Kontroverse Debatte zur Gesundheits- und Frauenpolitik im Nationalrat
Wien (pk) - In der an die Erklärung von Bundeskanzler Kern, Vizekanzler Mitterlehner und Gesundheits-
und Frauenministerin Rendi-Wagner anschließenden Debatte hoben die einzelnen Rednerinnen und Redner der Fraktionen
am 14.03. die Fachkompetenz der neuen Ressortchefin hervor, nützten aber auch die Chance, ihre Positionen
in der Gesundheits- und Frauenpolitik darzulegen. Die Opposition sparte dabei nicht mit inhaltlicher Kritik an
der Politik der Regierung, die Freiheitlichen gingen aber darüber hinaus und fanden auch kritische Worte zur
Person der neuen Ministerin. Man brauche keinen ideologischen Wandel, so die freiheitliche Gesundheitssprecherin
Dagmar Belakowitsch-Jenewein. Mit ihrem Eintritt in die SPÖ habe Rendi-Wagner auch einen ungedeckten Scheck
in der Gesundheitspolitik mitunterschrieben, so die FPÖ Mandatarin.
Die Opposition sieht viele Baustellen im Gesundheitssystem
Belakowitsch-Jenewein geißelte aus ihrer Sicht vor allem die geplanten Gesundheitszentren und stellte in
diesem Zusammenhang die Vermutung in den Raum, die SPÖ wolle die freien Berufe abschaffen und stattdessen
weisungsgebundene Ärzte und Ärztinnen haben. Die Freiheitlichen würden so eine Entwicklung nicht
mittragen, machte sie klar und hielt fest, dass die Patientinnen und Patienten sich als freie Bürgerinnen
und Bürger aussuchen müssen können, wohin sie gehen wollen. Harsche Kritik übte Belakowitsch-Jenewein
auch am Hauptverband und forderte eindringlich, die Kassenärztinnen und -ärzte besser zu entlohnen. Kein
gutes Haar ließ sie an der Wiener Gesundheitspolitik, wo sie insgesamt einen Irrweg, sichtbar durch eine
schlechte Gesundheitsversorgung und die Aushungerung der Kassenärztinnen und –ärzte, ortete. Wien habe
auch die Frage der Ärztearbeitszeit nicht gelöst und damit einen Ärztemangel verursacht, so der
Befund der freiheitlichen Gesundheitspolitikerin. Sie beklagte auch die Abwanderung junger Ärztinnen und Ärzte
ins Ausland und sah den Grund dafür, dass die Ausbildung von Turnusärztinnen und –ärzten etwa in
Deutschland und der Schweiz viel besser sei. Schließlich wiederholte sie die Forderung nach Zusammenlegung
der Sozialversicherungen und nach einer effizienten Verwaltung.
Der Gesundheitssprecher der NEOS, Gerald Loacker, griff die Ansage der neuen Ministerin auf, sie wolle Ungleichheiten
im Gesundheitssystem beseitigen, und meinte anhand von Beispielen, dass dies leicht ginge. Er zweifelte jedoch
daran, dass sich die Ministerin das traut. So nahm er die aus seiner Sicht kleinen privilegierten Gruppen, etwa
die Beamten, ins Visier und meinte, dass deren Kassen unter das Dach des Hauptverbandes gehören. Zudem müsse
man laut Loacker einen Strukturausgleich zwischen allen Kassen schaffen, denn die Krankenversicherungsträger
würden deshalb verschiedene Leistungen erbringen, weil sie eine andere Versichertenstruktur haben. So müssten
die Gebietskrankenkassen Arbeitslosen- und MindestsicherungsbezieherInnen durchtragen, die Beamten, Selbständigen
und Eisenbahner würden sich daraus ausklinken. Schließlich forderte Loacker, das komplizierte Hebesatzsystem
abzustellen, indem Gelder in der Höhe von 1,6 Milliarden € von der Pensionsversicherung in die Krankenversicherungsträger
gepumpt werden. Davon würden vor allem die überalterte Bauernversicherung und die überalterte Eisenbahnerversicherung
profitieren, bemängelte der NEOS-Gesundheitssprecher.
