Wien (mqw) - Nicht Fakten sondern Stimmungen bestimmen mehr und mehr Sichtweisen, Entscheidungen und Handlungsweisen.
Stimmungsdaten wiederum sind begehrtes Objekt der Analyse, Emotionen werden quantifiziert und simuliert. Die Ausstellung
„Mood Swings – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies“ im
frei_raum Q21 exhibition space/MuseumsQuartier Wien, kuratiert von Sabine Winkler, thematisiert Stellenwert und
Wirkungsradius von Sentiments in Politik, Wirtschaft, Technologie, Medien und Kunst. Eröffnung ist am Donnerstag
30.03.
In unserer postfaktischen Zeit werden Realitäten zunehmend über Stimmungen erzeugt. „Mood Swings“
untersucht den Einflussbereich von Stimmungen vor allem im Kontext der im Moment zu beobachtenden gesellschaftspolitischen
Umbrüche. Mit zunehmender Komplexität steigt die Schwierigkeit politische, finanzökonomische und
technologische Prozesse sowie die ihnen inhärenten Paradoxien zu verstehen. Inszenierungen werden als authentisch
wahrgenommen, Datenauswertungen als Faktum ausgelegt, finanzökonomische Interessen als politikbestimmende
Notwendigkeit akzeptiert, „soziale“ Medien als sozial missverstanden.
Die Schau geht der Frage nach, wie und warum Stimmungen analysiert, generiert und instrumentalisiert werden, was
damit bezweckt wird, wie sich Stimmungen in Netzwerken verselbstständigen und selbst zum „Akteur“ werden können.
Einerseits wird über Stimmungen Wahl-, Investitions- und Kaufverhalten beeinflusst, wobei soziale Medienkanäle
oftmals als Verstärker fungieren. Andererseits werden Emotionen für Data-Mining und Affective Computing
Prozesse quantifiziert, um emotionale Reaktionen für private, marketingstrategische und kriminalistische Zwecke
auszuwerten oder um Computer/Roboter gefühlvoller zu machen.
Die in der Ausstellung gezeigten künstlerischen Arbeiten befassen sich mit manipulativen Techniken ideologischer
Stimmungspolitiken, beschäftigen sich mit dem emotional geführten Kampf um Definitionshoheit zwischen
Realität und Fiktion, analysieren Einflussnahme und Auswirkung von Stimmungen an den Finanzmärkten oder
setzen sich mit technischen Entwicklungen auseinander, die über Emotionsanalysen direkten und indirekten Einfluss
auf menschliche Verhaltensweisen, Vorstellungen und gesellschaftliche Beziehungen nehmen. Vor dem Hintergrund des
Revivals autoritärer Strukturen ist die Stimmungsanalyse als eine Form von Ideologiekritik zu verstehen, um
dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
So beschäftigt sich Christina Werner in ihrer Installation „The Boys Are Back“ mit rechten europäischen
Netzwerken und deren popkultureller Medienpräsenz. Dafür analysiert sie Widersprüche, Analogien,
Posen und Inszenierungen rechtspopulistischer Politiker in medialen Auftritten und untersucht Kampagnenelemente
sowie Medienstrategien, durch die Stimmungen, Verlustängste und Ressentiments erzeugt werden.
Barbora Kleinhamplová inszenierte mit sechs SchauspielerInnen einen NLP Kurs, an dem geladene ManagerInnen
teilnahmen, die über die Inszenierung nicht Bescheid wussten. Dabei wurden vor allem die irrationalen und
esoterischen Aspekte manipulativer Techniken, die als Erfolg versprechende Business Strategien deklariert werden,
vorgeführt und demontiert. Barbora Kleinhamplová erforscht Interferenzen von Rationalem und Irrationalem
in Ökonomie und Kunst und untersucht die manipulative und ökonomische Wirkungsmacht in beiden Systemen.
Femke Herregraven erforscht in ihrer Arbeit „A timeframe of one second is a lifetime of trading II“ Bezeichnungen
von Handelsalgorithmen, um High-Frequency-Trading-Prozesse als grafische Profile und Muster abzubilden. Damit verweist
sie auf emotionale, kulturelle und symbolische Referenz- und Abstraktionsprozesse in Finanz und Kultur. Konkret
bezieht sich Femke Herregraven auf den Flash Crash im Jahr 2010, als der Dow-Jones-Industrial-Average-Index über
1000 Punkte innerhalb weniger Minuten verlor. Dieser Crash wurde über einen betrügerischen Einsatz automatisierter
Stornierungen von Kaufverträgen verursacht. Aktien-Indexe reagieren seismografisch auf Symptome der Veränderungen,
Stimmungen, Bewegungen etc., damit genau aus diesen Stimmungslöchern heraus, wieder Profit generiert werden
kann.
