An der TU Wien ist es gelungen, einen chemisch höchst wichtigen Prozess gezielt zu steuern:
Sauerstoffmoleküle können zwischen einem reaktiven und einem nicht reaktiven Zustand umgeschaltet werden.
Wien (tu) - Sauerstoff ist hoch reaktiv. Warum verbrennen wir dann nicht spontan, obwohl wir ständig
von diesem aggressiven Element umgeben sind? Der Grund ist, dass Sauerstoff um uns herum als O2-Molekül vorkommt,
in einer wenig reaktiven Form. An der TU Wien gelang es nun, einzelne Sauerstoffmoleküle auf einer Titanoxid-Oberfläche
unter einem speziellen Kraftmikroskop ganz gezielt von einem nicht-reaktiven auf einen reaktiven Zustand umzuschalten.
Gleichzeitig konnte man diesen Prozess erstmals auf hochauflösenden Bildern festhalten.
Aktivierend: Hitze oder Elektronen
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die stabilen, nicht-reaktiven O2-Moleküle in einen reaktiven Zustand
zu versetzen“, sagt Martin Setvin, Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Prof. Ulrike Diebold am Institut für
Angewandte Physik der TU Wien. „Man kann die Temperatur erhöhen – das passiert bei einer Verbrennung. Oder
man fügt den Molekülen ein zusätzliches Elektron hinzu, auch dadurch werden sie chemisch aktiv.“
Dieser Vorgang, Sauerstoffmoleküle durch Hinzufügen von Elektronen zu aktivieren, ist allgegenwärtig
– alle lebenden Organsimen nutzen diesen Trick, und auch moderne Brennstoffzellen funktionieren auf diese Weise.
An der TU Wien ist es nun gelungen, diesen Prozess erstmals im Kraftmikroskop auf atomarer Skala abzubilden und
gezielt zu steuern.
Untersucht wurden Sauerstoff-Moleküle, die auf der Oberfläche eines Titanoxid-Kristalls sitzen. Titanoxid
ist ein technologisch besonders interessantes Material, das in vielen Bereichen eingesetzt wird – von der Beschichtung
für künstliche Hüftgelenke bis hin zu selbstreinigenden, schmutzabweisenden Spiegeln. Es ist ein
Photokatalysator, das bedeutet, dass seine Fähigkeit, sich an chemischen Reaktionen zu beteiligen, von der
Lichteinstrahlung abhängt.
Atome direkt abbilden
An der TU Wien wurde in den letzten Jahren ein ganz besonders leistungsfähiges Kraftmikroskop aufgebaut und
optimiert, finanziert durch den Wittgensteinpreis, den Ulrike Diebold 2014 gewann. Dieses Gerät spielte bei
dem aktuellen Forschungsprojekt eine entscheidende Rolle: „Eine winzige Nadel wird in Schwingung versetzt und über
die Oberfläche bewegt. Durch die Kraft, die zwischen der Nadelspitze und den Atomen der Probe wirkt, ändert
sich die Schwingung, und daraus kann man schließlich Punkt für Punkt ein Bild der Oberfläche erstellen“,
erklärt Ulrike Diebold. „Durch eine ausgetüftelte Abbildungstechnik und viel Erfahrung im Umgang mit
solchen Materialien können wir sogar Bilder erzeugen, auf denen man den Unterschied zwischen neutralen, inaktiven
Sauerstoff-Molekülen und reaktiven, geladenen Sauerstoff-Molekülen mit zusätzlichem Elektron direkt
sieht.“
Mit der Spitze des Kraftmikroskops kann man auch einzelnen Sauerstoff-Molekülen ganz gezielt ein Elektron
hinzufügen und dann beobachten, dass es dadurch vom inaktiven in den aktiven Zustand wechselt. Dasselbe geschieht
auch, wenn man die Titanoxid-Oberfläche mit Licht bestrahlt – dann beginnen im Material freie Elektronen zu
wandern und können eines der Sauerstoff-Moleküle aktivieren.
„Egal ob wir mit dem Mikroskop ein Elektron hinzufügen oder das Titanoxid durch Licht dazu bringen, ein Elektron
an das Sauerstoff-Molekül zu liefern – wie wir zeigen konnten, ist das Endergebnis dasselbe“, sagt Ulrike
Diebold. „Unsere Methode ermöglicht uns ein völlig neues Ausmaß an Kontrolle über diesen Prozess.
Das eröffnet uns neue Möglichkeiten, die Wirkung von Katalysatoren zu untersuchen.“
Originalpublikation: Electron transfer
between anatase TiO2 and an O2 molecule directly observed by atomic force microscopy, Setvin et al., PNAS http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1618723114
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