Sozialbericht 2015-2016 analysiert sozialpolitische Entwicklungen und Maßnahmen
Wien (pk) - Österreich ist ein reiches Land, in dem jedoch Einkommen und Lebenschancen sehr ungleich
verteilt sind. Besonders deutlich offenbare sich diese Ungleichheit in der Vermögensverteilung, heißt
es in dem von Sozialminister Alois Stöger vorgelegten Sozialbericht 2015-2016 ( III-350 d.B.). Wie die AutorInnen
des Berichts feststellen, hat sich allerdings seit dem Jahr 2010 die Ungleichheit der Einkommen, im Unterschied
zu den meisten anderen europäischen Ländern in Österreich wieder etwas verringert. Als wesentlichen
ausgleichenden Faktor dafür sieht der Sozialbericht die staatlichen Maßnahmen der Umverteilung durch
Geldleistungen wie Pensionen, Familienleistungen, Arbeitslosengelder und Wohnbeihilfen. Der Wohlfahrtsstaat in
Österreich bewähre sich und sichere nicht zuletzt auch die gesellschaftlichen Mittelschichten ab, betonen
die AutorInnen des Berichts. Sie verweisen gleichzeitig auf die beträchtlichen Herausforderungen, die für
den Sozialstaat nicht zuletzt angesichts der Veränderungen der Arbeitswelt im Zeitalter der Digitalisierung
bestehen.
Österreich an der Spitze bei Maßnahmen aktiver Arbeitsplatzpolitik
Umfangreiches Datenmaterial zu den einzelnen Tätigkeitsfeldern des Sozialressorts bietet der erste Teil des
Sozialberichts. Einer der Schwerpunkte ist dabei die Arbeitsmarktpolitik. Krisenbedingt hat sich die Langzeitarbeitslosigkeit
in Österreich seit 2008 mehr als verdreifacht, hält der Bericht fest. Somit waren 2015 fast 110.000 Menschen
mehr als ein Jahr auf Arbeitssuche. Zwar stieg 2015 wie in den Jahren davor die Beschäftigung an und lag mit
3.448.745 unselbständig Beschäftigten auf Rekordniveau. Dabei nahm jedoch die geringfügige Beschäftigung
überdurchschnittlich zu. Dieser parallele Anstieg von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit setzte sich
auch im Jahr 2016 fort.
Im Jahr 2015 erreichte das aktive Förderbudget des AMS inklusive Kurzarbeit 1,11 Mrd. €, die Summe seiner
Ausgaben für aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik belief sich auf über 2,4 Mrd. €. Mit seinen
Aufwendungen für aktive Arbeitsmarktpolitik liege Österreich somit an der Spitze der OECD-Staaten, hält
der Sozialbericht fest. Im Rahmen der Arbeitsmarktförderung des AMS wurden 329.729 Personen 2015 neu gefördert.
Rund 210.000 davon wurden in vom AMS organisierte Bildungsmaßnahmen und externe Kursangebote für Arbeitslose
einbezogen.
Pflegevorsorge: Antworten auf den demographischen Wandel
Der Anstieg der Lebenserwartung und der demographische Wandel führen dazu, dass der Anteil älterer und
hochbetagter Menschen in der Bevölkerung steigt. Dementsprechend sind Pflege und Betreuung älterer Menschen
zu einem zentralen Thema der österreichischen Sozialpolitik geworden. Das Pflegegeld diene der Absicherung
der Grundpflege, um pflegebedürftigen Menschen eine gewisse Unabhängigkeit und möglichst den Verbleib
in vertrauter häuslicher Umgebung zu ermöglichen, stellt der Sozialbericht fest. Dem Bericht ist zu entnehmen,
dass 2015 68.688 Neuanträge auf Pflegegeld gestellt wurden. In 61.772 Fällen kam es zu einer erstmaligen
Zuerkennung, in 17.178 Fällen zu einer Ablehnung. Darüber hinaus wurden auch 90.036 Anträge auf
Pflegegelderhöhung gestellt, von denen 70.952 bewilligt und 29.359 abgelehnt wurden. Durchschnittlich hatten
während dieses Jahres rund 455.300 Personen Anspruch auf Pflegegeld, das waren mehr als 5 % der österreichischen
Bevölkerung. In den nächsten Jahren sei dabei jedenfalls mit weiteren Steigerungen zu rechnen, heißt
es aus dem Sozialministerium.
