinten Nationen erstmals Verhandlungen über ein völkerrechtliches
Verbot von Atomwaffen geführt werden. Wir sind uns bewusst, dass der angestrebte Vertrag für sich allein
keine Abrüstung bewirken wird. Aber, wie die Analogie zu anderen inzwischen verbotenen Waffen zeigt, ist ein
Atomwaffenverbots-Vertrag der richtige erste Schritt, um ein Umdenken zu erreichen und einen Prozess zur vollständigen
nuklearen Abrüstung in Gang zu setzen.
Mit Spannung blicken wir jetzt auch in die USA, wo vor einigen Tagen Präsident Donald Trump mit einem neuen
Team die Regierungsgeschäfte übernommen hat. Angesichts zahlreicher pointierter Aussagen während
des Wahlkampfs als auch nach seiner Wahl stellen sich viele die Frage, wie die künftige US-Außenpolitik
aussehen wird. Angesichts der zahlreichen Krisen und Konflikte weltweit hoffen wir, dass die US-Außenpolitik
auch in Zukunft vom Wunsch nach enger Zusammenarbeit, auch im multilateralen Rahmen, und gegenseitigem Respekt
geprägt sein wird.
Die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Afrika ist für Österreich ein wichtiges
Ziel der Außenpolitik. Wir freuen uns beim EU-Afrika-Gipfel im November 2017 in Abidjan, gemeinsam zu diskutieren,
wie die Chancen für die Jugend auf beiden Kontinenten gestärkt werden können.
Sehr oft höre ich jetzt zu Jahresbeginn, dass der Europäischen Union ein gutes 2017 gewünscht wird
– dass es der EU besser gehen soll als 2016. Da horche ich auf - das bewegt und ermutigt mich zugleich. Einerseits
weil aus diesen Wünschen Sorge heraushörbar ist - Sorge um die EU als etwas Bedeutsames und Liebgewonnenes.
Andererseits weil aus dieser Sorge ein Wunsch und ein Auftrag herauszuhören ist: die Zukunft der EU zu sichern.
Die, die sich um die EU sorgen - und dazu zähle ich – blicken zurück auf ein beispiellos schwieriges
Jahr. Angesichts von hoher Arbeitslosigkeit in vielen Mitgliedsstaaten, BREXIT, Radikalisierung und Terrorismus
hat sich der in den Vorjahren entstandene Vertrauensverlust in die EU noch einmal vertieft.
Doch mir ist wichtig: Der Blick zurück zeigt auch, dass die EU trotz multipler Krisen in allen Bereichen in
enorm kurzer Zeit entschlossen reagiert hat und wirksame Instrumente geschaffen und Maßnahmen ergriffen hat.
Schwierigkeiten dürfen nicht den Blick verstellen auf das, was erreicht wurde: wir arbeiten einen Aktionsplan
im Bereich Migrationspolitik ab, haben einen Treuhandfonds für Afrika geschaffen, ebenso eine europäische
Grenz- und Küstenwache, die Einführung eines neuen EU weiten Reise- und Informationssystems (ETIAS) wird
verhandelt, das gemeinsame europäische Asylsystem wird reformiert, die europäische Sicherheitsagenda
zur Bekämpfung von Terrorismusbedrohungen und ein europäischer Verteidigungsaktionsplan werden abgearbeitet.
Die europäische Debatte wird heute weniger von der Diskussion über institutionelle Reformen, als vielmehr
über die Bewältigung der akuten Krisen und drängenden Probleme bestimmt. Die Bürgerinnen und
Bürger erwarten Zusammenarbeit und Zusammenhalt sowie bessere Ergebnisse von der EU.
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Effiziente Politik zu aktuellen Problemen hat Vorrang und ist eine Vorleistung für künftige tiefgreifende
Reformen.
Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger Partner für Europa, sei es in den Bereichen Wirtschaft, Migration,
Sicherheit oder regionalen Fragen. Eine auf demokratischen Prinzipien basierte Türkei ist daher für uns
essentiell - nicht zuletzt um die Stabilität in der Region zu gewährleisten.
Wir haben den Putschversuch unmissverständlich verurteilt und erkennen den Kampf der Türkei gegen den
Terrorismus an. Willkürliche Säuberungsaktionen und Beschränkung der Pressefreiheit sind aus unserer
Sicht allerdings inakzeptabel. Österreich ist daher sehr beunruhigt über die dramatischen Entwicklungen
in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Österreichs Engagement für die Länder des Westbalkans nimmt traditionell einen hohen Stellenwert
in der österreichischen Außenpolitik ein, und Österreichs Positionen zu den weiteren Schritten
der einzelnen Länder im EU-Annäherungsprozess sind bekannt.
Im letzten Jahr hat der EU-Erweiterungsprozess wichtige Fortschritte hervorgebracht, sei es die Weiterleitung des
Beitrittsantrags Bosnien und Herzegowinas an die Europäische Kommission, das Inkrafttreten des Stabilisierungs-
und Assoziierungsabkommens mit Kosovo oder weitere Kapiteleröffnungen im Beitrittsprozess mit Serbien und
Montenegro. Es gibt noch viel zu tun, auch 2017 wird wieder ein wichtiges Jahr für die Region.
Die Pflege der Beziehungen zu den Ländern unserer unmittelbaren und näheren Nachbarschaft zählt
zu den konstanten Säulen der österreichischen Außenpolitik.
Im Rahmen der nachbarschaftlichen Kooperation, die viele praktische Vorhaben umfasst, können wir sehr konkret
zur Vertiefung der Integration im Herzen Europas beitragen. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten, dass diese Politik
der guten Nachbarschaft dynamisch fortgeführt und weiterentwickelt wird.
