Diskussion im Nationalrat über sinkende Einkommen von ArbeiterInnen
Wien (pk) - Schon bei der Vorlage im vergangenen Dezember ist der vom Rechnungshof gemeinsam mit der Statistik
Austria erstellte Einkommensbericht 2016 auf breites mediales Interesse gestoßen. Die Daten zeigen, dass
das mittlere Bruttojahreseinkommen von ArbeiterInnen zwischen 1998 und 2015 deutlich zurückgegangen ist und
jenes der Angestellten im selben Zeitraum stagnierte. Gleichzeitig ging die Einkommensschere zwischen Höchst-
und Niedrigstverdienern auseinander. Der von vielen Seiten ertönende Ruf nach mehr Einkommensgerechtigkeit
blieb allerdings nicht ohne Widerspruch: Die Einkommensrückgänge seien vor allem auf den starken Anstieg
von Teilzeitarbeit zurückzuführen, machten KritikerInnen geltend. Vollzeitbeschäftigte hätten
in den letzten Jahren sehr wohl signifikante Reallohngewinne verbuchen können. Die Debatte über eine
richtige Interpretation der Zahlen und die daraus zu ziehenden Schlüsse, setzte sich am 01.03. im Nationalrat
fort. Der Bericht wurde schließlich einstimmig zur Kenntnis genommen.
Unbestritten ist, dass Frauen nach wie vor erheblich weniger verdienen als Männer. Auch bei Herausrechnen
von Teilzeitbeschäftigten bleiben enorme Einkommensunterschiede bestehen (siehe Parlamentskorrespondenz Nr.
171/2017). Nicht nur die Opposition hält die Situation für untragbar, auch die SPÖ-Abgeordneten
Karin Greiner, Wolfgang Knes und Ruth Becher sowie ÖVP-Frauensprecherin Dorothea Schittenhelm sehen die Politik
gefordert. So halten Greiner und Becher etwa einen massiven Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen für notwendig,
um Frauen leichter Vollzeitbeschäftigung zu ermöglichen. Zudem forderte Greiner mehr innerbetriebliche
Lohntransparenz, während Becher insbesondere auch die geplante Einführung verpflichtender Frauenquoten
in Aufsichtsräten begrüßte.
Als wichtigen Schritt sehen SPÖ und ÖVP die Einführung eines Mindestlohns von 1.500 €. Die 1.500
€ könnten allerdings nur ein Anfang sein, meinte Schittenhelm. Sie sieht vor allem im Bereich der Dienstleistungsberufe
Nachholbedarf und nimmt die Sozialpartner in die Verantwortung. Frauen seien eine wesentliche Stütze der österreichischen
Wirtschaft, das müsse sich im Einkommen niederschlagen. Wiederholt wiesen die Abgeordneten darauf hin, dass
sich die Einkommensunterschiede besonders auch bei den Pensionen niederschlagen.
Seitens der FPÖ wandte sich Jessi Lintl gegen "eine sinnlose Genderpolitik". Diese würde an
den Fakten nichts ändern. Man müsse Kindererziehung und Pflegeleistung stärker abgelten, forderte
sie. Für eine Stärkung der Familien sprach sich auch der fraktionslose Abgeordnete Marcus Franz aus.
Er hält nichts davor, Frauen in Vollzeitbeschäftigung zu drängen.
Keine Lösung sind Quoten auch für Martina Schenk vom Team Stronach. Sie macht insbesondere die Unterbrechung
der Erwerbsarbeit bei Frauen für die Lohnunterschiede verantwortlich, Quoten würden nichts bewirken.