Florian Göttke beschäftigt sich in seiner Video- und Fotoarbeit mit bildpolitischen Analysen im Kontext
des Syrienkrieges. Er untersucht, wie Bilder in Medien und sozialen Medien eingesetzt werden, wie über Fotografien
Affekte hervorgerufen werden können, wie über Sichtbarkeit Verantwortung und Reaktionen eingefordert
werden. Florian Göttke interessiert sich für das Verhältnis von Handlung und Bild im Kontext von
Medien und sozialen Medien, dafür, wie Stimmungen kanalisiert werden oder wie Stimmungen über Bildpolitiken
aktiviert werden.
Im öffentlichen Raum platzierte Wahlplakate in Beelitz/Brandenburg inspirierten Nir Nadler 2004 eine gefakte
Wahlkampagne zu starten, und als Kandidat „Norbert Nadler“ aufzutreten. Er inszenierte Norbert Nadler als einen
ideologielosen Politiker, der sich der jeweiligen Auftrittsumgebung anpasst und einen „leeren Signifikanten“ repräsentiert,
der gerade aufgrund seiner Unbestimmtheit als Projektionsfläche für alle möglichen enttäuschten
Hoffnungen funktioniert. Chaja Hertog & Nir Nadler werden für die Ausstellung das Auftritts-Profil der
künstlichen Politikerfigur aktuellen Gegebenheiten anpassen und weiterentwickeln.
Xavier Cha erforscht Auswirkungen digitaler Bildkommunikation auf unser emotionales Empfinden und Verhalten. In
einer Laborsituation zeigt sie eine Reihe von Gefühlsprobanden, auf deren Gesichter sich in schneller Abfolge
emotionale Regungen wie Wut, Freude, Trauer, Manie, Ekel, Überraschung und Schock abspielen. Unklar bleiben
jedoch die Auslöser der emotionalen Empfindungen. Durch den fehlenden Zusammenhang und die schnelle Abfolge
der Stimmungswechsel wird es den BetrachterInnen unmöglich gemacht, sich mit den emotionalen Zuständen
der DarstellerInnen zu identifizieren. Die Darstellung von Emotionen und Stimmungslagen ohne Referenz und Kontext
gleicht damit Emoticons.
Antoine Catala übertrug in seiner Arbeit „Emobot“ Mimiken und die damit assoziierten Gefühle eines 11-jährigen
Jungen auf einen Avatar. „Emobot“ erforscht die Simulation von Gefühlen in der Entwicklung von künstlicher
Intelligenz, untersucht Analogien zwischen lernenden Kindern und Robotern über Selbst- und Fremderkennung.
Wird man in Zukunft ungewollte Emotionen auf „Emobots“ auslagern, um Stimmungsschwankungen zu vermeiden?
Bego M. Santiago zeigt in ihrer Video-Installation „Follow the Path“ weiß gekleidete Männer und Frauen,
die einzeln oder als Paar jeder/e für sich in einer Gruppe schwimmen. Die Schwimmanordnung verändert
sich von einem losen Gefüge zu einer komplexen netzwerkartigen Struktur. Die Künstlerin interessiert
sich dafür, wie es über bestimmte Auslöser zu emotionaler Ansteckung kommen kann und sich Verhaltensmuster
in sozialen Netzwerken bilden. „Follow the Path“ kann als Metapher für Stimmungsströme/Wellen in sozialen
Netzwerken gesehen werden, wobei Algorithmen die Struktur/Normierung vorgeben.
Tom Molloy zeigt in seiner installativen Arbeit „Protest“ auf einem acht Meter langen Regal Prints ausgeschnittener
Figuren aus Online Medien. Die Arbeit reflektiert den Wunsch sich in der Öffentlichkeit zu positionieren,
als Akteur sichtbar zu werden, und stellt u.a. die Frage nach dem emotionalen Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft
zwischen performativer Inszenierung und sprachlicher Repräsentation.
KünstlerInnen: Antoine Catala (FRA)*, Xavier Cha (USA), Florian Göttke (GER/NLD), Femke Herregraven*
(NLD), Hertog Nadler* (NLD/ISR), Micah Hesse* (USA), Francis Hunger (GER), Scott Kildall (USA), Barbora Kleinhamplová
(CZE), Tom Molloy (IRL), Barbara Musil (AUT), Bego M. Santiago* (ESP), Ruben van de Ven* (NLD), Christina Werner
(AUT) *Artist-in-Residence des Q21/MQ
Kuratorin: Sabine Winkler
„Mood Swings“ wird in Kooperation mit dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres
organisiert.
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