Justizausschuss verabschiedet Reform der Sachwalterschaft
2. Erwachsenenschutz-Gesetz will Selbstbestimmung vertretungsbedürftiger Personen fördern – Weitere Beschlüsse:
Anpassungen bei der Gerichtsorganisation, Zeitgeschichte-Curriculum für angehende RichterInnen und StaatsanwältInnen
Brüssel/Wien (pk) - Die gerichtliche Fürsorge für Menschen, die aufgrund einer psychischen
Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung nicht mehr in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbst
wahrzunehmen, soll neu geregelt werden. Leitgedanke eines am 14.03. vom Justizausschuss verabschiedeten 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes
ist dabei die Förderung der Autonomie von vertretungsbedürftigen Personen. Zu diesem Zweck werden die
Vertretungsmodelle ausgebaut und Alternativen zur bisherigen Sachwalterschaft angeboten, wobei die betroffenen
Menschen, soweit dies möglich ist, selbst über ihre rechtlichen Beziehungen bestimmen sollen.
Während über die Kernpunkte der Vorlage weitgehend Konsens bestand, sorgte die vorgesehene Finanzierung
für heftige Kritik seitens der Grünen, die die budgetäre Bedeckung für unzureichend hielten
und als einzige Fraktion gegen die Reform stimmten. Justizminister Wolfgang Brandstetter kündigte hingegen
an, zur Finanzierung auf Rücklagen seines Ressorts zurückzugreifen. Darüber hinaus würden die
finanziellen Auswirkungen nach drei Jahren einer Evaluierung unterzogen, auch gebe es laufend Gespräche mit
dem Finanzminister.
Reform bietet vier Modelle der Vertretung
Begrifflich wird aus der Sachwalterschaft nun die Erwachsenenvertretung, die konkret auf die Bedürfnisse der
betroffenen Person zugeschnitten ist. Das Gesetz (1461 d.B.) bietet dabei vier mögliche Arten der Vertretung
einer vertretungsbedürftigen volljährigen Person. Vorgesehen ist zunächst der gerichtliche Erwachsenenvertreter,
der den Sachwalter ersetzt. Seine Befugnisse sollen aber auf bestimmte Vertretungshandlungen beschränkt werden
und nicht pauschal für "alle Angelegenheiten" gelten. Die gerichtliche Bestellung des Erwachsenenvertreters
ist nach den Intentionen des Entwurfs nur die ultima ratio, geht es doch darum, die Alternativen auszubauen.
Mit der gesetzlichen Erwachsenenvertretung übernimmt das Gesetz die schon bisher mögliche Vertretung
durch nächste Angehörige. Diese soll aber nicht unmittelbar kraft Gesetzes eintreten, sondern nur dann
bestehen, wenn sie im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) eingetragen wird. Da die
gesetzliche Erwachsenenvertretung weitergehende Befugnisse als nach bisherigem Recht schafft, unterliegt sie nun
einer gerichtlichen Kontrolle und muss spätestens nach drei Jahren erneuert werden. Neu ist hingegen die gewählte
Erwachsenenvertretung, die einer volljährigen Person die Möglichkeit gibt, im Bedarfsfall selbst einen
Vertreter zu bestimmen, der sofort für sie tätig werden soll. Auch diese Vertretungsbefugnis setzt eine
Eintragung ins ÖZVV voraus und unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Da sie aber auf der Willensbildung
des Vertretenen beruht, ist sie auf unbestimmte Zeit eingerichtet.
Bei der Vorsorgevollmacht mit uneingeschränktem Wirkungsbereich schließlich knüpft das Gesetz an
das geltende Recht an. Voraussetzung ist hier der Eintritt des "Vorsorgefalls" – des Verlusts der Entscheidungsfähigkeit
– sowie die Eintragung im ÖZVV. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf
die Genehmigung von Entscheidungen bei medizinischen Behandlungen, soweit zwischen Vertreter und vertretener Person
ein Dissens erkennbar wird, sowie auf den Fall einer dauerhaften Wohnortverlegung ins Ausland. Eingerichtet wird
die Vorsorgevollmacht auf unbestimmte Zeit.
