Bericht über EU-Vorhaben im Zuständigkeitsbereich des Bundeskanzleramts
Wien (pk) - Die Zeiten für die EU bleiben weiter herausfordernd. So zählt die Bewältigung
der Flüchtlings- und Migrationsströme auch im laufenden Jahr zu einer der wesentlichsten Aufgaben. Die
externe Sicherheit, der Kampf gegen Terrorismus und die Verteidigungspolitik stehen ebenfalls im Fokus. Weiterhin
auf der Agenda sind Wachstum und der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, ebenso die Fertigstellung und Umsetzung
der Binnenmarktstrategien, insbesondere geht es auch um den Digitalen Binnenmarkt und die Energieunion, inklusive
Klimapolitik. Ebenso wird die EU-Politik die schrittweise Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)
bis 2025 beschäftigen. Zudem geht der Brexit nun in seine konkrete Phase, nachdem Großbritannien noch
im März die Mitteilung über den Austritt gemäß Art. 50 EUV vorlegen will. Vor diesem europäischen,
aber auch vor dem globalen Hintergrund hat die Kommission für das Frühjahr 2017 die Vorlage eines Weißbuchs
über die Zukunft Europas angekündigt.
Das alles ist im Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien
( III-344 d.B.) über die EU-Vorhaben nachzulesen, der dem Nationalrat vorliegt. Dieser enthält auch die
Vorhaben im Bereich der Digitalisierung, der Audiovisuellen Medien, der Kultur und der Gleichbehandlung.
Brexit und die Reform Europas mit Säule sozialer Rechte
Sobald der Austrittsantrag von Großbritannien auf dem Tisch liegt, wird der Europäische Rat Leitlinien
als Rahmen für die Verhandlungen annehmen und die allgemeinen Standpunkte und Grundsätze dafür festlegen.
Jedenfalls soll Großbritannien nach dem Austritt enger Partner der EU werden, jeder Vertrag mit dem Vereinigten
Königreich als Drittstaat soll unter Wahrung der Balance zwischen Rechten und Pflichten abgeschlossen werden,
heißt es im Bericht. Die EU hat aber bereits im Sommer des Vorjahres klargestellt, dass Großbritannien
nur bei Anerkennung aller vier Grundfreiheiten Zugang zum Binnenmarkt erhalten soll, was von österreichischer
Seite bekräftigt wird.
Österreich geht auch davon aus, dass der Austritt aus der EU auch untrennbar mit einem Austritt aus Euratom
verbunden ist. Außerdem hat Österreich sein Interesse für die Europäische Arzneimittelagentur
und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde bekundet, die derzeit noch ihren Sitz in Großbritannien
haben.
Der Brexit hat aber auch innereuropäisch eine Dynamik ausgelöst. Als Antwort auf das Brexit-Referendum
haben die anderen 27 EU-Mitgliedstaaten im September 2016 die "Erklärung von Bratislava" zur Bewältigung
anstehender Herausforderungen verabschiedet, die im Anhang die so genannte "Bratislava-Roadmap" als Arbeitsprogramm
enthält. Dieses Programm konzentriert sich auf die Bereiche Migration und Außengrenzen, innere und äußere
Sicherheit und Verteidigung sowie wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Dieser "Bratislava-Prozess"
soll im März anlässlich des 60. Jahrestags der Römischen Verträge abgeschlossen werden, darüber
hinaus wollen die Staats- und RegierungschefInnen eine längerfristige Orientierung für die Zukunft der
EU festlegen.
Im geplanten Weißbuch zur Zukunft Europas will die Kommission Schritte für eine Reform der EU-27 darlegen
und darin auch die Zukunft der WWU behandeln. Aufbauend auf den Ergebnissen der im Jahr 2016 eingeleiteten Konsultation
nimmt sich die Kommission nun verstärkt auch der sozialen Frage an und wird – ebenfalls noch im Frühjahr
2017 – eine europäische Säule sozialer Rechte vorschlagen, welche die Grundlage für eine auf sozialer
Gerechtigkeit aufbauende Union enthalten soll.
Österreich sei offen für eine Debatte zur Vertiefung der WWU und wird sich daran auch proaktiv beteiligen,
hält dazu der Bundeskanzler in seinem Bericht fest. Die Debatte müsse aber transparent, umfassend und
breit geführt werden. Einen Vertragsveränderungsprozess hält die Regierung angesichts der vielfältigen
Herausforderungen zum jetzigen Zeitpunkt jedoch für nicht sinnvoll.
