Forscherin der Uni Graz veröffentlicht neuen Ansatz zur Gewaltmessung
Graz (universität) - Was ist gewalttätiger – drei Faustschläge oder ein Messerstich? Möchte
man plausible Aussagen über die Entwicklung von Gewalt machen, muss man einen Weg finden, um verschiedene
Delikte gegeneinander abzuwägen. In Österreich wird jedoch nur die Summe aller Anzeigen oder Straftaten
dazu genutzt, um Bilanz zu ziehen. Das bedeutet, dass jede gemeldete Gewalttat, die in eine Statistik einfließt,
als gleich schwerwiegend betrachtet wird. „Diese Praxis des bloßen Zusammenzählens ist problematisch,
weil Zahlen zu mehr und zu weniger gravierenden Strafbeständen vermischt werden“, erklärt Mag. Dzenana
Pupic, Dissertantin an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität
Graz. Gemeinsam mit ForscherInnen der London School of Economics und der Queen Mary University London hat Pupic
einen neuen Ansatz zur besseren Messung von Gewalt erstellt, der auf einer abgestuften Unterscheidung zwischen
den Schweregraden von Straftaten basiert. Die Studie wurde in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift Psychology
of Violence veröffentlicht.
Statistiken können nicht immer vollständig abbilden, in welche Richtung sich Gewalt entwickelt. Vor allem
bei Vorfällen, in denen mehrere Taten gleichzeitig auftreten – beispielsweise Beschimpfungen und Messerattacken
gegen die PolizistInnen –, fehlt derzeit eine Abstufung, um korrekte Aussagen zur Zu- oder Abnahme einzelner Delikte
zu treffen. Dzenana Pupic bringt ein Beispiel: „Nehmen wir an, in einem Jahr werden zwei Beschimpfungen und drei
Messerattacken registriert, das sind fünf Vorfälle. Ein Jahr später verzeichnen wir sechs Beschimpfungen
und eine Messerattacke, also sieben Ereignisse.“ Wenn man nur die Summe der Vorfälle vergleicht, könnte
man daraus schließen, dass es insgesamt eine Zunahme der Gewalt gab. „Wenn wir uns aber die einzelnen Gewalttaten
innerhalb der Anzeigen anschauen, könnten wir argumentieren, dass die drei Messerattacken aus dem ersten Jahr
schwerwiegender sind als der Anstieg der Beschimpfungen im zweiten Jahr.“ Für die ForscherInnen war es daher
klar, dass nur ein neuer Ansatz der Gewaltmessung, der den Schweregrad der Delikte berücksichtigt, zu qualifizierteren
Aussagen führt. Wie diese Abstufungen ausstehen können, untersuchten sie in einer Studie mit über
500 TeilnehmerInnen aus Österreich, Großbritannien und Bosnien-Herzegowina.
„Uns hat interessiert, wie die ProbandInnen verschiedene Straftaten bewerten und ob es signifikante Unterschiede
in deren Gewichtung gibt“, erklärt die Forscherin. Acht Delikte wurden ausgewählt: Anspucken, Ohrfeigen,
Treten, Schlagen, Würgen sowie das Bedrohen mit einem Messer, das Zufügen von Stichverletzungen und das
Versetzen eines Kopfstoßes. „Die TeilnehmerInnen waren zunächst aufgefordert, die Vorfälle von
sehr bis weniger schwerwiegend anzuordnen. Dabei war auffällig, dass die Anordnung überall ähnlich
ausfiel“, unterstreicht Pupic. Am gewalttätigsten wurden Aktionen beurteilt, die längerfristige gesundheitliche
Folgen nach sich ziehen könnten, beispielsweise Messerattacken. In einem nächsten Schritt sollten die
TeilnehmerInnen die Delikte in einen direkten Vergleich setzen. „Wir haben beispielsweise gefragt, wie viele Ohrfeigen
– diese wurden davor als weniger schwerwiegend eingestuft – ein einmaliges Würgen ausgleichen“, so Pupic.
In diesem Teil bestätigten sich die Anordnungen aus dem ersten Test. „Dann haben wir noch erhoben, wie hoch
die TeilnehmerInnen ein mögliches Schmerzensgeld ansetzen würden, um persönlich erlittene Gewalt
auszugleichen“, schildert die Wissenschafterin. Auch diese Forderungen zeigten dieselbe Gewichtungen.
|