Von einem perfekten Gesundheitssystem könne überhaupt keine Rede sein, urteilte Robert Lugar vom Team
Stronach, es mangle vor allem an einem verpflichtenden Qualitätsmanagement. Als Beispiel führte er an,
dass in Österreich jedes Jahr dreimal so viel Menschen an Krankenhauskeimen sterben als im Straßenverkehr.
Allein 300 Personen kämen nur deswegen zu Tode, weil es das medizinische Personal mit der Handhygiene nicht
so genau nehme. Lugar wertete es auch als einen Skandal, dass offensichtlich ca. 40% der medizinischen Diagnosen
falsch sind; dort müsse man ansetzen. Mehr Mittel sollten überdies in die Prävention und in die
Beratung fließen, z.B. was die richtige Ernährung betrifft. Da die neue Ministerin Rendi-Wagner keine
Quereinsteigerin, sondern eine ausgewiesene Gesundheitsexpertin sei, hätte er sich von ihr diesbezüglich
konkretere Aussagen und Vorschläge erwartet.
SPÖ und ÖVP: Qualitatives heimisches Gesundheitssystem weiterentwickeln
Auch die beiden Regierungsfraktionen leugneten nicht die großen Herausforderungen für das Gesundheitssystem.
Andreas Schieder (S) unterstrich jedoch, dass das von Rendi-Wagner genannte solidarische moderne Gesundheitssystem
kein Schlagwort sei. Wir sollten stolz darauf sein, so der SPÖ Klubobmann, dass Österreich über
ein öffentlich finanziertes Gesundheitssystem mit medizinischen Hochleistungen verfügt, das allen zur
Verfügung steht. Dieses müsse man weiterentwickeln und dazu gehöre auch, ein größeres
Augenmerk auf die Vorsorge zu legen.
In die gleiche Kerbe schlug Reinhold Lopatka, der vor allem die demographische Entwicklung als ein wesentliches
Problem ansprach und darauf hinwies, dass die geburtenstarken Jahrgänge erst in ein höheres Alter kommen
würden. Lopatka machte die neue Ministerin vor allem eindringlich darauf aufmerksam, dass es einen Ärztemangel
geben werde und insbesondere im ländlichen Raum die hausärztliche Versorgung einzubrechen drohe. Hier
müsse man gegensteuern. Er sagte die Unterstützung seiner Fraktion bei der Umsetzung der Pläne zur
primärärztlichen Versorgung zu, schränkte aber insofern ein, als er meinte, man müsse die offenen
Probleme gemeinsam mit der Ärztekammer lösen, und eine bürgernahe Versorgung sicherstellen.
Grüne, SPÖ und ÖVP: Einkommensschere schließen
Die Klubobfrau der Grünen, Eva Glawischnig-Piesczek, widmete sich in ihrem Redebeitrag gänzlich dem Frauenthema
und ortete eine strukturelle Lücke insbesondere im Arbeitsbereich. Frauen würden heute noch in Bereichen
arbeiten, von denen sie nicht leben können. Deshalb sei der angestrebte Mindestlohn wichtig und notwendig,
denn Frauen müssten ein selbstbestimmtes Leben führen können. Glawischnig-Piesczek warf auch einen
Blick auf Frauen im ländlichen Raum, die noch immer mit traditionellen Rollenbildern konfrontiert seien, was
es ihnen auch schwer mache, ein politisches Amt, wie etwa jenes der Bürgermeisterin, auszuüben. Die grüne
Klubobfrau machte sich in diesem Zusammenhang auch stark für einen höheren Frauenanteil in politischen
Ämtern und meinte, dabei gehe es um das wesentliche Element der Diversität und der unterschiedlichen
Sichtweisen.
Was den Mindestlohn betrifft, so räumte sie ein, dass manche Betriebe damit Schwierigkeiten haben werden,
weshalb gleichzeitig eine Entlastung der Lohnnebenkosten einhergehen sollte. Glawischnig-Piesczek wandte sich strikt
gegen Übergangsfristen bei der Einführung des Mindestlohns.