Abgeordnete sehen Paradigmenwechsel
Die Reform sei ein Paradigmenwechsel weg von der Bevormundung und hin zur Unterstützung, stellten Ulrike Königsberger-Ludwig
(S) und Franz-Joseph Huainigg (V) übereinstimmend fest, denen die Abgeordneten Gisela Wurm (S) und Gertrude
Aubauer (V) beipflichteten. Michaela Steinacker (V) sprach von einem Meilenstein in der Rechtsgeschichte Österreichs
und zeigte sich zuversichtlich, dass der Justizminister nun auch für die entsprechende Finanzierung sorgen
werde. SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim wiederum begrüßte ebenso wie Helene Jarmer (G) die in
einem einstimmig angenommenen Abänderungsantrag vorgesehene Ausdehnung der Grundsätze der Reform auf
das Heimaufenthaltsgesetz, wodurch nun auch eine Kontrolle von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bei
Kindern und Jugendlichen möglich werde. Auf ausdrücklich positives Echo stieß die Vorlage zudem
bei den Abgeordneten Nikolaus Scherak (N), Christoph Hagen (T) und Harald Stefan (F).
Grüne zweifeln an finanzieller Absicherung der Reform
In der Sache sei das Gesetz gut, bestätigte Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser, der allerdings
schwere Bedenken hinsichtlich der Finanzierung vorbrachte und aus diesem Grund aus dem Konsens ausscherte. Man
habe die Kostenschätzungen offensichtlich an das angepasst, was mit dem Finanzminister verhandelt werden konnte,
vermutete er und äußerte die Befürchtung, dass die nunmehr vorgesehenen 25 Mio. € nicht ausreichen
werden. Skeptisch zeigte er sich auch über den Plan des Ressorts, mit den Rücklagen das Auslangen zu
finden. Steinhauser forderte vielmehr die Regierung auf, ausreichende finanzielle Mittel zur Bedeckung des nach
seinen Einschätzungen zu erwartenden Mehrbedarfs in der Höhe von rund 84 Mio.€ für die nächsten
fünf Jahre zur Verfügung zu stellen, konnte sich aber mit einem entsprechenden Antrag nicht durchsetzen.
Kein Gehör fand auch sein Vorschlag eines jährlichen Monitorings der Kostenentwicklung
Brandstetter will auf Rücklagen zurückgreifen
Justizminister Wolfgang Brandstetter nannte die Reform ein "Herzensanligen" und betonte, man habe eine
Lösung im Sinne der Menschlichkeit und der Betroffenen gefunden. Die Schätzung der Kosten sei schwierig,
man könne aber von kostendämpfenden Effekten ausgehen, die allein schon dadurch entstehen, dass es in
Zukunft weniger Vertretungen durch einen Sachwalter des bisherigen Typs und dafür mehr gewählte Erwachsenenvertretungen
durch Angehörige geben werde. Die Finanzierung des Mehraufwandes sei jedenfalls gesichert, zumal das Ressort
auf seine Rücklagen zurückgreifen könne. Eine entsprechende Zusage des Finanzministers gebe es bereits,
versicherte Brandstetter.
Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben sind der Hintergrund eines Pauschalreisegesetzes sowie von Änderungen
im Firmenbuchgesetz und im Kartell- und Wettbewerbsrecht, die der Justizausschuss verabschiedete. Auf den Weg ins
Nationalratsplenum schickten die Abgeordneten auch eine Novelle zum Gerichtsorganisationsgesetz, die vor allem
praxisgerechte Anpassungen – so etwa bei den Sicherheitsmaßnahmen – enthält. Grünes Licht kam aus
dem Ausschuss zudem für ein Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen
und für weitere Beitritte zum Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung.
Die Opposition wiederum brachte mit einer Reihe von Anträgen Themenbereiche wie das Scheidungs- und Unterhaltsrecht,
die Strafobergrenzen von jungen Erwachsenen oder die strafrechtliche Ahndung von Hasspostings zur Sprache, eine
Petition schließlich vertrat das Anliegen der Entkriminalisierung von professioneller Sterbehilfe. Diese
Initiativen wurden jeweils vertagt.
Einheitliche europäische Standards für Pauschalreisen
Mit dem Pauschalreisegesetz (1513 d.B.) setzt Österreich nun, wie Eva-Maria Himmelbauer (V) erklärte,
die von einer entsprechenden EU-Richtlinie für diesen Bereich vorgegebenen europaweit einheitlichen Standards
um. Vorgesehen sind u.a. umfangreiche vorvertragliche Informationspflichten sowie Bestimmungen über die Änderung
von Pauschalreiseverträgen und die Rechtsfolgen bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der vertraglichen
Leistungen.
