Kurz bekräftigt im EU-Hauptausschuss Pläne für die Stärkung der Subsidiarität
in den Mitgliedsstaaten
Wien (pk) – Nicht weniger als die Zukunft der Europäischen Union war am 08.03. zentrales Thema im EU-Hauptausschuss
des Nationalrats, der im Vorfeld des Europäischen Rats am 09. und 10.03. zusammengetreten ist. Dass sich
die Union bewegen muss, war unter den Parlamentsfraktionen evident, nicht aber, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln
soll. In Hinblick auf die von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgestellten fünf möglichen
Reformmodelle sagte Bundeskanzler Christian Kern, dass ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten mit der
Eurozone oder dem Schengen-Raum bereits Realität sei. Voranzutreiben ist für Kern außerdem die
Soziale Agenda innerhalb der Union, wozu etwa der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping gehört. Österreich
sei jedenfalls an einem schnellen Einigungsprozess interessiert. Außenminister Sebastian Kurz verteidigte
seinen Vorstoß, die Subsidiarität der Nationalstaaten zu stärken. Junckers äquivalentes Szenario
4, nämlich "Doing less more efficiently", bedeute nicht gleichzeitig weniger Europa.
Kurz: Auch ÖsterreicherInnen in der Türkei inhaftiert
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen und der immer schlechter werdenden Menschenrechtssituation in der
Türkei sprach sich der Bundeskanzler für eine klare Positionierung der EU gegenüber der Türkei
aus. Das heißt für Kern, den EU-Flüchtlingsdeal zwar aufrecht zu erhalten, aber gegenüber
der Türkei die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte einzufordern. Europa hat aus seiner Sicht aufgrund
von ausländischen Direktinvestitionen und finanzieller europäischer Unterstützung eine starke Position
gegenüber der Türkei. Schwer angeprangert wurde vom Bundeskanzler zudem die Verhaftung des deutsch-türkischen
Journalisten Deniz Yücel.
Laut Außenminister werden in der Türkei auch ÖsterreicherInnen an der Ausreise abgehalten oder
inhaftiert. "Die Situation ist untragbar", so Kurz. Geht es nach FPÖ-Klubchef Heinz Christian Strache,
sollte über den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen nachgedacht werden. Gegenüber der Türkei vermisst
er einen konsequenten Kurs der EU. Josef Cap (S) würde ein gemeinsames Signal aller 27 EU- Mitgliedsländer
als sinnvoll erachten.
Kern als auch Kurz betonten vor den Abgeordneten außerdem ihre ablehnende Haltung gegenüber Wahlkampfauftritten
türkischer PolitikerInnen in Österreich bzw. in Europa. Abgeordneter Werner Amon (V) glaubt nicht daran,
die gesamte Union zu einer gemeinsamen Position gegen türkische Wahlkampf-Auftritte bringen zu können.
Was den vom Bundeskanzler jüngst geäußerten Vorstoß zur Kürzung der finanziellen Unterstützung
für mittel- und osteuropäische Länder, die sich weiterhin einer Aufnahme von Flüchtlingen widersetzen,
betrifft, meinte Kern, dass Solidarität in Europa keine Einbahnstraße sein könne. Es gehe nicht
an, finanzielle Unterstützung anzunehmen, eigene Verpflichtungen innerhalb der Union aber abzulehnen. Zweifel
an den Vorhaben hat Reinhold Lopatka (V). Aus seiner Sicht müsste dafür erst das entsprechende EU-Regelwerk
geändert werden.
Gegenüber der Kritik von NEOS-Abgeordnetem Rainer Hable, wonach der jüngst von der Regierung beschlossene
Beschäftigungsbonus für heimische Arbeitskräfte eine Zurückstellung der europäischen Idee
bedeute, stellte Kern klar, dass es sich dabei um keinen "Österreich zuerst-Vorschlag" handle. Es
gehe ihm schlichtweg darum, konsequent gegen die Arbeitslosigkeit vorzugehen. Die Sorge Hables, es handle sich
hierbei um eine Malträtierung der europäischen Grundfreiheiten, teilt der Bundeskanzler nicht.
Geht es um die Kooperation mit dem Westbalkan sagte Kern, dass Beitrittsperspektiven für diese Region konkret
und spürbar bleiben sollten. Ein Rückzug Europas gilt es aus seiner Sicht zu vermeiden, v.a., was Beitrittsverhandlungen
mit Serbien betrifft. Christine Muttonen (S) wertete es als positiv, den Westbalkan in der Union nicht aus den
Augen zu verlieren. Es handle sich dabei etwa mit Blick auf die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo um
eine gesellschaftspolitisch fragile Region.
EU- Militärzentrum: Besondere Rahmenbedingungen für Österreich
Die am Montag beschlossene Einrichtung einer Militärischen Planungs- und Durchführungs-Kapazität
(MPCC) in der Union ist Kurz zufolge ein "wichtiger Schritt in Richtung mehr Zusammenarbeit". Für
Österreich, als neutraler und kleiner Staat, würden aber besondere Rahmenbedingungen gelten, ein mehr
an Zusammenarbeit bedeute aber ein mehr an Sicherheit. Sollte der Schutz der Außengrenzen Griechenland und
Italien überlassen werden, sieht Kurz den Schengen-Raum in Gefahr.
