Interdisziplinäre Diffusion als Verbindung von Physik und Linguistik am Beispiel Südkärnten
Wien (universität) - Durch die zunehmende Globalisierung verändert sich auch die Sprachlandschaft
unserer Welt: Viele Menschen geben ihre Sprache zugunsten einer anderen auf. Warum das passiert, haben Katharina
Prochazka und Gero Vogl von der Universität Wien am Beispiel Südkärnten untersucht. Mit Hilfe von
Methoden, die aus der Diffusionsphysik stammen und dort die Bewegung von Atomen beschreiben, entwickelten sie erstmals
ein Modell für die Ausbreitung von Sprachen in Zeit und Raum, im konkreten Fall des Slowenischen. Ihr Fazit:
Hauptsächlich die Interaktion mit anderen Menschen ist dafür verantwortlich, ob es zu einem Sprachwechsel
kommt. Die interdisziplinäre Studie dazu erscheint in der Fachzeitschrift PNAS.
Als Diffusion wird in der Physik die Ausbreitung von Teilchen in Zeit und Raum bezeichnet. Physikalische Diffusionsmodelle
kann man aber auch auf andere Phänomene anwenden auch solche, die mit Physik auf den ersten Blick nichts
zu tun haben. "Unter dem Begriff interdisziplinäre Diffusion werden physikalische Methoden genutzt, um
die Ausbreitung von Lebewesen, Krankheiten, Gerüchten oder in unserem Fall eben Sprachen zu beschreiben.
Dadurch kann man große Datenmengen erfassen und verschiedene Szenarien durchspielen", erklärt die
Physikerin und Linguistin Katharina Prochazka, Erstautorin der Studie.
"Mikroskopische" Betrachtung der Sprachbewegung
Die interdisziplinäre Studie basiert auf dem Prinzip der "zellulären Automaten", das hier
erstmals mit detaillierten empirischen Daten zum Sprachgebrauch kombiniert wurde. Bei dieser Methode wird das Untersuchungsgebiet
in kleine Kästchen unterteilt, die alle einzeln betrachtet werden wie unter einem Mikroskop. Dadurch können
sehr kleinräumige Veränderungen in der Sprachbewegung nachvollzogen werden, gleichzeitig aber wird auch
das gesamte Gebiet erfasst und beschrieben ein Vorteil gegenüber anderen Herangehensweisen, die oft nur
den Prozentsatz von SprecherInnen in der Bevölkerung betrachten und nichts über die räumliche Verteilung
aussagen.
Interaktion als treibender Faktor
In ihrer Untersuchung haben Katharina Prochazka und Gero Vogl die Sprachbewegung in Südkärnten in
den Zeiträumen 1880-1910 und 1971-2001 nachvollzogen, wo sich zwei Sprachen Slowenisch und Deutsch auf
ein und demselben Raum wechselseitig beeinflussen. Dieses Gebiet stellt ein außerordentlich gut dokumentiertes
sprachliches "Ökosystem" dar. "Unsere Computersimulationen zeigen, dass die Interaktion mit
anderen Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, ein wesentlicher Antrieb für den Spracherhalt oder Sprachwechsel
ist. Die Zahl der SprecherInnen einer Sprache in den Orten selbst und in ihrer Nachbarschaft ist daher die wichtigste
Einflussgröße. Das konnten wir durch die Anwendung physikalischer Methoden formal zeigen und quantifizieren",
berichtet Katharina Prochazka. Das entwickelte Modell liefert so einen Beitrag zum grundlegenden Verständnis
von Sprachwechsel, der in vielen Gebieten der Welt stattfindet und vor allem Minderheitensprachen betrifft.
Publikation in "PNAS": Quantifying
the driving factors for language shift in a bilingual region. Katharina Prochazka, Gero Vogl, PNAS (2017) DOI:
10.1073/pnas.1617252114
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