Einkommensschere: Grüne sehen Feuer am Dach
Was die allgemeinen Einkommensdaten betrifft, sieht der Budgetsprecher der Grünen Bruno Rossmann Feuer am
Dach. Seiner Einschätzung nach sind die Reallohnverluste bei ArbeiterInnen - minus 13% seit 1998 - eine wesentliche
Ursache für den Anstieg des Rechtspopulismus. Erschütternd ist für ihn auch, dass die Einkommen
bei den untersten 10% der unselbständig Beschäftigten zwischen 1998 und 2015 um 35% zurückgegangen
sind, in der Mitte seien es immer noch vier Prozent. Ursache für die Entwicklung sind laut Rossmann neben
der zunehmenden Teilzeitbeschäftigung vor allem auch die immer instabiler werdenden Arbeitsverhältnisse.
Das werde auch dadurch belegt, dass ArbeitnehmerInnen, die zwei Jahre durchgehend beschäftigt waren, ein Einkommensplus
haben.
FPÖ für Zugangsbeschränkungen zum österreichischen Arbeitsmarkt
Dass die Kluft zwischen Gut- und WenigverdienerInnen auseinandergeht und ArbeiterInnen immer weniger verdienen,
während das Einkommen von BesserverdienerInnen steigt, ist auch für Erwin Angerer (F) ein Faktum. Vor
allem BeamtInnen könnten ein großes Einkommensplus verbuchen, auch unabhängig von statistischen
Sondereffekten. Warum lasse man das zu, warum lasse die SPÖ die ArbeiterInnen im Stich, wandte sich Angerer
an eine der beiden Regierungsparteien.
Von "skandalösen Daten" sprach auch Angerers Fraktionskollegin Jessi Lintl (F). Während sich
Arbeiter früher einen gewissen Wohlstand erarbeiten hätten können, gehe heutzutage alles Verdiente
für Lebenshaltungskosten auf, kritisierte sie. Ersparnisse aufzubauen, sei nicht mehr möglich. Schuld
an der Entwicklung gibt Lintl der ihrer Meinung nach voreiligen Öffnung des österreichischen Arbeitsmarkt
für die süd- und osteuropäischen EU-Staaten, die sich nicht nur negativ auf die unteren Einkommen,
sondern auch auf die mittleren Einkommen ausgewirkt habe. Neben Schutzmaßnahmen für den österreichischen
Arbeitsmarkt forderte sie auch eine nachhaltige Lohnnebenkostensenkung.
Es müsse Ziel sein, dass man bei Vollzeitbeschäftigung ein Einkommen habe, mit dem man auskomme, sagte
FPÖ-Abgeordneter Gerald Hauser. Wenn die Politik das nicht schaffe, habe sie etwas falsch gemacht. Dem Einwand
von Grün-Abgeordnetem Rossmann, dass die Einkommensschere auch in jener Zeit weiter aufgegangen sei, als die
FPÖ Regierungsverantwortung hatte, hielt er entgegen, dass sich die damals Verantwortlichen allesamt von der
Partei abgespalten und das BZÖ gegründet haben.
NEOS und ÖVP warnen vor irreführenden Schlussfolgerungen
Vor irreführenden Schlussfolgerungen aus dem Einkommensbericht warnten die NEOS-Abgeordneten Claudia Gamon
und Gerald Loacker. Der Bericht biete ein gute Datengrundlage, diese eigne sich aber nicht für klassenkämpferische
Parolen, meinte Gamon. Vielmehr würde vor allem die Problematik von Teilzeitbeschäftigung und geringfügiger
Beschäftigung sichtbar. Als Reaktion auf den Bericht hält es Gamon für notwendig, Anreize für
Teilzeitarbeit zu reduzieren, wobei sie konkret etwa den Alleinverdienerabsetzbetrag und die Negativsteuer in Frage
stellte. Allgemein hob sie hervor, dass es noch nie so viel Beschäftigung in Österreich und so viele
Frauen in Beschäftigung gegeben habe.
Auf unterschiedliche Daten im Sozialbericht und im Einkommensbericht machte Loacker aufmerksam, etwa was die Pensionsentwicklung
und die Zahl der geringfügig Beschäftigten betrifft. Er sieht es als Problem, dass viele Menschen keinen
Anreiz haben, mehr als geringfügig zu verdienen, weil sie sonst Leistungen wie das Arbeitslosengeld verlieren.
