Wien nach Luther – von 16. Februar bis 14. Mai 2017 im Wien Museum Karlsplatz
Wien (wien museum) - Mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen gegen den Ablasshandel gab Martin Luther
1517 die Initialzündung für die Reformation. Das Reformationsjubiläum 2017 ist für das Wien
Museum Anlass, daran zu erinnern, dass Wien für mehr als ein halbes Jahrhundert eine mehrheitlich protestantische
Stadt war.
Im 16. Jahrhundert stand Wien unter religiöser und politischer Spannung. Die Stadt war Residenz katholischer
Kaiser und Landesherren und gleichzeitig Zentrum des protestantisch dominierten niederösterreichischen Adels.
Obwohl die Bevölkerung in ihrer Mehrheit protestantisch wurde, bekämpften die regierenden Habsburger
den evangelischen Kultus rigoros. Gleichzeitig entstanden in den Schlössern vor den Toren Wiens blühende
protestantische Gemeinden.
Die Umwälzungen, die mit der Reformation einhergingen, betrafen alle gesellschaftlichen Bereiche, Kultur,
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Ausstellung und Katalog - letzterer entstand mit finanzieller Unterstützung
der Evangelischen Kirchen in Österreich - stellen das Phänomen "Reformation in Wien" in all
seinen politischen, sozialen und kulturellen Verflechtungen dar. Zu den Ausstellungshighlights zählen einer
von wenigen erhaltenen Erstdrucken der Thesen Luthers von 1517, das für
Protestanten bis heute gültige Augsburger Bekenntnis von 1530 in der ältesten Abschrift in deutscher
Sprache sowie das Originaldokument des Augsburger Religionsfriedens von 1555 mit der Unterschrift Ferdinand I.
Dieser sprach den Landesherren im Römisch-deutschen Reich das Recht zu, die Konfessionen in ihrem Land zu
bestimmen.
Eine neue Zeit - auch in Wien
Um 1500 hat sich Europa erheblich verändert: Renaissance und Humanismus, die"Entdeckung" Amerikas,
die beginnende Globalisierung oder die Erfindung des Buchdrucks führten zu einer neuen Weltsicht. Auch Wien
war im Wandel: die Universität blühte auf, wichtige Gelehrte wirkten in der Stadt und die ersten Buchdruckereien
entstanden. Doch ebenso wesentlich für die neue Zeit, die anbrach, waren spezifische lokale Ereignisse. Der
neue Landesherr Ferdinand I., der in Spanien erzogen worden war, setzte gleich zu Beginn seiner Regierung ein Zeichen
für den neuen Stil der Herrschaft: Nach dem Wiener Neustädter Blutgerichte 1522, in dem Vertreter des
niederösterreichischen Adels, der Wiener Bürgermeister Martin Siebenbürger und andere Bürger
der Stadt, denen man eine Revolte vorwarf, hingerichtet wurden, veränderte er auch das Wiener Stadtrecht zu
Ungunsten der Bürger. Wenige Jahre später - 1529 - stand ein osmanisches Heer unter Sultan Süleyman
vor Wien und belagerte die Stadt, Vorzeichen einer langen Auseinandersetzung zwischen den Habsburgern in Wien und
den osmanischen Sultanen in Istanbul.
Kulturelles Zentrum der Stadt im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert war zweifellos der Hof. Sein Mäzenatentum
für Künstler und Gelehrte und das Repräsentationsstreben der Herrscher, das sich in reger Bautätigkeit
und prunkvollen Festen äußerte, dominierten die kulturelle Lebenswelt der Frühen Neuzeit. Das Bürgertum
nahm an dieser Kultur des Hofes bestenfalls am Rande Teil und war - etwa im Vergleich zu den großen Reichsstädten
- weniger aktiv. Weinbau und Donauhandel bildeten die wirtschaftliche Grundlage, es entwickelte sich allerdings
kein finanziell starkes bürgerliches Element der Stadt. Wien war eine multikulturelle Stadt, in der vor allem
die deutschen Händler, Spanier und Italiener maßgebliche Gruppen bildete. Im Lauf der Neuzeit siedelten
sich auch die im Mittelalter vertriebenen Juden wieder an und formten ihre eigene Kultur innerhalb der Stadt.