Ebenso griffen die beiden Klubobmänner der Regierungsfraktionen, Andreas Schieder (S) und Reinhold Lopatka
(V), das Thema Einkommensschere auf und ließen keinen Zweifel daran, dass auch aus ihrer Sicht diese Lücke
zu schließen sei. Lopatka stellte jedoch klar, dass die ÖVP den Frauen kein Modell vorschreiben wolle,
Frauen sollten viel eher alle Chancen, gleichzeitig aber Wahlfreiheit haben.
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Frauenpolitik – eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung
Man werde dem Andenken an Sabine Oberhauser am besten gerecht, wenn ihre Bemühungen und Anstrengungen etwa
in Sachen Einkommensgerechtigkeit konsequent fortgesetzt werden, meinte Abgeordnete Gisela Wurm (S). Die Einführung
eines Mindestlohns in der Höhe von 1.500 €, der ein selbstbestimmtes Leben gewährleiste, sei daher ein
Gebot der Stunde. Gleichzeitig brauche es auch mehr Transparenz in dieser Frage, da es wichtig sei zu wissen, wieviel
der Kollege oder die Kollegin nebenan verdient bzw. wie hoch das branchenübliche Gehalt ausfällt. Gabriele
Heinisch-Hosek (S) sah eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, da Frauenpolitik mit allen Bereichen des Lebens
zusammenhängt, von der Bildung, den Finanzen bis hin zu Wirtschaftsfragen.
Frauen leisten in allen Bereichen der Gesellschaft eine überaus wichtige Arbeit und haben immer bessere Bildungsabschlüsse,
erklärte ÖVP-Mandatarin Dorothea Schittenhelm, deshalb sei es für sie unverständlich, warum
die Einkommensschere noch immer so auseinanderklafft. Dies führe u.a. dazu, dass 16% der PensionistInnen von
Altersarmut betroffen sind. Dies sei für ein reiches Land wie Österreich nicht tragbar. Besonders am
Herzen lagen ihr noch der Kampf gegen Gewalt an Frauen sowie die Gendermedizin.
FPÖ-Abgeordnete Carmen Schimanek sprach die Hoffnung aus, dass der unter Sabine Oberhauser gepflegte sachliche
Stil und der ergebnisorientierte Zugang zur Frauenpolitik auch unter der neuen Ministerin eine Fortsetzung findet.
Besondere Anliegen waren ihre dabei die Frage der gerechten Entlohnung sowie der Kampf gegen Gewalt an Frauen.
Laut aktueller Kriminalitätsstatistik sind etwa die sexuellen Übergriffe gegenüber Frauen im öffentlichen
Raum drastisch angestiegen, zeigte Schimanek auf. Außerdem trat sie für eine ausreichende Dotierung
der Frauenhäuser ein.Auch für Aygül Berivan Aslan (G) verläuft die Entwicklung leider im Schneckentempo.
Österreich rangiere etwa in Bezug auf die Einkommensschere am vorletzten Platz in Europa, die Firmenvorstände
seien immer noch männlich dominiert und die Frauen- und Mädchenberatungsstellen litten unter mangelnder
finanzieller Ausstattung, kritisierte sie.
Claudia Angela Gamon von den NEOS war der Auffassung, dass weder die Einführung des Mindestlohns noch ein
Ausbau der Lohntransparenz die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern von heute auf morgen schließen
werden. Da es sich um ein komplexes Problem handelt, gebe es keine magische Lösung, sondern nur viele Einzelschritte,
die von einem Abgehen der staatlich subventionierten Rollenverteilung bis hin zur Gendermedizin reichen.
Die von der neuen Ministerin angesprochenen frauenpolitischen Schwerpunkte - Gehaltsschere, Vereinbarkeit von Familie
und Beruf, Gewalt an Frauen - sind nicht neu, stellte Martina Schenk seitens des Team Stronach fest. Man müsse
jedoch feststellen, dass seit dem Frauenvolksbegehren vor 20 Jahren in diesen Bereichen wenig weitergegangen ist.