Bedenken gegenüber einer Beteiligung Österreichs an einem EU-Militärzentrum haben die Freiheitlichen.
Österreich müsse neutral bleiben, so Strache, dieser Grundsatz sollte sichergestellt werden. Eine zentralistisch
geführte EU-Armee sei abzulehnen, meinte Fraktionskollege Reinhard Eugen Bösch. Die europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik müsse Österreich zwar ein Anliegen sein, Entscheidungen müssten
aber in Wien gefällt werden können.
EU-Zukunftspläne: Kritik von Grünen und NEOS an Kurz
Kurz zeigte sich im Ausschuss zuversichtlich, dass Österreich einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung
der Union leisten kann. Sein Plan, die Subsidiarität zu stärken, werten die Grünen als populistischen
Pfad. Für die NEOS wiederum bedeutet es, die Europäische Union zurückbauen zu wollen, wie Rainer
Hable (N) klarmachte.
Die Frage sei, in welchen Bereichen EU-Kompetenzen vertieft oder bereinigt werden, meinte Werner Kogler von den
Grünen. "Wenn nur die Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in den Stellungnahmen übrig
bleibt, ist das zu wenig", so der Abgeordnete in Richtung Kurz. Er würde bei einer Harmonisierung der
Wirtschafts- und Steuerpolitik ansetzen. Ohne diesen Schritt, "können wir früher oder später
die Währungsunion rückabwickeln". Zudem würde die bloße Aufrechterhaltung des Binnenmarkts
aus seiner Sicht nur dazu führen, das soziale Gefälle in Europa zu vergrößern. Sein Fraktionskollege
Bruno Rossmann argumentierte ähnlich. Das wirtschafts- und fiskalpolitische Setting der EU muss aus seiner
Sicht dringend in Frage gestellt werden.
Beim Thema EU-Finanz- und Wirtschaftspolitik bzw. insbesondere im Zusammenhang mit dem EU-Vorhaben, die Bankenunion
möglichst rasch zu vollenden, äußerte sich das Team Stronach kritisch. Österreich dürfe
nicht für die Banken-Misswirtschaft in anderen Ländern zur Kassa gebeten werden, meinte etwa Waltraud
Dietrich (T).
Zum Populismus-Vorwurf Koglers meinte der Außenminister, dass mehr Subsidiarität nicht gleichzeitig
weniger Europa, sondern mehr Fokussierung bedeuten würde. Ein Mehr an Europa braucht es für den Außenminister
etwa im Bereich der Steuerflucht, im Freihandel oder in der Wettbewerbsfähigkeit.
Für die FPÖ steht wiederum fest, dass eine weitere Zentralisierung der EU nicht helfen wird, die Probleme
in Europa zu bewältigen. Die Eurozone habe etwa katastrophale Folgen nach sich gezogen, wie Johannes Hübner
sagte. Beispielsweise würden sich die positivsten Entwicklungen in jenen Ländern zeigen, die sich von
der Eurozone ferngehalten hätten. In Sachen Migration betreibt die EU aus seiner Sicht zudem "Propaganda
für die Masseneinwanderung". Zu glauben, dass ein Mehr an Europa alle Probleme von selbst löse,
sei Realitätsverweigerung.
Kurz: Schutz für Flüchtlinge außerhalb Europas
In der grundsätzlichen Frage, wie die Flüchtlingssituation in Europa gelöst werden kann, bekräftigte
Kurz seinen Zugang, AsylwerberInnen, die etwa im Mittelmeer aufgelesen werden, in afrikanische Länder zurückzustellen
und dort zu versorgen bzw. das "automatische Weiterwinken" nach Mitteleuropa zu beenden. Ägypten
hat sich mit diesem Vorgehen bereits einverstanden erklärt, Kurz erwartet sich auch mit anderen nordafrikanischen
Ländern Kooperationen. Im Fall der vereinbarten EU-Kooperation mit Libyen meinte Bundeskanzler Kern, dass
für Österreich eine menschenrechtskonforme Behandlung von Flüchtlingen in den libyschen Auffanglagern
wichtig sei. Geht es nach Petra Bayr (S), sollte vermehrt auf Entwicklungspolitik bzw. konkrete Hilfe vor Ort gesetzt
werden.
Für Kurz muss der Fokus in der Asylpolitik in Zukunft auf die Mittelmeer-Route gelegt werden, hier ist laut
Angaben des Außenministers ein Flüchtlingsanstieg von 20% zu verzeichnen. "Flüchtlingsrouten
verlagern sich eben. Diese Menschen lösen sich nicht in Luft auf", meinte dazu die Grüne Menschenrechtssprecherin
Alev Korun. Sie fordert vom Außenminister eine nachhaltige Flüchtlingspolitik, zur Zeit gehe es in Richtung
Abschottung, die mit dem Begriff des Grenzschutzes beschönigt werde. Kurz entgegnete wiederum, dass es sich
bei der Aussage, die Flüchtlingsrouten würden sich verlagern, um eine faktenbefreite Argumentation handle.
Bei den Menschen, die über die Mittelmeerroute kommen, handelt es sich nach seinen Informationen nicht um
AsylwerberInnen aus Syrien oder Afghanistan, wie das auf der Balkanroute der Fall gewesen ist.
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