Themen der Gespräche mit der Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard: EU-Personenfreizügigkeit,
Brexit, Lohndumping und Arbeitnehmerschutz
Bern/Wien (hofburg) - Es wurden alle Register der diplomatischen und militärischen Künste gezogen,
als am Donnerstag mit Alexander Van der Bellen die "Hoffnung des liberalen Europas" (Copyright Tageszeitung
"Der Bund") am Münsterplatz in Bern mit rotem Teppich und Gardemusik empfangen wurde. Der Bundespräsident
traf die Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard. Diskutiert wurden vor allem EU-Themen.
Misstöne gab es keine, vielmehr wurde die traditionelle Freundschaft der beiden Länder beschworen, auch
wenn der bereits zitierte "Bund" mit einer alten Legende aufräumte. Das Berner Blatt stellte in
seiner Donnerstagsausgabe in Abrede, dass die erste Auslandsreise eines neu gewählten österreichischen
Bundespräsidenten traditionsgemäß in die Schweiz führt: "Das ist ein uraltes Gerücht,
gestimmt hat es nie."
Ein Blick ins Archiv gibt der Zeitung recht: Je nach Bedarf wurde besagtes Gerücht offenbar auch für
Außenminister und Regierungschefs gestreut. Der Kern der Diplomatie-Saga könnte daher stammen, dass
Leopold Figl als Außenminister der noch jungen Zweiten Republik die Schweiz besucht hatte, um sich für
die erwiesene Hilfe nach dem Zweiten Weltkrieg zu bedanken.
Dennoch freute sich Leuthard nach dem Treffen bei einer Pressekonferenz, dass diese "Tradition" fortgesetzt
werde, zumindest von Schweizer Seite. Das Amt des Schweizer Bundespräsidenten wechselt jedes Jahr turnusmäßig
unter den Mitgliedern der Kollegialregierung. Ein Besuch in Wien steht dann in der Regel ganz oben auf der Liste.
Von österreichischer Seite aus hatten schon Van der Bellens Vorgänger Thomas Klestil (1992) und Heinz
Fischer (2004) mit der damaligen Tschechoslowakei und Ungarn andere Auftaktreiseziele gehabt. Kurt Waldheim war
wegen seiner umstrittenen Kriegsvergangenheit während der NS-Zeit international relativ isoliert gewesen.
"Der Spiegel" berichtete 1986 von "gescheiterten Sondierungen für Staatsbesuche" u.a.
in der Schweiz.
Der aktuelle Bundespräsident selbst war Anfang der Woche bereits bei der EU in Brüssel und Straßburg.
Ein Trip, den er allerdings nicht unbedingt als Auslandsreise verstanden wissen wollte. Daher betonte er vor der
Presse explizit, dass er in Bern seinen ersten "bilateralen" Besuch absolviere.
EU-Themen standen auch am Donnerstag auf dem Gesprächsprogramm des Bundespräsidenten, der in der Schweiz
bei dem Treffen mit Leuthard im Beatrice-von-Wattenwyl-Haus, einem Palais in der Berner Altstadt, von Außenminister
Sebastian Kurz (ÖVP) und der ehemaligen Außenministerin und aktuellen Botschafterin in der Schweiz,
Ursula Plassnik, sekundiert wurde. Dabei ging es unter anderem um die EU-Personenfreizügigkeit. Die Regierung
in Wien möchte von Brüssel Ausnahmeregelungen, um sich gegen Lohndumping durch Firmen und Arbeitskräfte
aus Osteuropa zu schützen.
Leuthard zeigte Verständnis für die Position Österreichs, zumal es dort ein "Lohngefälle
gegen Osten" gebe. Einerseits würden Fachkräfte benötigt, doch müsste auch der Arbeitnehmerschutz
ernst genommen werden. Van der Bellen betonte, dass er die Personenfreizügigkeit weiter als "grundsätzliche
Säule des Selbstverständnisses der EU" betrachte, es im Zusammenhang mit der Entsenderichtlinie
aber zu Fällen komme, bei denen die Kollektivverträge nicht eingehalten würden. Die Schweiz ist
kein EU-Mitglied, der Europäischen Union aber mit bilateralen Verträgen eng verbunden. Van der Bellen
nannte diese "ein Vertragsgeflecht, das sich bewährt hat".
Leuthard - die Christdemokratin (CVP) ist auch Ministerin für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation -
und Van der Bellen widmeten sich auch dem Thema Brexit, der in der EU und der Schweiz mit "großer Sorgfalt"
beobachtet werde, sowie Fragen der Migration. 2014 hatte sich die Schweiz bei der "Masseneinwanderungsinitiative"
für eine Begrenzung der Zuwanderung ausgesprochen. Die EU hatte daraufhin mit der Aufkündigung wichtiger
bilateraler Verträge gedroht. Nach jahrelangem Ringen wird die Initiative nun in einer abgemilderten Form
umgesetzt - und die Schweizer sollen erneut über das Reizthema Zuwanderung abstimmen. Van der Bellen konstatierte
am Donnerstag in Bern, dass die Frage mittlerweile "auch zur großen Befriedigung seitens von Brüssel"
gelöst worden sei.
Am Freitag widmet sich Van der Bellen dem Schwerpunkt "Innovation". Da könne Österreich von
der Schweiz durchaus noch lernen, wie die Bereiche "Innovation und Forschung" mit Unternehmen verquickt
werden könnten, sagte Van der Bellen. Der frühere Wirtschaftsprofessor wird bei der Roche Pharma AG in
Basel sowie der technisch-naturwissenschaftlichen Hochschule ETH in Zürich zu Gast sein. In Basel wird der
frühere Wirtschaftsprofessor über den Innovationsstandort Schweiz und die Bedeutung von Forschung und
Entwicklung für die Schweizer Industrie gebrieft. Das Impulsreferat wird mit Roche-CEO Severin Schwan ein
Österreicher halten.
Innovatives Gedankengut sollte am Freitagnachmittag auch an der ETH Zürich präsentiert werden. Nach der
Begrüßung durch den Universitätspräsidenten Lino Guzzella werden Studenten Projekte an der
Schnittstelle von Biochemie und Medizin vorstellen. Danach soll es bei einem "Networking-Apero" zu einem
Meinungsaustausch kommen. Gesprächspartner Van der Bellens werden Landsleute sein, die an der ETH als Studenten
oder Lehrende tätig sind.
Auch in einem anderen Feld hinkt Österreich der Schweiz derzeit ein wenig hinterher, wie der Bundespräsident
implizit einräumte. "Wir gönnen der Schweiz jede Medaille", sagte er hinsichtlich der derzeit
in Sankt Moritz stattfindenden Alpinen Ski-WM. Nachsatz: "Wenn auch schweren Herzens." Die Eidgenossen
lagen am Donnerstag in der Nationenwertung nach sieben Entscheidungen mit sechs Medaillen (davon drei goldene)
voran. Österreich kam bei diesem Zwischenstand auf fünfmal Edelmetall, darunter einmal Gold.
ed/mp/nw – Quelle: APA
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