Marcus Franz (o.F.) bezeichnete sich als bekennender Frauenpolitiker und forderte eine Diskussion auf Basis von
realen Fakten. So sei es etwa nicht dienlich, sich immer wieder auf den Einkommens-Gender-Gap in der Höhe
von 21% zu beziehen; dies sei nämlich nur ein Durchschnittswert. Ablehnend stand er der Einführung einer
Quote gegenüber, weil dies zu einer Entwürdigung der Frauen führe.
Gesundheitspolitik: Zahlreiche Wünsche an die neue Ministerin
SPÖ-Abgeordneter Erwin Spindelberger zeigte sich erfreut darüber, dass mit Pamela Rendi-Wagner eine hochqualifizierte
Frau und Gesundheitsexpertin das Ressort übernommen hat. Auf sie warten sehr große Herausforderungen,
die von der Lösung des Problems der unzumutbar langen Wartezeiten auf CT- und MRT-Untersuchungen, dem Ausbau
der Primärversorgung und den laufenden Verhandlungen über den Erstattungskodex für Medikamente reichen.
Österreich hat noch immer eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, betonte Erwin Rasinger (V), man soll
daher nicht immer alles schlecht reden. Gerade die heimische Hausarztmedizin sei von hoher Qualität und müsse
seiner Meinung nach erhalten bleiben, Gesundheitszentren sollte es nur als Zusatzangebot geben. Richtig sei jedoch,
dass die Prävention weiter ausgebaut werden müsse; allein 80% der Herzinfarkte wären durch einfache
Maßnahmen – weniger Rauchen, richtige Behandlung von hohem Blutdruck- und Cholesterinwerten, gesunde Ernährung,
mehr Bewegung etc. – vermeidbar, mahnte er.
Für Andreas Karlsböck (F) sind gesundheitspolitische Fragen und Probleme sehr groß. Eines der besten
Gesundheitssysteme der Welt sei nämlich mittlerweile ein eklatanter Sanierungsfall, urteilte er. Die PatientInnen
litten unter langen Wartezeiten, müssten in Gangbetten liegen und fänden immer weniger ÄrztInnen
mit Kassenverträgen. Er hoffe, dass Rendi-Wagner frischen Wind in die Diskussion bringt und endlich die notwendigen
Strukturreformen angeht.
Eva Mückstein (G) setzte große Hoffnungen auf die neue Ressortchefin, weil mit Pamela Rendi-Wagner eine
Person das Amt übernimmt, die nicht die üblichen Verflechtungen mit den Sozialpartnern und der Selbstverwaltung
mit bringt. Vielleicht sei es dadurch möglich, einige sehr wichtige Themen, in denen kaum etwas weitergeht,
im Sinne der PatientInnen voranzutreiben. Dies gelte nicht nur für die Primärversorgung, sondern auch
in der Frage der langen Wartezeiten auf bestimmte Untersuchungen sowie für die psychotherapeutische Betreuung
und Behandlung der Bevölkerung. Im Zusammenhang mit dem Thema Primary Health Care hielt sie es für wichtig,
dass für alle Anbieter die gleichen Bedingungen gelten und dass jede involvierte Berufsgruppe einen klaren
Rahmenvertrag erhält.
Ulrike Weigerstorfer vom Team Stronach richtete sich zunächst mit der Bitte an die neue Ministerin, den Menschen
in den Mittelpunkt ihrer Gesundheitspolitik zu stellen und einen Fokus auf die Prävention zu legen. Für
bedauerlich hielt sie es, dass Rendi-Wagner in ihrer Rede den Tierschutz nicht erwähnt hat.
Negativ beurteilte Marcus Franz (o.F.) die geplanten Primärversorgungszentren, da sie gegen die Freiheit der
ÄrztInnen gerichtet seien. Rupert Doppler (o.F.) hielt es für vorrangig, dass alle Menschen den gleichen
Zugang zu einem guten Gesundheitssystem haben, vor allem auch in den ländlichen Regionen. Statt Zentren zu
errichten, sollte man seiner Meinung nach aber vielmehr die HausärztInnen stärken. Gerhard Schmid (o.F.)
wehrte sich gegen Einsparungen im Gesundheitswesen und gegen die Ablöse der HausärztInnen durch Primärversorgungszentren.
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