Tübinger Forscher identifizieren ein Protein als wichtige „Stellschraube“ im Entzündungsgeschehen
– Krebsmedikament könnte zur Therapie als Hemmstoff eingesetzt werden
Tübingen (idw) - Forscherinnen und Forscher der Universität Tübingen haben gemeinsam mit
Kollegen aus Deutschland und den USA ein Protein als wichtige „Stellschraube“ für die Entstehung von Entzündungen
im menschlichen Körper genauer identifiziert. Wie Professor Alexander Weber aus der Abteilung Immunologie
des Interfakultären Instituts für Zellbiologie berichtete, wird das Protein mit der Bezeichnung Brutons
Tyrosinkinase, kurz BTK, bei der Aktivierung des Entzündungsgeschehens im menschlichen Körper eingeschaltet
und spielt somit bei der anschließenden Entfaltung der Entzündung eine wesentliche Rolle.
Entzündungen sind bei vielen Erkrankungen wichtig für den Heilungsprozess. Zugleich können sie bei
Erkrankungen wie Gicht, Alzheimer, Atherosklerose, einem Herzinfarkt oder Schlaganfall aber auch negative Folgen
haben und die Erkrankungsfolgen verstärken. Entzündungszustände werden unter anderem durch eine
molekulare Maschinerie gesteuert, die Immunologen als „Inflammasom“ bezeichnen. Dabei werden zunächst Zellen
des Immunsystems aktiviert, die wiederum bestimmte entzündungsfördernde Botenstoffe freisetzen, die so
genannten Zytokine.
„Da die Funktionsweise des Inflammasoms noch nicht im Detail aufgeklärt ist, fehlen auch in der Klinik derzeit
therapeutische Ansätze, die direkt die molekulare Maschinerie des Inflammasoms als Entzündungsauslöser
blockieren könnten“, sagt Weber. Stattdessen zielen bislang verfügbare Therapien in erster Linie auf
deutlich später einsetzende Symptome einer Entzündung. Diese therapeutische Lücke motivierte die
Tübinger Forscherinnen und Forscher, das Inflammasom genauer zu erforschen, um neue Angriffspunkte für
die direktere Hemmung von Entzündungen zu finden.
Im Zuge ihrer Untersuchungen stieß Webers Team auf das Protein BTK als wesentliche „Stellschraube“ des Inflammasoms.
„Brutons Tyrosinkinase ist seit vielen Jahren als genetische Ursache für die sehr seltene Immunschwäche
Morbus Bruton bekannt“, erklärt Xiao Liu, Doktorandin in der Abteilung Immunologie. Bei dieser Krankheit fehlen
den Betroffenen schützende Antikörper, denn BTK ist für Reifung und Funktion der so genannten B-Zellen
zwingend erforderlich. Diese spezialisierten weißen Blutkörperchen sind für die Antikörperproduktion
im menschlichen Organismus unabdingbar. Gemeinsam mit weiteren Kollegen in Tübingen, Bonn, Freiburg, Ulm und
Baltimore (USA) konnten die Tübinger Immunologen zeigen, dass BTK direkter Bestandteil des Inflammasoms ist
und Patienten mit BTK-Mutationen, das heißt mit Morbus Bruton, auch einen Defekt des Inflammasoms zeigen.
Nach Webers Worten rückt damit ein neuer Ansatz für die Behandlung von Entzündungen in den Bereich
des Möglichen. Arzneimittel, welche die Aktivität von BTK hemmen können, werden seit kurzem für
die Therapie einer bestimmten Form von Lymphdrüsenkrebs verwendet, der durch entartete B-Zellen ausgelöst
wird. Entsprechende Arzneimittel, so genannte BTK-Hemmer, sind inzwischen auch in Deutschland zugelassen. „Wir
konnten zeigen, dass eine Hemmung von BTK experimentell das Entzündungsgeschehen stark bremsen kann“, sagt
Weber. In Immunzellen von Krebspatienten, die regelmäßig BTK-Hemmer zur Behandlung ihrer Krebserkrankung
einnehmen, sei die Zytokin-Freisetzung effektiv blockiert und das Inflammasom praktisch lahmgelegt.
„Somit könnten Patienten, die unter den Folgen eines Schlaganfalls, eines Herzinfarkts oder Gicht leiden,
möglicherweise vom Einsatz eines BTK-Hemmers in Zukunft deutlich profitieren“, erklärt Weber. Denn in
diesen Fällen scheint das Inflammasom als Krankheitstreiber zu fungieren. Da BTK-Hemmer bereits in der klinischen
Entwicklung weit fortgeschritten sind, könnte der Weg bis hin zu dieser neuen klinischen Anwendung, welche
allerdings aktuell noch nicht zugelassen ist, kürzer ausfallen als bei Ansätzen, für die es noch
keinen entsprechenden Wirkstoff gibt. „Unsere Ergebnisse und die unserer Kollegen geben Anlass dazu, diese Möglichkeit
in weiterer experimenteller Forschung und in klinischen Studien auszuloten“, erklären die Tübinger Forscher
abschließend.
Publikation: Liu X, Pichulik P, Wolz
OO, Dang TM, Stutz A, Page C, Delmiro Garcia M, Kraus H, Dickhöfer S, Daiber E, Münzenmayer L, Wahl S,
Rieber N, Kümmerle-Deschner J, Yazdi A, Franz-Wachtel M, Macek B, Radsak M, Schulte S, Stickel JS, Hartl D,
Latz E, Grimbacher B, Miller L, Brunner C, Wolz C, Weber AN. Human NLRP3 inflammasome activity is regulated by
and therapeu-tically targetable via BTK. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2017, http://dx.doi.org/10.1016/j.jaci.2017.01.017.
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