Dreidimensionale Gehirnmodelle aus dem Labor, sogenannte Organoide, simulieren die Entwicklung
des Gehirnes unglaublich präzise und spiegeln sogar die Ausprägung prominenter Gehirnregionen wie der
Großhirnrinde wider, wie das Fachmagazin EMBO Journal in seiner aktuellen Ausgabe berichtet.
Heidelberg/Wien (imba) - Das wohl wichtigste Organ unseres Körpers steuert nicht nur sämtliche
Körperfunktionen und Sinneseindrücke, sondern lässt uns auch kognitive Höchstleistungen vollbringen,
abstrakte Gedanken formen und sogar über uns selbst und den Sinn des Lebens reflektieren. Umso erstaunlicher
ist es, dass dieses mächtige Netzwerk aus vielen Milliarden von Nervenzellen, das all dies Prozesse erst möglich
macht, seinen Ursprung in nur wenigen Zellen hat. Die Frage nach der komplexen Organisation des Gehirnes ist wohl
eines der größten Rätsel der modernen Wissenschaften und beschäftig weltweit Forscherteams
sämtlicher Disziplinen. Am Wiener IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften – wurde bereits 2013 unter der Leitung von Jürgen Knoblich ein wesentlicher Meilenstein
gesetzt, um das Faszinosum Gehirn und seine einzigartige Organisation besser zu verstehen.
Den Forschern gelang es, im Labor Stammzellen zu gehirnartigen Strukturen wachsen zu lassen, die dem menschlichen
embryonalen Gehirn erstaunlich ähneln. An den sogenannten Organoiden kann man erforschen, wie sich ein Organ
normalerweise entwickelt und warum Störungen auftreten. Diese Methode macht es erstmals möglich, die
Ausbildung von neurologischen Krankheiten, wie etwa Alzheimer, Parkinson, oder Schizophrenie direkt am menschlichen
Gewebe zu studieren.
Bei der Zellbildung ist richtiges Timing alles
In der aktuellen Publikation des Fachmagazins EMBO Journal konnten die Wissenschaftler anhand der Organoide beschreiben,
wie sich die Zellen im heranwachsenden Gehirn zu bestimmten Zentren organisieren. Diese Zentren wiederrum lenken
die Ausbildung bestimmter Hirn-Regionen. Die Zellbildung wird in diesen Zentren rigoros durch eine Reihe chemischer
Signale gesteuert: Zellen, die zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt gebildet werden, nehmen nicht nur einen bestimmten
Platz im Zellverband ein, sie können sich auch unterschiedlich spezialisieren und entweder zu Neuronen oder
zu Gliazellen werden. Die Forscher konnten in den Organoiden zwei sogenannte Vorderhirnzentren lokalisieren, die
sich an zwei Stellen – dorsal und ventral –gegenüberliegen. Diese Zentren lenken wiederum die Organisation
von Zellen der wachsenden Großhirnrinde. „Tatsächlich kann man mit Gehirn-Organoiden diesen faszinierenden
Entwicklungsprozess nachspielen und dabei in Echtzeit beobachten, wie die Nervenzellen wachsen, schließlich
Schnittstellen mit anderen Nervenzellen bilden, und miteinander kommunizieren,“ zeigt sich Jürgen Knoblich
begeistert über die neuartige Technologie, die seinem Labor am IMBA entstammt und bereits von vielen Forschungsgruppen
weltweit aufgegriffen wurde.
Vielversprechende Organoide
Auch medizinische Anwendungen sind vielversprechend. „Man könnte etwa aus Zellen von Patienten, die an neurologischen
Erkrankungen leiden, Organoide heranzüchten. So könnte man verstehen, wie es zu Fehlern in der molekularen
Kommunikation zwischen den Zellen kommen kann, und welche Auswirkungen diese haben. Außerdem ließen
sich so Pathogene untersuchen und Medikamente gezielt testen. Profunde Kenntnisse darüber, wie sich die Organoide
unter „normalen Umständen“ verhalten und entwickeln, ebnen den Weg für mögliche klinische Anwendungen“
äußert sich Knoblich optimistisch über das gewaltige Potenzial seiner Gehirnmodelle aus dem Labor.
Über das EMBO Cover
Beata Mierzwa, Forscherin am IMBA und leidenschaftliche Wissenschaftsillustratorin, interpretiert mit ihrem Kunstwerk
die erstaunliche Selbst-Organisation im Laufe der Gehirnentwicklung. Wie Yin und Yang liegen die beiden Vorderhirn-Zentren
einander gegenüber und lenken die Entwicklung der Großhirnrinde (Neocortex). beatascienceart.com/
Über IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie gehört zu den führenden biomedizinischen Forschungsinstituten
in Europa. Im Fokus stehen medizinisch relevante Fragestellungen aus den Bereichen Stammzellbiologie, RNA-Biologie,
Molekulare Krankheitsmodelle und Genetik. Das Institut befindet sich am Vienna Biocenter, einem dynamischen Konglomerat
aus Universitäten, akademischer Forschung und Biotechnologie-Unternehmen. Das IMBA ist ein Tochterunternehmen
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der führenden Trägerin außeruniversitärer
Forschung in Österreich.
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