Wien (öaw) - Quantenphysiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften um Anton Zeilinger konnten
mit Hilfe 600 Jahre alter kosmischer Lichtteilchen einen entscheidenden Beweis zur Quantenverschränkung erbringen.
Im Fachjournal „Physical Review Letters“ berichten die Forscher nun über ihr neues Experiment, das sie mit
Teleskopen an drei Standorten in Wien durchgeführt haben.
„Existiert der Mond auch dann, wenn keiner hinsieht?“ Viele Annahmen der Quantenmechanik widersprechen fundamental
den klassischen Gesetzen der Physik, weswegen Albert Einstein als Reaktion darauf diese Frage in den Raum gestellt
hatte. Denn tatsächlich sind Teilchen, die ihre Eigenschaften erst annehmen, wenn man hinsieht und somit eine
Realität, die nicht unabhängig vom Beobachter existiert, nur schwer mit unserem Weltbild vereinbar.
Sternenlicht der Milchstraße widerlegt Einstein
Besonders skeptisch betrachtete Einstein das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung. Es
besagt, dass die Messung an einem von zwei Teilchen augenblicklich auch den bis dahin undefinierten Zustand des
anderen Teilchens festlegt – und zwar unabhängig davon, wie weit sie voneinander entfernt sind und obwohl
keine Information zwischen den beiden ausgetauscht wird. Einstein bezeichnete diese seltsame Korrelation als „spukhafte
Fernwirkung“ und suchte nach bisher verborgenen Variablen, um sie doch noch mit der Physik Newtons erklären
zu können.
Doch Einstein irrte sich, wie ein neues Experiment von Wissenschaftlern rund um Anton Zeilinger vom Institut für
Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zeigt.
In einer aktuellen Publikation im Fachjournal „Physical Review Letters“ berichten die Forscher, wie sie in einem
„Cosmic Bell Test“ mittels 600 Jahre altem Licht von zwei Sternen aus entgegengesetzten Richtungen der Milchstraße
Einsteins verborgene Variablen als Erklärung für die Quantenverschränkung ausschließen konnten.
Freie Wahl als Schlupfloch
Bereits 1964 hatte der nordirische Physiker John Stewart Bell (1928–1990) einen Vorschlag formuliert, wie sich
die quantenphysikalische Verschränkung experimentell überprüfen lässt. Seitdem wurden weltweit
zahlreiche dieser Bell Tests durchgeführt und konnten die „spukhafte Fernwirkung“ nachweisen. Allerdings enthielten
alle diese Experimente sogenannte „Schlupflöcher“, sodass Einsteins Skepsis bis heute nicht gänzlich
wiederlegt werden konnte.
„Bei einem dieser Schlupflöcher handelt es sich um das ‚Schlupfloch der freien Wahl‘“, erklärt ÖAW-Forscher
Johannes Handsteiner, der Erstautor der neuen Studie. Damit ist gemeint, dass sich die Teilchen und die Messeinrichtung
theoretisch vor dem Experiment kausal beeinflussen hätten können. Die gemessene Korrelation der Teilchen
wäre dann nicht mehr zufällig zustande gekommen. „Um eine vorherige ‚Absprache’ zwischen Teilchen und
Messapparat auszuschließen, muss daher die genaue Einstellung des letzteren frei und unabhängig von
den Teilchen gewählt werden“, verdeutlicht Handsteiner.
600 Jahre alte Photonen als Zufallsgeneratoren
Während in früheren Experimenten die Wahl der Messeinstellung mit erdgebundenen Zufallsgeneratoren
getroffen wurde, oder, wie erst kürzlich beim sogenannten „Big Bell Test“, mittels tausender zufälliger
menschlicher Entscheidungen, haben die Wiener Forscher – zum ersten Mal in der Geschichte der Bell Tests – stellare
Lichtquellen zur Steuerung ihres „Cosmic Bell Tests“ verwendet.
Bei ihrem Experiment erzeugten die Forscher zunächst verschränkte Photonenpaare im Labor des IQOQI und
schickten sie vom Hedy-Lamarr-Teleskop auf dem Dach des ÖAW-Instituts zu getrennten Messstationen bei der
Österreichischen Nationalbank und der Universität für Bodenkultur Wien. Dort befanden sich astronomische
Teleskope, um Sternenlicht einzufangen. Mit diesem Sternenlicht wurden dann die Einstellungen für die Messung
der verschränkten Teilchen gesteuert.
Die Idee dahinter, die auf Überlegungen des Physikers David Kaiser und Kollegen vom US-amerikanischen Massachusetts
Institute of Technology (MIT) basiert: Jedes einzelne stellare Lichtteilchen bestimmt durch seine Farbe, die bei
seiner Erzeugung am Stern festgelegt wurde, die Einstellung der Messung auf der Erde. Da diese Photonen von Sternen
stammen, die Lichtjahre voneinander als auch von der Erde entfernt sind, hätte die Wahl der Messeinstellung
bereits vor 600 Jahren erfolgen müssen, also lange bevor das Experiment in Wien durchgeführt wurde.
„Mit dem Cosmic Bell Test konnten wir das ‚Schlupfloch der freien Wahl‘ um 16 Größenordnungen gegenüber
vorherigen Bell Tests schließen“, sagt Quantenphysiker Anton Zeilinger. „Die Wahrscheinlichkeit, dass es
verborgene Variablen gibt, die alternativ zur Verschränkung geführt haben, ist somit noch geringer als
bisher. Denn ein Einfluss auf das Messergebnis hätte weit vor Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks stattfinden
müssen.“
Für künftige Experimente planen die Forscher Schritt für Schritt noch weiter in der Vergangenheit
zurückzugehen – möglichst bis zu einer Zeit knapp nach dem Urknall.
Neben der ÖAW waren unter anderem auch Wissenschaftler/innen des MIT – Massachusetts Institute of Technology,
der NASA, des deutschen Max-Planck-Instituts für Quantenoptik, des kalifornischen Harvey Mudd Colleges und
der chinesischen School of Computer an dem erfolgreichen Experiment beteiligt.
Publikation: "Cosmic Bell Test:
Measurement Settings from Milky Way Stars". Johannes Handsteiner, Andrew S. Friedman, Dominik Rauch, Jason
Gallicchio, Bo Liu, Hannes Hosp, Johannes Kofler, David Bricher, Matthias Fink, Calvin Leung, Anthony Mark, Hien
T. Nguyen, Isabella Sanders, Fabian Steinlechner, Rupert Ursin, Sören Wengerowsky, Alan H. Guth, David I.
Kaiser, Thomas Scheidl, Anton Zeilinger. Physical Review Letters, 2017.
DOI: 10.1103/PhysRevLett.118.060401
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