Für das Gesetz stimmten die Regierungsparteien und die Grünen, während NEOS-Justizsprecher Nikolaus
Scherak überbordenden Verwaltungsaufwand befürchtete und im Einklang mit Harald Stefan (F) und Christoph
Hagen (T) die Richtlinie als überzogen einstufte.
Besserer Zugang zu grenzüberschreitenden Unternehmensinformationen
Einstimmig beschlossene Änderungen im Firmenbuchgesetz und im Verschmelzungsgesetz (1517 d.B.) wiederum ergeben
sich aus der sogenannten BRIS-Richtlinie der EU, die die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern
zum Gegenstand hat. Ziel ist es dabei, den grenzüberschreitenden Zugang zu Unternehmensinformationen über
das Europäische Justizportal zu erleichtern, wobei auch die Möglichkeit einer automatisierten Kommunikation
der nationalen Registerbehörden im Wege einer zentralen europäischen Plattform besteht.
Mehr Transparenz und Rechtssicherheit im Kartellrecht
Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben sind schließlich auch der Anstoß zu Änderungen im Kartell- und
Wettbewerbsrecht (1522 d.B.), die im Wesentlichen auf die Schaffung von Rechtssicherheit bei der Durchsetzung von
Schadenersatzansprüchen aus Wettbewerbsrechtsverletzungen und auf die Verbesserung der Transparenz von kartellrechtlichen
Verfahren hinauslaufen. Weiterer Schwerpunkt der einstimmig verabschiedeten Vorlage ist zudem die Qualitätssicherung
von Sachverständigengutachten in kartellrechtlichen Angelegenheiten.
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Praxisgerechte Anpassungen bei der Gerichtsorganisation
Anpassungen im Zusammenhang mit der Praxis des Gerichtsalltags
sind der Hauptgesichtspunkt einer Novelle zum Gerichtsorganisationsgesetz (1504 d.B.), über die der Ausschuss
ebenfalls Einstimmigkeit erzielte. So wird etwa klargestellt, dass zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen
aus besonderem Anlass auch dann angeordnet werden dürfen, wenn diese nicht ausdrücklich in der Hausordnung
enthalten sind. Für die VorsteherInnen von Bezirksgerichten wiederum wird eine Justizverwaltungsquote festgelegt,
darüber hinaus schafft die Novelle eine klare Zuteilung der Gerichtsabteilungen zu den bei einem Gericht tätigen
RichterInnen.
Mit breiter Mehrheit angenommen wurde in diesem Zusammenhang ein Antrag der Grünen (2019/A(E)), in dem Harald
Walser ein Curriculum in Zeitgeschichte als verpflichtenden Teil der Ausbildung von angehenden RichterInnen und
StaatsanwältInnen fordert. Der Antragsteller reagiert damit auf die Einstellung eines Verfahrens gegen die
Zeitschrift "Aula" wegen eines Artikels mit dem Titel "Mauthausen-Befreite als Massenmörder".
Empört zeigte sich Walser in diesem Zusammenhang über die von der Staatsanwaltschaft Graz angeführte
Begründung, wo es heißt, es sei nachvollziehbar, "dass die Freilassung mehrerer Tausend Menschen
aus dem KZ Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete darstellte".
Ausdrückliche Unterstützung fand die Initiative der Grünen bei Beatrix Karl (V), Elisabeth Großmann
(S), Nikolaus Scherak (N) sowie bei Justizminister Wolfgang Brandstetter. Johannes Hübner (F) und Christoph
Hagen (T) wandten hingegen ein, es gehe nicht an, einen Einzelfall zum Anlass für eine historische Schulung
der RichterInnen zu nehmen.
Kindesentführung, Rechtshilfe in Strafsachen: Ausschuss gibt grünes Licht für internationale
Beschlüsse
Einstimmig genehmigt wurde seitens der Abgeordneten der Beitritt zusätzlicher Staaten zum Übereinkommen
über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ( 1459 und 1476 d.B.). Konkret geht
es dabei um Albanien, Andorra, Armenien, Marokko, Russland, die Seychellen, Singapur, Kasachstan, Peru und Korea.