Ein Schwerpunkt des Regierungsprogramms zur Absicherung der Lebensqualität im Alter ist die Erarbeitung
einer Demenzstrategie. Die Gruppe der Menschen, die von demenziellen Beeinträchtigungen betroffen sind, umfasst
Schätzungen zufolge zwischen 115.000 und 130.000 Personen. Zu den jüngsten Maßnahmen der Regierung
im Pflegebereich gehört außerdem die Einrichtung eines Hospiz- und Palliativforums für die Dauer
von fünf Jahren, das sich im Mai 2016 konstituiert hat.
Hohe Leistungen der gesetzliche Sozialversicherungen
Die gesetzliche Sozialversicherung verfügt über eines der größten Budgets der Republik Österreich.
2015 konnte sie Einnahmen von rund 58,25 Mrd. € verzeichnen, wobei sich bei Ausgaben von rund 58,26 Mrd. € ein
Gebarensabgang von rund 12,2 Mio. € ergab. Rund 96,1 % der Gesamtausgaben bzw. 55,97 Mrd. € entfielen auf Leistungsaufwendungen.
Nach Versicherungszweigen betrachtet wurden 29,3 % (2014: 28,9 %) der Gesamtaufwendungen im Bereich Krankenversicherung
ausgezahlt, auf die Pensionsversicherung entfielen 67,9 % (2014: 68,3 %) und 2,8 % (2014: 2,8 %) auf die Unfallversicherung.
Ein besonderes Augenmerk legt der Bericht des Sozialministers auf das Pensionsmonitoring, mit dem die Auswirkungen
der Reformschritte der letzten Jahre erhoben werden. 2015 sei das tatsächliche Pensionsantrittsalter im Vergleich
zu 2014 um rund sechs Monate, auf 60 Jahre und 2 Monate, gestiegen. In diesem Jahr habe sich auch der Trend eines
Rückgangs bei den Pensionsantritten verstärkt, es gab rund 14 % weniger Pensionsantritte. Bei den Neuzugängen
entfielen 46 % auf die normale Alterspension, 13 % nahmen die Hacklerregelung in Anspruch, 9 % nahmen die Korridorpension
und 6 % die Schwerarbeitspension in Anspruch. Der Anteil von Invaliditätspensionen lag bei 5 %, wobei es hier
eine deutliche Reduktion um 24 % gab. Das Sozialministerium kommt zu dem Schluss, dass die Reformen im Pensionssystem
greifen. Eine Anhebung des tatsächlichen Pensionsantrittsalter könne aber nur gelingen, wenn Versicherte
länger in Beschäftigung bleiben und länger gesund arbeiten können.
Rund 168.000 Haushalte bezogen 2015 Mindestsicherung
In ganz Österreich wurden 2015 rund 168.000 Haushalte (Bedarfsgemeinschaften) mit insgesamt 284.374 Personen
durch bedarfsorientierte Mindestsicherung unterstützt. 62 % der Bedarfsgemeinschaften entfielen auf alleinstehende
Personen, 33 % auf Alleinerziehende und Paare mit und ohne Kinder, in 5 % lagen andere Haushaltskonstellationen
vor. 38 % der Unterstützten waren Frauen, 35 % Männer, bei den restlichen 27 % handelte es sich um Minderjährige.
Im Bericht werden auch die Maßnahmen der Behindertenpolitik mit Schwerpunkt auf die Umsetzung des Nationalen
Aktionsplans Behinderung, die gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz von KonsumentInnen und die Modernisierungen
im Arbeitsrecht, die ab 2016 in Kraft traten, behandelt. So wurden etwa eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie umgesetzt. Hervorgehoben werden vom Sozialministerium die Umsetzung von
Gesetzen zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping.
Lohnquote geht zurück, hohe Vermögenskonzentration, gefährdete Mitte
Während der erste Teil des Sozialberichts einen Überblick über die Schwerpunkte der Maßnahmen
des Sozialressorts im Berichtszeitraum bietet, befasst sich der zweite Teil mit sozialpolitischen Analysen und
Schlussfolgerungen. In acht Studien werden Verteilungsfragen und Lebensbedingungen in Österreich und die sozialpolitischen
Herausforderungen der kommenden Jahre analysiert. Ein Schwerpunkt dabei sind Fragen der Finanzierung und Finanzierbarkeit
des Sozialstaats und die Herausforderungen, die hier bestehen.