Wien wird protestantisch
In dieser turbulenten Zeit des beginnenden 16. Jahrhunderts, mit sozialen Revolten, dem Kampf zwischen den Landständen
Niederösterreichs und dem Landesfürsten, sowie dem beginnenden Konflikt mit den Osmanen, entstand auch
ein anderes
Langzeitproblem der Habsburgermonarchie, die konfessionelle Frage: Die Reaktion auf den Thesenanschlag Martin Luthers
am 31. Oktober 1517 in Wittenberg breitete sich im Reich aus und erreichte auch Wien, wo viele seiner Ideen auf
fruchtbaren Boden fielen - an der Universität, aber auch bei den Bürgen der Stadt . Der Ablasshandel,
Stiftungen für Seelenmessen und andere religiöse Praktiken, die Geldspenden mit dem Seelenheil im Jenseits
verknüpften, kamen dem ständig steigenden Geldbedarf des kirchlichen Systems entgegen. Durch kirchliche
Missstände befeuert, verbreitete sich besonders in Wien ein regelrechter "Pfaffenhass". Die Krise
der alten Kirche schwelte also schon lange, nun kam es in dieser Phase der Frühreformation zu einem großen
Zulauf zu den neuen Lehren, auch zu ihren besonders konsequenten und radikalen Vertretern, den Täufern, die
Ferdinand I. besonders heftig verfolgte. 1524 wurde der angesehene Wiener Bürger Caspar Tauber hingerichtet,
nachdem er sich geweigert hatte, seine reformatorische Gesinnung zu widerrufen. Ebenso wie der Tod des Täuferführers
Balthasar Hubmaier, der vier Jahre später vor dem Stubentor öffentlich verbrannt wurde, war das ein weit
über die Stadt hinaus wahrgenommenes Signal.
Konzilianter gegenüber der neuen Lehre war Ferdinands Nachfolger Maximilian II.: Mit der Religionskonzession
von 1568 gab er den beiden adeligen Ständen der Herren und Ritter die Erlaubnis, auf ihren Landsitzen und
den dazugehörigen Pfarrkirchen für sich und ihre Untertanen evangelisch-lutherische Gottesdienste zu
feiern. Die Städte, Märkte und vor allem Wien waren von dieser Kultusfreiheit allerdings ausdrücklich
ausgenommen. Dennoch ließen die evangelischen Adeligen auch in ihren Stadthäusern evangelisch predigen.
Evangelisches Leben in und um Wien
Diesen unkontrollierten lutherischen Privatexerzitien, die starken Zulauf von Bürgern und Handwerkern fanden,
wollte Maximilian Einhalt gebieten und den evangelischen Gottesdienst wieder auf den Adel beschränken. Deshalb
genehmigte er im Jahr 1574 die Einrichtung des sogenannten Landhausministeriums. Die Stände durften ganz offiziell
Prediger, Küster, Kantoren, Organisten und Schulmeister bestellen und im Sitzungssaal des niederösterreichischen
Landhauses in der Wiener Herrengasse evangelische Gottesdienste feiern. Das Landhausministerium war deshalb von
erheblicher politischer wie auch religiöser Symbolkraft.
Im Jahrhundert der Reformation wurde die deutliche Mehrheit der Bevölkerung Wiens evangelisch. Doch einen
legalen, für alle öffentlich zugänglichen evangelischen Gottesdienst wollten die habsburgischen
Landesherrn nach Maximilian II. innerhalb der Stadtmauern nicht mehr dulden. Öffentliches evangelisches Glaubensleben
innerhalb der Stadt wurde ab 1578 wieder verboten. Damit wurden die Güter evangelischer adeliger Grundbesitzer
und die ihnen zugeordneten Pfarrkirchen in der Nähe von Wien zu Anziehungspunkten. Das "Auslaufen"
in die evangelischen Vororte setzte ein, denn dort hatte man das Recht, evangelische Gottesdienste, aber auch Taufen,
Hochzeiten und Beerdigungen zu feiern.
Zeitgenössischen Beobachtern muss sich in manchen Jahren an Sonn- und Feiertagen ein eindrucksvolles Bild
geboten haben: Die Wiener strömten zu vielen Tausenden aus den Toren der Stadt hinaus nach Hernals, St. Ulrich,
Inzersdorf und Vösendorf. Die katholischen Kirchen innerhalb der Stadtmauern leerten sich. Besonders Hernals
wurde zu einem auch in den evangelischen Gebieten Deutschlands weithin beachteten Zentrum protestantischer Kultur.
Zugleich aber gab es auch mehr oder weniger heimliche Gottesdienste in der Stadt selbst. Zu diesem Zweck kamen
die evangelischen Pfarrer aus den umliegenden Pfarren inkognito nach Wien, was vom Landesherrn - falls jemand ertappt
wurde - streng geahndet wurde.