Beitritt zur EMRK gestaltet sich schwierig
Durch den Lissabon-Vertrag ist die EU gemäß Art.6 Abs. 2 EUV verpflichtet, der Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK) beizutreten. Der Prozess gestaltet sich aber schwierig. Dabei geht es vornehmlich darum, dass der Beitritt
eine zusätzliche Möglichkeit der Individualbeschwerde direkt gegen die EU in Bereichen der Unionszuständigkeit
schaffen und die Mindestgarantien der EMRK auch für die Union bzw. die Unionsorgane verbindlich machen würde.
Somit könnten auch Rechtsakte der EU vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK überprüft werden.
Generell könnte dies die Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg (EuGH) beeinträchtigen,
gibt man seitens des EuGH in einem Gutachten zu bedenken. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der EGMR mit Rechtsstreitigkeiten
zwischen den Mitgliedstaaten oder zwischen ihnen und der Union befasst wird.
Der EuGH verweist darauf, dass der Vertrag für den Beitritt den Erhalt "der besonderen Merkmale der Union
und des Unionsrecht" vorschreibt. Es sei nicht sichergestellt, dass Bestimmungen der EMRK und der EU-Charta
der Grundrechte aufeinander abgestimmt werden. Nach dem Vertrag von Lissabon seien die Mitgliedstaaten aber verpflichtet,
Streitigkeiten nur im Rahmen dieses Vertrages zu regeln. Schließlich dürfe die gerichtliche Kontrolle
über Handlungen der Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik keinem unionsexternen
Organ anvertraut werden.
Das ausverhandelte Abkommen muss daher abgeändert werden, bevor es dem Rat und dem EU-Parlament sowie dem
Ministerkomitee des Europarats zur Genehmigung vorgelegt wird. Dann kann der Ratifizierungsprozess in den nationalen
Parlamenten der Mitgliedstaaten beginnen.
Kommission plant Vereinfachungen im Förderbereich
Vereinfachungen für Fördernehmer und Verwaltung hat sich die Kommission im Bereich der Kohäsionspolitik
vorgenommen und kündigt für die Jahresmitte "relevante" Änderungsvorschläge zur so
genannten "Omnibus-Verordnung" (Vorschläge zur Änderung der Haushaltsordnung sowie von Rechtsvorschriften
im Rahmen der Mehrjährigen Finanzrahmen-Halbzeitüberprüfung) an. Insgesamt sind mehr als 60 Änderungsvorschläge
– größtenteils Vereinfachungen, wie die Kommission verspricht – für die Europäischen Struktur-
und Investitionsfonds (ESI-Fonds) zu erwarten. Von österreichischer Seite werden diese Bestrebungen zur Vereinfachung
unterstützt, zumal man immer wieder auf die Beachtung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses hinweist.
Befürwortet werden von heimischer Seite auch Initiativen zur Neufassung der "Territorialen Agenda"
bis 2020 sowie zur "Urban Agenda", um räumliche und regionale Aspekte besser zu berücksichtigen.
Eingefordert wird jedoch eine stärker strategische ausgerichtete Zusammenarbeit auf EU-Ebene. Außerdem
müsste man den Fokus auch mehr auf Klein- und Mittelstädte legen und das Problem der Stadt-Umland-Kooperationen
mehr im Auge haben, heißt es dazu im Bericht des Bundeskanzlers.
Datenschutz und Cybersicherheit
Auf der europäischen Agenda bleiben auch weiterhin der Datenschutz, der barrierefreie Zugang zum Internet
und die Cybersicherheit. Die jüngste Initiative der Kommission ist ein "data protection and data economy"–Paket,
das unter anderem eine Angleichung der Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten umfasst.
Unzufrieden ist Österreich mit dem so genannten "Umbrella-Agreement", das die EU mit den USA abgeschlossen
hat und das noch im Dezember des Vorjahres unter slowakischer Präsidentschaft unterzeichnet wurde. Es dient
dazu, die persönlichen Daten von EU-Bürgern bei Strafverfahren in den USA künftig besser zu schützen.
Das Abkommen stehe nicht voll im Einklang mit den Anforderungen im Verhandlungsmandat, so die Beurteilung des Bundeskanzleramts.
Umgesetzt wird in Österreich derzeit die im August 2016 in Kraft getretene Richtlinie zur Cybersicherheit,
die dazu dienen soll, EU-weit eine hohe Sicherheit der Netzwerk- und Informationssysteme zu erreichen.
Vernetzter Digitaler Binnenmarkt, Audiovisuelle Mediendienste
Priorität räumt die Kommission der Strategie für einen Digitalen Binnenmarkt ein. Diese setzt
sich aus drei Säulen zusammen: Besserer Online-Zugang zu Waren und Dienstleistungen in ganz Europa; Rahmenbedingungen
für florierende digitale Netze und Dienste; bestmögliche Ausschöpfung des Wachstumspotentials der
europäischen Digitalwirtschaft. Dazu sind 16 zentrale Maßnahmen vorgesehen, die Verhandlungen darüber
sollen laut Kommission Ende 2018 abgeschlossen sein. Im Rahmen der dritten Säule soll ein E-Government Aktionsplan
2016-2020 ausgearbeitet werden.
