Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzler Kern besprachen mit Jean-Claude Juncker
das europäische Lohngefälle – Gespräche über Migration und Europas Zukunft beim Treffen mit
Donald Tusk
Brüssel/Wien (apa/prk) - Probleme am österreichischen Arbeitsmarkt durch das Lohngefälle
osteuropäischer Arbeiter waren ein Thema des Besuchs von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und
Kanzler Christian Kern bei EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am 13.02. in Brüssel. "Wir haben niemand,
der in Österreich einen Inländervorrang fordert", betonte Christian Kern nach dem Gespräch.
Präsident Juncker erklärte, er sei sich mit der österreichischen Bundesregierung darin einig, dass
die EU-Entsenderichtlinie nicht zu Sozialdumping und Ausbeutung führen dürfe. Der Kommissionschef warnte
zugleich vor jeglicher Ungleichbehandlung von EU-Bürgern: "Der Binnenmarkt wurde nicht erfunden, damit
Arbeitnehmer, die von Land B in ein Land A ziehen, weniger gut behandelt werden als die Arbeitnehmer im Land A.
Das ist in keinerlei Weise arbeitnehmerfreundlich, und die Kommission tritt an, um diesem Aspekt des sozialen Dumpings
den Garaus zu machen. Das tun wir gemeinsam mit der österreichischen Bundesregierung."
Österreich sei ganz besonders von einem massivem Lohngefälle betroffen, das zu mehr Arbeitslosigkeit
als geschaffenen Jobs führe, warnte Bundeskanzler Kern. Das Problem sei "nicht, dass Menschen aus anderen
europäischen Ländern in Österreich bei uns arbeiten, sondern unser Problem ist, dass sie dies nicht
zu fairen Konditionen machen". Mehr als ein Fünftel der Arbeitslosen in Österreich seien Ausländer.
Zunächst sollten daher Menschen ohne Beschäftigung Jobs finden, nicht Inländer, sondern "Menschen,
die in Österreich arbeitslos sind", sagte der Bundeskanzler. Ein klares Bekenntnis zu Europa bedeute,
auch Fehlentwicklungen klar anzusprechen und dafür Lösungen zu suchen. "Wir werden das tun im besten
europäischen Geist und im Sinne unserer Verpflichtungen", versicherte Christian Kern.
Der Bundeskanzler hatte im Jänner für Beschränkungen am Arbeitsmarkt geworben. Konkret sollen Bürger
aus jenen Staaten, deren Lohnniveau nicht einmal 80 Prozent des österreichischen erreicht, nur dann in Österreich
tätig sein können, wenn keine heimische Arbeitskraft zur Verfügung steht. Im EU-Vertrag ist eine
unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen
generell nicht erlaubt.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte zu dem Gespräch mit Juncker: "Wir haben darüber
gesprochen und haben die Komplexität dieser Fragen von verschiedenen Seiten betrachtet."
|
Gespräche über Migration und Europas Zukunft beim Treffen mit Donald Tusk
Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist von EU-Ratspräsident Donald Tusk mit "Bewunderung
und Respekt" in Brüssel empfangen worden, wie der polnische EU-Spitzenpolitiker am 13.02. nach dem Treffen
in Brüssel sagte. "Sein Wahlsieg ist ein Zeichen der Hoffnung für Millionen geworden", sagte
Tusk. Es lohne sich für das zu kämpfen, was Europa in 60 Jahren geschaffen habe.
"In einigen Kreisen ist es jetzt in Mode, gegen die EU zu sein", sagte Tusk. Dabei seien vor dem EU-Sondergipfel
im März in Rom zum 60-jährigen Bestehen der Gemeinschaft die Herausforderungen größer denn
je zuvor. Die geopolitische Lage sei "gelinde gesagt schwierig". Dazu würden noch die Auseinandersetzungen
mit Populisten kommen.
Bundespräsident Van der Bellen betonte, es sei ihm wichtig gewesen, seine erste Reise als Bundespräsident
nach Brüssel zu machen, wobei Brüssel nicht wirklich zum Ausland zähle, "wir sind alle Teil
der Europäischen Union". Er dankte Tusk für die "ungemein freundliche Aufnahme". Es sei
schön, dass die österreichische Bundespräsidentenwahl auch außerhalb Österreichs auf
großes Interesse gestoßen sei. Dabei sieht Van der Bellen ein "paradoxes Resultat" des britischen
Brexit-Votums. Diese "fatale Entscheidung" der Briten habe in Österreich ein neues Bewusstsein über
die Richtigkeit und die Notwendigkeit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union herbeigeführt.
Ein weiterer Schwerpunkt der gemeinsamen Beratungen zwischen Van der Bellen, Tusk und Bundeskanzler Christian Kern
war die Migrationskrise. Tusk betonte, die EU habe in diesem Bereich schon viel geschafft. Österreich sei
auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise "im Auge des Sturms" gestanden. Die EU konzentriere
sich darauf, die illegale Migration von Libyen nach Italien zu reduzieren. Aber auch die östliche Mittelmeerroute
müsse in Zusammenarbeit mit der Türkei und anderen Partnern geschlossen bleiben.
Auch Bundeskanzler Kern erklärte, die EU habe in der Migrationskrise in den vergangenen Monaten bereits große
Fortschritte erzielt. Die Zusammenarbeit mit Libyen sollte man zwar nicht überbewerten. Ziel sei es aber zu
einem Europa der offenen Grenzen zurückzukehren, die Grenzkontrollen "machen wir nicht aus Begeisterung".
Ein weiteres Thema des Gesprächs war die Vorbereitung der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft
in der zweiten Hälfte des Jahres 2018. Kern kündigte an, soziale Fragen würden ein ganz wesentlicher
Teil des österreichischen EU-Vorsitzes werden. Diese Politik sei am wenigsten weit in der EU, dabei gebe es
eine Reihe von Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten. "Wir wollen den sozialen Pfeiler zu einem wichtigen
Teil Europas machen", so Kern. Die Zusammenarbeit mit Tusk bezeichnete der Bundeskanzler als "exzellent".
|