Wien wird wieder katholisch
Noch während sich die lutherischer Ideen verbreiteten, setzten erste Schritte der Gegenreformation ein,
wie etwa die Berufung der Jesuiten nach Wien. Mit ihnen kamen kompromisslose Vertreter eines neuen, romanisch geprägten
Katholizismus. Sie wirkten vor allem im Schul- und Universitätsbereich mit größter Konsequenz,
durch ihre Kollegien gingen die künftigen katholischen Eliten und Entscheidungsträger.
Bemühungen um eine katholische Reform setzten ein. Unter der Ägide des Wiener Bischofs Melchior Khlesls
wurden zahlreiche Orden nach Wien berufen und viele neue Klöster gegründet. Spezifische Frömmigkeitsformen
entstanden, die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession bekam einen politischen Charakter, die Marienverehrung
wurde allgegenwärtig: in Gebeten, Wallfahrten, Wegsäulen und (wundertätigen) Bildern.
Auch von politischer Seite ging man nun energisch gegen den Protestantismus vor. Nachdem der Widerstand der evangelischen
Stände in der Schlacht am Weißen Berg 1620 endgültig gebrochen war, erklärte der bedingungslose
Gegenreformator Ferdinand II. alle früheren Zugeständnisse an die Protestanten für nichtig. Das
"Auslaufen" wurde verboten und das Bürgerrecht an die katholische Konfession gebunden. Im Jahr 1627
mussten sämtliche evangelischen Prediger und Lehrer Niederösterreich verlassen. Es folgte die Ausweisung
oder Rekatholisierung der politischen Eliten: Adelige, aber auch führende evangelische Wiener Bürger
wurden enteignet und vertrieben, Konvertiten hingegen belohnt.
Um 1654 zählte man amtlicherseits nur mehr 112 "halsstarrige" Personen, die unerlaubterweise Protestanten
waren. Doch die Reformation lebte in Wien auch in den Zeiten der triumphierenden Gegenreformation weiter: eine
Weile als Geheimprotestantismus, dann als sich still verhaltender Protestantismus und in den
Kapellen ausländischer Gesandtschaften, insbesondere der dänischen. Schlusspunkt der Ausstellung bildet
das Toleranzpatent Josephs II. aus dem Jahr 1781: Ab nun durften Lutheraner, Reformierte (und auch orthodoxe Christen)
ihre Religion im privaten Raum ausüben. Ab einer gewissen Anzahl von Personen konnten sie eine Gemeinde mit
Predigern, Lehrern und einem "Bethaus" - das von außen nicht als Kirche erkennbar sein durfte -
gründen.
Wertvolle Originaldokumente
Die Geschichte der Reformation in Wien wird fast ausschließlich anhand originaler Dokumente aus dem 16. und
17. Jahrhundert erzählt. Außer den eingangs erwähnten Highlights aus dem Österreichischen
Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, sind es Handschriften, Bücher und Flugschriften, die
nicht nur Zeugen der religiösen Auseinandersetzung sind, sondern auch die Kommunikationsrevolution illustrieren,
die der neue erfundene Buchdruck auslöste. Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle und Kupferstiche zeigen die
handelnden Personen und das dramatische Geschehen. Mehr als dreißig Leihgeber aus Österreich, Deutschland
und der Schweiz tragen zur Ausstellung bei. Neben Wiener Institutionen wie dem Kunsthistorischen Museum, der Albertina,
der Wienbibliothek im Rathaus, der Österreichischen Nationalbibliothek oder dem Wiener Stadt- und Landesarchiv
zählen das Germanische Nationalmuseum Nürnberg oder die Zentralbibliothek Zürich dazu.
Zur Ausstellung erscheint ein ca. 420-seitiger Katalog im Residenz Verlag mit Beiträgen von Gerard van Bussel,
Ulrike Denk, Martina Fuchs, Markus Jeitler, Rudolf Leeb, Christopher F. Laferl, Helmut W. Lang, Thoms Maisel, Walter
Öhlinger, Josef Pauser , Angelika Petritsch, Peter Rauscher, Martin Rothkegel, Martin Scheutz, Astrid Schweighofer,
Barbara Staudinger, Hanns Stekel, Karl Vocelka, Andreas Weigl und Johann Weißensteiner. Die Publikation wird
ermöglicht durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Evangelischen Kirchen in Österreich.
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