Ähnlich wie Gamon gab ÖVP-Abgeordneter Johann Singer zu bedenken, dass der starke Anstieg von Teilzeit
viele Zahlen im Bericht relativiere. Er könne den Befund, "dass wir ärmer werden", nicht nachvollziehen,
sagte er. Auch die weiter aufgehende Gehaltsschere und andere Daten müsse man differenziert sehen. So sei
etwa das im Bericht verzeichnete hohe Gehaltsplus bei den BeamtInnen darauf zurückzuführen, dass diese
Beschäftigtengruppe ein deutlich höheres Durchschnittsalter und einen überproportional hohen Akademikeranteil
habe und überdies BeamtInnen kaum Teilzeit arbeiteten. Generell wies er darauf hin, dass die Zahl der Beschäftigten
von 2014 auf 2015 um 1,5% gestiegen ist.
SPÖ sieht prekäre Arbeitsverhältnisse als Problem
SPÖ-Abgeordneter Wolfgang Knes (S) machte geltend, dass es in Industriebetrieben und dort, wo Gewerkschafter
verhandeln, grundsätzlich akzeptable Löhne gebe. Das Problem seien prekäre Arbeitsverhältnisse,
etwa in der Gastronomie oder im Tourismus. Die Politik könne nicht alles lösen, betonte Knes, es brauche
gemeinsame Kraftanstrengungen.
Der wiederholten Bekräftigung von FPÖ-Abgeordneten, wonach die FPÖ auf Seiten der ArbeiterInnen
stehe, wollte Philipp Kucher (S) keinen Glauben schenken. Er erinnerte unter anderem daran, dass die FPÖ zuletzt
etwa gegen das Lohn- und Sozialdumpinggesetz gestimmt habe und eine Millionärsabgabe ablehne. Sein Parteikollege
Elmar Mayer verwies auf "soziale Verschlechterungen", die die schwarz-blaue Regierung in Zeiten der Hochkonjunktur
beschlossen habe und warf Abgeordnetem Hauser Kindesweglegung vor.
Team Stronach vermisst ausgewogene Sozialpolitik
Nicht viele neue Erkenntnisse bringt der Bericht nach Meinung von Team-Stronach-Abgeordneter Martina Schenk. Die
Fakten würden schon lange am Tisch liegen, geändert habe sich wenig, kritisierte sie. Ihr Klubkollege
Leopold Steinbichler vermisst eine ausgewogene Sozialpolitik: Die PolitikerInnen und GewerkschafterInnen könnten
sich von ihrer Verantwortung nicht abputzen.
Die niedrigen mittleren Einkommen von selbständig Beschäftigten sprach Matthias Köchl (G) an. Für
ihn stellt sich die Frage, wie man von diesem Einkommen überhaupt leben könne, Beamte würden im
Mittel das Vierfache verdienen. Man produziere geradezu MindestpensionistInnen, meinte er.
Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker betonte, dass es Anliegen des Rechnungshofs sei, objektive Daten zur
Verfügung zu stellen. Für sie sind die im Bericht aufgezeigten Einkommensverluste im untersten Einkommenszehntel
und die enorme Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen wie viele andere Daten ein Faktum. Die Situation
verbessere sich aber bei stabilen Beschäftigungsverhältnissen. Aus dem Bericht zu entnehmen ist ihr zufolge
außerdem, dass die Zahl der atypisch Beschäftigten stärker zugenommen hat als die Zahl der unselbständig
Beschäftigten insgesamt und dass die mittleren Pensionseinkommen stärker als die Inflationsrate gestiegen
sind.
Anregungen, den Bericht weiterzuentwickeln, würden aufgegriffen, sagte Kraker zu. So kann sie sich etwa vorstellen,
die regionale Verteilung von Teilzeitarbeit zu erheben.
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