Konsens bestand auch hinsichtlich des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über
die Rechtshilfe in Strafsachen (1470 d.B.), das im Wesentlichen die geltenden Bestimmungen ergänzt und präzisiert.
Geregelt werden u.a. auch die wechselseitige Unterstützung durch den Einsatz verdeckter Ermittler sowie die
grenzüberschreitende Observation.
Team Stronach fordert Gesamtreform des Scheidungs- und Unterhaltsrechts
Eine Serie von Anträgen der Opposition eröffnete Christoph Hagen (T) mit seiner Forderung nach einer
Gesamtreform des Scheidungs- und Unterhaltsrechts (1925/A(E)). Durch teilweise zu hoch bemessene und "immerwährende"
Fortzahlungen an den ehemaligen Ehepartner würden den Unterhaltsschuldnern oft die Grundlage entzogen, eine
neue Familie zu gründen, argumentierte der Team Stronach-Justizsprecher, dem es vor allem darum geht, die
Bemessung von Unterhaltsansprüchen mit der Möglichkeit der Selbstversorgung zu verknüpfen. Die Initiative
wurde allerdings unter Hinweis auf eine entsprechende Arbeitsgruppe im Justizministerium mehrheitlich vertagt.
FPÖ will Strafobergrenzen von jungen Erwachsenen an jene bei Erwachsenen angleichen
Nach derzeit geltendem Recht sind bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 21 Jahren die Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes
und damit die für jugendliche Straftäter vorgesehenen niedrigeren Strafrahmen anzuwenden. Dies hält
Harald Stefan (F) für nicht angemessen, wobei er auf eine in jüngster Zeit feststellbare Häufung
von besonders schweren Straftaten verweist, die von jungen Erwachsenen begangen wurden. In einem Entschließungsantrag
(2048/A(E)) fordert der Justizsprecher der Freiheitlichen nun eine Angleichung der Strafobergrenzen für junge
Erwachsene an jene bei Erwachsenen. Nicht rütteln will Stefan allerdings an dem besonderen Milderungsgrund
der Tatbegehung nach Vollendung des 18. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie an den Strafuntergrenzen.
Auch hier entschied die Ausschussmehrheit auf Vertagung, zumal, wie Elisabeth Großmann (S) erinnerte, die
Thematik im Rahmen der nächsten StGB-Novelle diskutiert wird.
Hasspostings: Grüne wollen Strafrechtsbestimmung verschärfen
Nachschärfungen schlagen die Grünen beim sogenannten "Hassposting-Paragraphen" vor. Der seit
einem Jahr geltende § 107c StGB könne für Opfer massiver Beleidigungen keine Abhilfe bringen, zumal
die Bestimmung erst bei einer über eine längere Zeit fortgesetzten Tatbegehung greift, gab Albert Steinhauser
zu bedenken. Konkret will der Justizsprecher der Grünen auch im Fall einer bloß einmaligen Äußerung
das Gutheißen von Gewalt gegen eine Person sowie schwerste sexualisierende Beleidigungen unter Strafe stellen
(2020/A(E)).
Der Antrag wurde mehrheitlich vertagt, wobei die Regierungsparteien ebenso wie Justizminister Brandstetter Gesprächsbereitschaft
signalisierten.
Entkriminalisierung der Sterbehilfe: Petition für juristische Prüfung
Schließlich lag dem Ausschuss auch eine von Nikolaus Scherak (N) vertretene Petition (73/PET) des Vereins
DIGNITAS vor, der sich für einen Rechtsanspruch auf professionelle Sterbehilfe einsetzt. Die Bundesregierung
wird darin ersucht, die moralisch-ethischen und medizinischen Implikationen einer Entkriminalisierung von assistiertem
Suizid zu diskutieren und juristisch prüfen zu lassen. Dabei sollte das Thema allerdings nicht isoliert, sondern
vielmehr im Zusammenhang mit einer Verbesserung der Hospiz- sowie der palliativmedizinischen Versorgung behandelt
werden, heißt es.
ÖVP-Mandatarin Beatrix Karl erinnerte an die Enquete "Würde am Ende des Lebens", bei der das
Thema bereits diskutiert wurde. Angesichts der erst kurzen Zeitspanne sei eine Behandlung derzeit nicht zielführend,
meinte sie, worauf die Ausschussmehrheit eine Vertagung beschloss.
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