Zudem plant die Kommission die Überarbeitung der Richtlinie für audiovisuelle Medien. Wichtige Themenstellungen
sind dabei das Herkunftsland-Prinzip versus Sendestaat-Prinzip, die Angleichung der linearen bzw. nicht-linearen
Dienste, die Regulierung der Werbung, insbesondere auch die Wettbewerbsgleichheit mit den großen Internetplattformen,
und der Jugendschutz. Aus heimischer Sicht gibt es dazu noch einigen Diskussionsbedarf, vor allem in der Frage
fairer und gleicher Wettbewerbsbedingungen sowie in Bezug auf das Verhältnis zwischen staatlicher Regulierung
und Ko-Regulierung; ferner hinsichtlich der Befugnisse der eigens eingerichteten ERGA (Gruppe europäischer
Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste) und der Differenzierung zwischen den unterschiedlichen
Formen kommerzieller Kommunikation.
Österreich zum Kulturprogramm: Nicht nur große kommerzielle Projekte fördern
Das EU-Programm "Creative Europe" zur Förderung des Kultur- und Kreativsektors in Europa, das in
den Jahren 2014-2020 mit insgesamt 1,5 Mrd. € dotiert ist, wird derzeit einer Halbzeitprüfung unterzogen.
In dem Programm wurden die klassischen Förderschienen "Kultur" und "MEDIA" zusammengeführt
und ein neuer Kreditgarantiefonds eingerichtet, der allerdings erst seit dem Vorjahr operativ tätig ist.
Osterreich bewertet die starke ökonomische Ausrichtung der Förderschiene eher kritisch, diese habe zu
einer drastischen Budgetverschiebung zugunsten großer, kommerzieller Projekte geführt. Daher setze man
sich für spezifische Förderkriterien und ein gesondertes Budget für kleine, gemeinnützige Kulturprojekte
ein, hält der Bericht fest.
Hinsichtlich des Europäischen Jahres des Kulturerbes 2018 hakt es noch am Budget, da die Kommission kein Sonderbudget
für Projekte vorgesehen hat. Ferner informiert der Kulturminister, dass die Möglichkeit, sich als Europäische
Kulturhauptstadt zu bewerben, auch den EWR- und EFTA Staaten offen stehen soll. Zudem soll im Rahmen der neuen
EU-Strategie für internationale Kulturbeziehungen die Zusammenarbeit mit Drittländern forciert werden.
Österreich misst dabei vor allem der Kooperation mit lokalen Partnern vor Ort besondere Bedeutung bei. Es
sollte dabei auch eine enge Zusammenarbeit mit der UNESCO sowie mit dem EU-Netzwerk der Kulturinstitute (EUNIC)
angestrebt werden.
Unterstützt werden von Österreich ferner Maßnahmen, um gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern
vorzugehen, zumal sich der illegale Handel mit Antiquitäten und archäologischen Kulturgütern in
den vergangenen Jahren zu einer bedeutenden Finanzierungsquelle terroristischer Organisationen entwickelt hat.
Mit dem Kulturgüterrückgabegesetz besitzt Österreich bereits eine Bestimmung, die die Einfuhr von
Kulturgütern nach Österreich untersagt, wenn diese illegal aus ihrem Herkunftsland ausgeführt wurden.
Darüber hinaus will die Kommission im Sinne eines besseren Zugangs zur Kultur über digitale Medien im
kommenden Frühjahr ein Handbuch mit Empfehlungen und beispielhaften Initiativen vorlegen.
Bundeskanzleramt plant Gender- und Diversitätsatlas
Auch das Thema Gleichbehandlung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit bleiben Thema auf EU-Ebene. In Österreich
werden diese Fragen als zentrale Schwerpunkte im Rahmen der Wirkungsziele der einzelnen Ressorts berücksichtigt.
Österreich macht in diesem Zusammenhang aber auf die räumliche Dimension aufmerksam. Derzeit wird daher
im Bundeskanzleramt ein Gender- und Diversitätsatlas entwickelt. Ziel ist es, Daten zur Verfügung zu
stellen, die zeigen, welche Herausforderungen im gesellschaftlichen Wandel zu bewältigen sind, und die es
den politischen EntscheidungsträgerInnen ermöglichen, regionale Ausprägungen und Wirkungen von Maßnahmen
einzuschätzen und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen.
|