Wien (fwf) - Die Wiener Staatsoper ist eine Institution. Sie ist das Symbol der Hochkultur, fern des Alltags.
Und auch wieder nicht: Die Wechselwirkungen zwischen politischen Umständen und der Entwicklung des Hauses
am Ring untersuchte eine Wiener Forschungsgruppe mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF. „Das Interessante
ist“, sagt Christian Glanz, „dass ausgerechnet in Wien, im Österreich des 19. Jahrhunderts auf die Oper als
Mittel politischer Kommunikation verzichtet worden ist.“ Zu einer Zeit, in der Verdi in Italien und Wagner in Deutschland
klangmächtig Visionen beschreiben, herrscht in Wien seltsame schöpferische Stille. Die Hofoper lebt,
aber sie schöpft aus dem Repertoire Mozarts, Glucks und der italienischen Komponisten. Und der Kaiser findet
ohnedies lediglich am Radetzky-Marsch Gefallen.
„Eine politische Geschichte der Oper in Wien 1869 bis 1955“, auf diesen Titel lautet das vom Wissenschaftsfonds
FWF geförderte Projekt unter der Leitung von Christian Glanz am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung
an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. „Das Jahr 1869 ist in Wien eines der letzten
Jahre, in denen die Liberalen die tonangebende politische Kraft waren. Das Ausscheiden aus dem Deutschen Bund ist
drei Jahre her, der Ausgleich mit Ungarn zwei Jahre. Und bis zu Börsenkrach und Cholera sind es noch vier
Jahre hin“, schildert Glanz den Ausgangspunkt. Vor allem ist 1869 das Jahr, in dem die Hofoper etabliert wird.
Wechselwirkungen
„Die Grundannahme war“, sagt Glanz, „dass sich gesellschaftliche und politische Ereignisse und Entwicklungen
auch in der Institution spiegeln.“ Die Oper als Seismograf, sozusagen. „Wobei wir klar festhalten müssen,
dass es hier keine Push-and-Pull-Situation gibt“, fügt Glanz hinzu. Nicht jedes politische Ereignis hat unmittelbar
Auswirkungen auf das Haus am Ring. Viel öfter sind es Mentalitäten, die sich festhalten lassen, Entwicklungen
im Vorfeld politischer Ereignisse, Textänderungen, um ein Werk doch zur Aufführung zu bringen, Versuche,
im Hintergrund Einfluss auszuüben. Am deutlichsten ist dies anhand der illegalen nationalsozialistischen Betriebszellen
in den 1930er-Jahren zu sehen.
Die Wiener Staatsoper wurde am 25. Mai 1869 mit der Aufführung von Mozarts „Don Giovanni“ eröffnet. Quelle:
Wikimedia Commons
In fünf Phasen unterteilt, untersucht das Projekt die „Ringstraßenkultur“ der 1870er-Jahre, das Jahr
1897, die Oper der Ersten Republik, in Zeiten der Diktatur sowie die Entnazifizierung und den Wiederaufbau. – und
jeweils die Wechselwirkungen zwischen Alltagsgeschehen und Aufführungen anhand ausgesuchter Beispiele. „Die
zweite Phase war ursprünglich für den Zeitraum zwischen 1892 mit der Wiener Musik- und Theaterausstellung
und dem Jahr 1907 sowie der Einführung des Allgemeinen Wahlrechts für Männer gedacht“, schildert
Glanz. Eine im wahrsten Sinne des Wortes dichte Zeit. So dicht an zentralen Ereignissen und Materialien, dass dieser
Abschnitt auf eine Aufführung und ein einziges Jahr fokussiert: 1897.
Das Schlüsseljahr 1897
1897 ist dichtgepackt: Karl Lueger wird Bürgermeister von Wien und mit ihm etablieren sich Massenparteien
und Populismus pur; „Alt-Wien“ wird gegen „Neu-Wien“ in Stellung gebracht; die autochthone Wiener „Kultur von Grund“
wird als Antithese zur höfischen Hochkultur propagiert; im Reichsrat bringt Ministerpräsident Kasimir
Felix Badeni seine Sprachverordnungen für Böhmen und Mähren ein, was prompt zu Straßenschlachten
sowie zu einer Staatskrise führt, und – Gustav Mahler wird zum Hofoperndirektor berufen.
Der nun setzt als seine erste Premiere am 4. Oktober 1897, des Kaisers Namenstag, Friedrich Smetanas „Dalibor“
aufs Programm. Ein Stück, dessen Protagonist sich gegen König, Adel und Polen stellt und die Bauern unterstützt.
Künstlerisch ein Erfolg und von der Kritik wohlwollend aufgenommen, ist es politisch eine Erregung. Medial
getragen und verbreitet durch das „Deutsche Volksblatt“, die „Deutsche Zeitung“ und die „Reichswehr“, die darin
eine „Versklavung der Hofoper“ erkennen will. Projektmitarbeiterin Tamara Ehs, die das „Schlüsseljahr 1897“
behandelt, hält fest: „Sollte es (Dalibor) ein politischer Akt gewesen sein, so nahm sich Mahler kurz darauf
jedoch wieder zurück; denn er hatte zu Saisonbeginn auch die Aufführung von Smetanas ,Libuse‘ angekündigt,
aufgrund der entstandenen Polemik und Angriffe schließlich aber nicht verwirklicht.“
Erste Republik
Es ist die Hofoper, auch unter Mahlers Leitung, eben eine Hofoper. Finanziert aus der Privatschatulle des Kaisers,
mehr Ornament als Ort der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Die verlagert sich auf andere
Felder. Dennoch erwächst ausgerechnet diesem kaiserlichen Schmuckstück in der Ersten Republik eine neue
Aufgabe. Nunmehr als Staatsoper bezeichnet, soll sie getragen durch einen überparteilichen Konsens von der
Weltgeltung Wiens und Österreichs in allen Belangen der Musik künden. Daran ändern auch tagespolitische
Erregungen um das Ballett „Schlagobers“ und „Jonny spielt auf“ nichts. Vielmehr erweitert die Oper ihren Raum,
indem sie eine Partnerschaft mit den Salzburger Festspielen eingeht –, und es den wechselnden Bundesregierungen
bis in die Zeit des Austrofaschismus ermöglicht, Salzburg gleichsam an die Kandare Österreichs zu nehmen.
„Interessant ist auch wie die Oper nach 1945 positioniert wurde“, erklärt Glanz. „Der Wiederaufbau des Gebäudes
wurde von offizieller Seite mit dem Wiederaufbau Österreichs gleichgesetzt. In den USA wurden Gelder dafür
mit dem Argument eingeworben, dass sie Österreich von Deutschland abgrenze.“ – Die Oper als symbolbeladenes
Ornament.
Die Ergebnisse des Projekts werden unter anderem in ein Buch zum 150-Jahr-Jubiläum der Staatsoper im Jahr
2019 einfließen, damit die Geschichte der Oper in Zeit und Gesellschaft verortet werden kann.
Zur Person
Christian Glanz ist Professor am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung an der Universität
für Musik und darstellende Kunst Wien. Er leitete von 2012 bis 2016 das Projekt „Eine politische Geschichte
der Oper in Wien 1869 bis 1955“.
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