Daher freue ich mich auch besonders auf die die Begegnungen und die Zusammenarbeit mit meinen Amtskolleginnen und
-kollegen aus Österreichs Nachbarländern.
Die Leistungen der Kulturschaffenden spielen eine wesentliche Rolle für das Selbstverständnis Österreichs.
Vor diesem Hintergrund ist eine aktive internationale Kulturarbeit ein wesentlicher Bestandteil unseres freundschaftlichen
internationalen Austauschs und eine tragende Säule der österreichischen Außenpolitik.
Österreich hat sich mit seinem langjährigen aktiven Einsatz zum Schutz der Menschenrechte und der Förderung
des interkulturellen Dialogs internationale Anerkennung als Brückenbauer verschafft und wird diesen Weg konsequent
weitergehen. Gerade angesichts zahlreicher bewaffneter Konflikte und der schrecklichen Not, der Millionen von Menschen
ausgesetzt sind, der Zunahme terroristischer Bedrohungen und der spürbaren Schranken, die zum Teil tief in
die Freiräume der Zivilgesellschaft eindringen, wird der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten –national
wie international- vor schwierige Herausforderungen gestellt.
Mit der Kandidatur Österreichs für den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen für die Periode
2019-2021, die unter dem Motto „Building Bridges for Human Rights“ steht, wollen wir erneut Verantwortung im zentralen
Menschenrechtsgremium der Vereinten Nationen übernehmen. Ich darf um Unterstützung Ihrer Regierungen
für diese wichtige Kandidatur ersuchen.
Die Rechtsstaatlichkeit auch in den internationalen Beziehungen ist Österreich ein besonderes Anliegen, denn
sie bildet die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Österreich setzt sich daher seit jeher für
die Achtung des Völkerrechts, einschließlich der Menschenrechte, und die friedliche Streitbeilegung
ein.
Die im Jahre 2016 gestiegene Anzahl der Terroranschläge zeigt uns, wie wichtig der Kampf gegen Radikalisierung
und Extremismus ist. In Europa waren besonders Deutschland, Frankreich und die Türkei von dem menschenverachtenden
Handeln gegenüber unschuldigen Opfern betroffen. In Österreich wissen wir, dass Terrorismusbekämpfung
und der Kampf gegen den gewalttätigen Extremismus weit über rein polizeiliche Maßnahmen hinausgehen.
Hier ist ein umfassender Ansatz vonnöten, der die gesamte Gesellschaft miteinbezieht, indem Werte vermittelt
werden, die der Radikalisierung den Nährboden entziehen. Dabei kommt der internationalen Zusammenarbeit mit
der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und auch der OSZE besondere Bedeutung zu.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang daher ganz besonders betonen, dass mein Mitgefühl den vielen Opfern
dieser weltweiten Terroranschläge und vor allem auch ihren Hinterbliebenen gilt, unabhängig von ihrer
Rasse, Religion oder Weltanschauung.
Und ich möchte auch hinzufügen, dass ein demokratischer Rechtsstaat nur dann schwach wird, wenn er sich
durch Terror dazu hinreißen lässt, seine eigenen Grundsätze der vermeintlichen Bekämpfung
des Terrorismus zu opfern – denn nur dann hätten die Terroristen einen Sieg errungen.
Die ungelösten politischen Probleme im Nahen Osten und in Nordafrika sind auch für die vielen Menschen
auf der Flucht verantwortlich, die 2015-2016 – abgesehen von der Zeit unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg - ein in
Europa nie zu vor dagewesenes Ausmaß erreicht haben. Allein aus Syrien, dem Irak und Afghanistan stammen
viele Millionen Flüchtlinge, die in der Umgebung ihrer Heimatstaaten Zuflucht gesucht haben. 2015 haben rund
700.000 Flüchtlinge auf ihrer Wanderung nach Mitteleuropa auch österreichisches Territorium betreten,
ca. 90.000 haben um Asyl angesucht. Auch 2016 haben, trotz zahlreicher Maßnahmen erneut rund 42.000 Personen
um Asyl in Österreich angesucht, wobei in der 2. Jahreshälfte ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen
war.
Die Asylgewährungsraten in Österreich waren auch im Vorjahr sehr unterschiedlich – sie liegen bei manchen
Drittstaaten bei fast 90%, bei anderen Herkunftsländern sind sie deutlich kleiner. Österreich kommt damit
weiterhin seiner humanitären Verantwortung nach.
Die in der Geschichte Österreichs immer wieder unter Beweis gestellte Grundhaltung, Menschen in Not zu helfen,
ist jedoch im Zusammenhang mit der Gewährung von Asyl auf Dauer nur möglich, wenn gleichzeitig die Ursachen
für Migration energisch bekämpft werden und Belastungen, die durch eine menschenrechtskonforme Handhabung
des Asylrechtes entstehen, gerecht und fair verteilt werden. Genau das ist auch im Jahr 2017 das Ziel des maltesischen
Ratsvorsitzes, das Österreich unterstützt.
Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, werden auch die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit erhöht.
So werden bis 2021 die bilateralen Mittel der Austrian Development Agency auf 154 Mio. Euro verdoppelt. Der Auslandskatastrophenfonds
wurde bereits vervierfacht, somit kann noch mehr Menschen geholfen werden.
Exzellenzen!
Ich wünsche Ihnen und den von Ihnen vertretenen Staaten nochmals alles Gute und danke für Ihre Aufmerksamkeit."
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