Bei der Verteilung der Einkommen auf Arbeits- und Kapitaleinkommen zeigt sich in Österreich, wie auch in anderen
entwickelten Industriestaaten, seit Ende der 1970er Jahre beim Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen
(der Lohnquote) ein kontinuierlicher Rückgang. Der Tiefpunkt der Entwicklung lag knapp vor der Finanzkrise
2007, seitdem stieg die Lohnquote wieder etwas an, was die vorherigen Rückgänge aber nicht wettmachte.
Gründe für diese Entwicklung werden einerseits in technologischen Veränderungen und den Folgen der
Globalisierung gesehen. Andererseits kommt hier die zunehmende Bedeutung der privaten Nettovermögen mit gleichzeitig
sich vollziehender starker Konzentration zum Ausdruck. Österreich weise eine im EU-Vergleich sehr hohe Vermögenskonzentration
auf, heißt es im Bericht. Schätzungen der Europäischen Zentralbank zufolge hält das reichste
Prozent der Haushalte ein Drittel des gesamten privaten Vermögens und besitzt damit nahezu gleich viel Vermögen
wie die unteren 80 % der Bevölkerung.
Was Steuern und Abgaben betrifft, so konstatieren die AutorInnen eine hohe Belastung von Arbeit im Gegensatz zu
Vermögenseinkommen in Österreich. Die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung und die Lohnsummenabgaben
machen hierzulande nicht weniger als 41 % des Abgabenaufkommens aus, während diese im Schnitt der EU-15 (d.h.
EU-Staaten vor der Osterweiterung 2004) bei rund 29 % liegen. Hingegen spielen vermögensbezogene Steuern eine
geringe Rolle, nur 1,4 % des Abgabenaufkommens stammten aus vermögensbezogenen Steuern, gegenüber einem
durchschnittlichen Anteil von 6 % der EU-15, heißt es im Bericht des Sozialministeriums.
Die Frage der Verfügbarkeit von Einkommen und Vermögen ist eng mit den Lebensbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten
verbunden. Fast 300.000 Beschäftigte in Österreich gelten als Working Poor, als arm trotz Arbeit. Besonders
gefährdete Gruppen sind alleinerziehende Frauen, AusländerInnen sowie Menschen, die Hilfsarbeiten leisten
oder die über wenig Schulbildung verfügen. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass auch Gruppen,
die in der gesellschaftlichen "Mitte" eingeordnet werden, auf die ausgleichenden Effekte des Sozialstaats
angewiesen sind, und ihren Status zu halten. Die Aufmerksamkeit der Sozialpolitik müsse daher insbesondere
auch der "gefährdeten Mitte" gelten, heißt es im Sozialbericht.
ExpertInnen halten Sozialstaat für grundsätzlich finanzierbar
In ihrer Analyse des Arbeitsmarkts kommen die ExpertInnen zu dem Schluss, dass im letzten Jahrzehnt eine "unsystematische
individuelle Arbeitszeitverkürzung" stattgefunden habe, abzulesen an der Zunahme der Teilzeitarbeit und
Verringerung der geleisteten Überstunden. Könnten die unselbständig Beschäftigten ihre Wunscharbeitszeit
leben, ergäbe sich bei gleichem Arbeitsvolumen mehr Beschäftigung und eine Verringerung der Arbeitslosigkeit.
Sie sehen daher in der Arbeitszeitverkürzung eine der Antworten auf die Herausforderungen, die der technische
Fortschritt für die Arbeitswelt mit sich bringt.
Ein wesentlicher Faktor dafür, ob der Sozialstaat leistbar bleibt, wird laut den AutorInnen des Berichts die
Bewältigung des technischen Wandels und der Digitalisierung in der Arbeitswelt sein. Sie kommen dabei zu dem
vorsichtig optimistischen Schluss, dass die Herausforderungen durchaus zu bewältigen sind. Wenn es gelinge,
ein zumindest mäßiges Wirtschaftswachstum zu erzielen und die Beschäftigung entsprechend zu steigern,
stelle die Finanzierung der Pensionen und des Sozialstaats eine Herausforderung dar, die sich bewältigen lasse.
Allerdings brauche es dazu eine Änderung der Politik unter anderem in verteilungspolitischen Fragen, lautet
eine zentrale Schlussfolgerungen des Berichts.
|